Kölner Stadt-Anzeiger vom 28. Juli 1961

Nur für Messen - nicht für Massen

Alweg startet nicht für Deutschland
Von unserem Redaktionsmitglied Rolf Elbertzhagen

Köln am Rhein und neuerdings auch Turin am Po sind die einzigen Städte in Europa, die ein Projekt beherbergen, dem Optimisten seit Jahren eine große Zukunft voraussagen: die Alweg-Bahn. Doch allen prophetischen Beteuerungen zum Trotz ist diesem über einen schmalen Betonbalken dahinsausenden Gefährt bisher nur wenig Spielraum gegönnt worden.

In Köln kam die Bahn nicht über das Prüffeld in Fühlingen hinaus, und in Turin muß sie sich vorerst auf das Gelände der Ausstellung „Italia 61“, aufgebaut zur Erinnerung an die Einigung Italiens vor hundert Jahren, beschränken. Die Bestrebungen der Einspur-Spezialisten, ihre Alweg-Bahn von dem Odium zu befreien, kein Massen-, sondern allenfalls ein Messen-Verkehrsmittel zu sein, hatten kaum Erfolg. In der Vergangenheit wurde zwar das Alweg-System in manchen Städten lebhaft diskutiert, aber am Ende kehrte man von allen „hochfahrenden“ Plänen einer über Straßen, Plätze, Feld und Flur geführten Einschienenbahn wieder auf die Erde zurück.

Ungeachtet solcher Rückschläge wird im fünften Stockwerk des Hauses Hohenstaufenring 47, dem Sitz der Alweg-Forschungs GmbH, das Lieblingskind des schwedischen Großindustriellen und Multimillionärs Axel Lennart Wenner-Gren weiter hochgepäppelt. Selbst daß Köln, als jene Stadt, die sozusagen den Mutterboden abgab, auf dem der Sprößling wachsen konnte, die Bahn als innerstädtisches Verkehrsmittel ablehnt, hat die Forschungsingenieure nicht zu entmutigen vermocht. Das ihnen zur Entwicklung in die Hände gelegte Wenner-Gren-Kind wird unverdrossen großgezogen in der Gewißheit, daß es sich eines Tages in der Welt bewähren wird. Seine ihm zugedachte Laufbahn beginnt jedoch nicht in Deutschland. Das ist so gut wie sicher.

„Die Welt ist groß“

Nachdem nämlich außer Köln auch Hamburg, Bremen, Essen, Nürnberg, und zuletzt Frankfurt, vor dem Wagnis zurückschreckten, den Betrieb mit öffentlichen Verkehrsmitteln teilweise auf Alweg umzustellen und an Stelle von Unterpflasterbahnen eine einschienige Hochbahn zu bauen, hat die Forschungsgesellschaft am Hohenstaufenring die Hoffnung aufgegeben, mit ihrem Projekt zum erstenmal in einer deutschen Stadt ein überzeugendes Exempel statuieren zu dürfen. Alweg-Direktor H. G. Will, vor kurzem nach längerer Tätigkeit für die Alweg-Cooperation im Ausland zum Kölner Ingenieur-Team gestoßen, erklärt dazu mit breitschultriger Gelassenheit: „Von Resignation kann deswegen keine Rede sein. Die Welt ist schließlich groß. Wir arbeiten.“

Entwicklung abgeschlossen

An dieser Arbeit beteiligen sich indes längst nicht mehr so viele Köpfe wie vordem. Die Mannschaft der Alweg-Forschung ist während der letzten Jahre von über vierhundert auf unter einhundert zusammengeschrumpft. Vermutungen, daß dieser Kräfteschwund mit einem mangelnden Vertrauen in die eigene Sache zusammenhängen könnte, werden von der Forschungsgesellschaft wiederum energisch in Abrede gestellt. Die Reduzierung des Personalstands, so wird argumentiert, sei im Gegenteil ein Beweis für das Gedeihen des Werkes. Die Entwicklung der Einspurenbahn sei abgeschlossen. Deshalb käme man heute mit einer beschränkten Anzahl von Fachleuten aus. Der Prototyp der Bahn mit ihren Betonstützen und –schienen konzentriere sich auf Details. Die gegenwärtige Arbeit stehe fest. Zum Beispiel: Federung, Bereifung, Bremsen. Ferner bemühe man sich weiterhin um eine möglichst billige und schnelle Herstellung der Stützen und Fahrbalken.


Die Alweg-Bahn auf der „Italia 61“ in Turin. Hier ist das „Verkehrsmittel der Zukunft“ vorerst nur eine Ausstellungs-Attraktion

Der Optimismus, der in Alweg-Kreisen zur Schau getragen wird, wenn es darum geht, die zukunftsträchtige technische Bedeutung des Einschienenfahrzeugs zu verteidigen, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß man besorgt nach den Ursachen der Zurückhaltung forscht, mit der die Öffentlichkeit dem angeblich modernsten öffentlichen Verkehrsmittel gegenübertritt. Zwar wird die Bahn nach wie vor überall genügend bestaunt, aber sobald die Frage auftaucht „Bauen wir - ja oder nein?, rückt man vorsichtig wieder ab. Allgemeine Auffassung: Lieber mit dem Verkehr in die Erde als in die Luft.

Ein Grund für diese oft zu beobachtende Reserviertheit mag in der Tatsache liegen, daß es der Alweg-Gesellschaft nicht gelungen ist, eine Musterstrecke zu bauen, auf der man die gern gerühmten Vorzüge der Bahn - Schnelligkeit und Rentabilität - hätte unter Beweis stellen können. Alle Pläne dieser Art scheiterten, zumindesten in Europa, an ästhetischem Widerständen. „Städtebaulich unmöglich!“ Mit dieser Meinung kam schließlich auch das Kölner Projekt zu Fall.

„Wenn schon September wäre ...“

Daß sich die Alweg-Bahn mehr und mehr auf auf Ausstellungen abdrängen ließ, wird auch von der Forschungsgesellschaft unausgesprochen als ein Manko empfunden. Die sphinxhafte Erklärung von Direktor H. G. Will: „Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif, vielleicht haben wir auch hier und da einiges versäumt - wer weiß?“ Die Frage, warum nicht ein Teil der vielen investierten Millionen dazu verwendet wurde, irgendwo eine regelrechte Verkehrsstrecke zu eröffnen, bleibt jedenfalls ohne präzise Antwort.

Nicht weniger geheimnisvoll muten die Redewendungen an, die der selbstbewußte Alweg-Mann zur Darstellung der nahen Zukunft benutzt. Will: „Wenn wir schon September hätten, könnte ich mehr sagen.“ Er könnte nämlich sagen, ob die Verhandlungen mit Wien zum Erfolg geführt haben.

Sie waren abgebrochen worden, nachdem Alweg nicht bereit war, die Hälfte der Kosten für den Bau einer Strecke durch die österreichische Metropole zu übernehmen. Inzwischen sind jedoch wieder neue Verhandlungen im Gange. Von ihnen hängt ab, ob Wien die erste Stadt mit einer Alweg-Bahn wird.

Ein großes Handicap bei dem Bemühen, Gemeinden und Städte den Nutzen einer Einschienen-Hochbahn begreiflich zu machen, ist der Umstand, daß die Alweg-Leute nur die Betriebssicherheit, Reisegeschwindigkeit und Fahrbequemlichkeit nachweisen können. Über die Betriebsabwicklung, die Leistungsfähigkeit un die Wirtschaftlichkeit liegen jedoch keine genauen Unterlagen vor. Direktor Will: „Leider fehlen uns hier Erfahrungen. Eine Kalkulation ist sehr schwer möglich. Wir können höchstens sagen: Mehr Zuschüsse als für die konventionellen Verkehrsmittel braucht unsere Bahn nicht.“

Ihr Bau sei aber billiger als der einer Unterpflasterbahn, versichert man. In einer Alweg-Verlautbarung heißt es: Der Bau einer Untergrundbahn oder mehrerer teilweise unterirdisch geführter, schienengebundene Massenverkehrsmittel ist für viele Städte teuer. Während der sehr langen Bauzeit wird der Straßenverkehr stark behindert, ganze Straßenzüge werden abgesperrt, Versorgungsleitungen werden unterbrochen und müssen verlegt werden, vielfach ist die Abstützung von Gebäuden und die Einrichtung aufwendiger Entwässerungs- und Entlüftungsanlagen notwendig. Auf solche Buddelei könne man bei der Errichtung einer Alweg-Bahn verzichten, sagt man. Und dann zieht man einen der stärksten Trümpfe hervor: „Täglich kann eine Strecke bis zu hundert Meter verlegt werden!“

Derartige Vorteile scheint man allerdings nur in Übersee erkannt zu haben. Mit besonderem Stolz sprechen die Alweg-Spezialisten von Japan, nachdem zwischen Alweg und dem japanischen Konzern Hitachi, bei dem über 50000 Menschen beschäftigt sind, ein Lizenzabkommen getroffen worden ist. Noch in diesem Jahr wird eine doppelspurige Strecke mit vier Bahnhöfen im Fernen Osten fertig. Dieses kühne Vorhaben hat der Kölner Forschungsgesellschaft einen fühlbaren Auftrieb gegeben: Außer dem an den Rhein gerufenen Direktor H. G. Will traten in den letzten Wochen zwei erfahrene Fachleute dem Ingenieur-Team am Hohenstaufenring bei: Dr. Becker, ehemals Direktor der Waggon- und Lokomotivenfabrik im Krupp-Konzern, und Dr.-Ing. Gottfried Grohe, bisheriger Leiter des U-Bahn-Verkehrs der Hochbahn AG. Hamburg. Beide wurden technische Geschäftsführer der Alweg-Forschungs-GmbH. H. G. Wills goodwill einem Projekt gegenüber, dem er unverzagt große Chancen einräumt, kommt in der Bemerkung zum Ausdruck: „Man vergesse nicht: Wenner-Gren und Krupp sich immer noch enge Freunde.“ Bahnt sich hier ein Ausweg für Alweg an?

Zerrüttete Verhältnisse

Haben Kölns Stadtväter eine Aversion gegen die Alweg-Bahn? Diese Frage scheint nicht ganz unberechtigt zu sein. „Vor Jahren entwickelte die Stadt gewissermaßen Muttergefühle für die Einschienenbahn: Man gab ihr hier Quertier. Inzwischen deutet manches darauf hin, daß die Beziehungen stiefmütterlich geworden sind. Warum trat man beispielsweise nicht an die Alweg-Forschungs-GmbH heran, um sich von ihr wie andre Städte - wenigstens ein Gutachten über eine Alweg-Verbindung zwischen dem Stadtzentrum und der Gartenstadt Nord zu holen? Glaubt man, das Risiko ein gänzlich neuartiges Verkehrsmittel einzuführen, sei so groß, daß es sich nicht lohnt, überhaupt darüber zu reden? Oder nehmen wir die Verbindung Köln - Flughafen Wahn. Hier ist lediglich ein Plan der Köln-Bonner-Eisenbahnen im Gespräch. Stellungnahme von Alweg: Wir haben von dem Plan erst durch einen Bericht im Kölner Stadt-Anzeiger erfahren.“ Ist das Verhältnis zwischen Köln und Alweg zerrüttet? Die Forschungsgesellschaft teilt mit, daß sie noch nicht einmal wisse, ob es in Köln einen Generalverkehrsplan gebe.



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