Hamburger Abendblatt vom 11.-12. Januar 1958


Ist die Alweg-Bahn für Hamburg wirtschaftlich?

Hamburger Abendblatt an der Versuchsstrecke in Köln

Soll Hamburg eine Alweg-Bahn bauen? Diese Frage steht jetzt zur Diskussion. Am Donnerstag wird eine Senatskommission die 1,7 km lange Versuchsstrecke der Alweg-Bahn in Köln unter die Lupe nehmen. Die Kommission soll ein Gutachten darüber abgeben, ob eine Einschienen-Bahn für Hamburg wirtschaftlich ist. Es geht dabei vor allem um die Erprobung der Weichen. Das Hamburger Abendblatt war gestern in Köln dabei, als ein Alweg-Zug zum erstenmal zwei Weichensysteme erprobte.

Kein Zweifel: Hamburgs Nahverkehrsmittel brauchen eine Ausweitung. Billstedt, Wandsbek, Altona, Lokstedt und die Stadtteile südlich der Elbe warten auf bessere Verbindungen. Zudem: die 20 bis 27 Millionen Mark, die man jährlich für den U-Bahn-Bau aufwendet, reichen bei weitem nicht aus. Man wird mehr aufwenden müssen - und man muß vielleicht auch nach einer besseren Nutzung der Mittel suchen.

Die Fragen liegen auf der Hand: Soll man in Hamburg statt neuer U-Bahn-Strecken lieber eine Alweg-Bahn bauen? Kommt man damit schneller voran? Was die Ingenieure der Alweg-Bahn am Stadtrand von Köln auf schlanke Betonstelzen gestellt haben, ist zweifellos eine verkehrstechnische Sensation. Dabei ist die Sache einfach: Ein Alweg-Zug, bestehend aus zwei mit Harmonikabälgen verbundenen Wagen, reitet auf einem Betonbalken durch die Gegend. Jeder Wagen läuft auf zwei luftgefüllten Zwillingsreifen, wie man sie sonst an Lastzügen findet. Weitere Gummireifen an beiden Seiten des Betonbalkens garantieren, daß der Zug nicht schleudert oder abstürzt. Für den Antrieb sorgen Elektromotoren, die ihre 600 Volt aus Stromschienen seitlich des Fahrbalkens beziehen. Das ist alles.

Mutig haben sich die Alweg-Ingenieure auf verkehrstechnisches Neuland gewagt. Es bietet folgende Vorteile im Vergleich zum U-Bahn-Bau:

Das sind Vorzüge, die jedem Direktor eines Nahverkehrsunternehmens imponieren. Aber man wird beim Abwägen der Vor- und Nachteile nicht darüber hinwegsehen können, daß ein Alweg-Wagen wesentlich teurer ist als ein U-Bahn-Wagen. Zudem bietet ein Alweg-Wagen weniger Plätze als ein gleich großer U-Bahn-Wagen, weil die Verkleidung der Antriebsräder vorn und hinten störend in den Fahrgastraum hineinragt. Ein 30 Meter langer Zug, der aus drei Wagen besteht, wird 94 Sitz- und 206 Stehplätze haben.

Probleme tauchen bei der Konstruktion der Bahnhöhe auf. Wie kann man es vermeiden, daß wartende Fahrgäste von der Bahnsteigkante abstürzen? Zwischen Fahrbalken und Bahnsteigkante klafft nämlich ein über einen Meter breiter Spalt. Acht bis zehn Meter darunter liegt der Erdboden. Man denkt an ein versenkbares Gitter, das an der Versuchsstrecke allerdings noch nicht vorhanden ist. Dort hat man lediglich provisorisch ein Netz gespannt.




Gestern am Stadtrand von Köln: Der Alweg-Zug auf der Versuchsstrecke kurz vor einem Bahnhof. Die beiden Wagen können etwa 200 Personen aufnehmen. Für den Massenbetrieb lassen sich beliebig viele Alweg-Wagen zusammenkoppeln.

Und was geschieht, wenn ein Zug auf freier Strecke aus irgendwelchen Gründen halten muß? Wie sollen die Fahrgäste dann wieder zur Erde kommen? Natürlich, Strickleitern und Taue hat man an Bord. Aber kann man beispielsweise einer Greisin ein derartiges „Fallreep“ zumuten? Nicht auszudenken, was bei einer Panik im Zug passiert!

Ein anderes Problem: die Weichen. Das Hamburger Abendblatt nahm gestern an der Jungfernfahrt über die beiden ersten Weichen teil, die nach verschiedenen Systemen konstruiert wurden. Man fuhr noch im Schrittempo, aber schon bald, so hoffen die Alweg-Ingenieure, kann man die komplizierten, 45 m langen Weichen mit höherer und höchster Geschwindigkeit passieren. Besonders für die Technik dieser Weichen wird sich die Kommission interessieren, denn eine Bahn mit schwerbeweglichen und reparaturanfälligen Weichen ist als Nahverkehrsmittel für Hamburg undenkbar. Erfahrungen können die Alweg-Ingenieure mit ihren Weichen noch nicht haben. Vermutlich hat man auch noch nicht ihre endgültige Form gefunden.

Fest steht nur dies: Das Stellen der Weichen dauert zehn Sekunden. Bei der U-Bahn geht es schneller, aber für einen Zwei-Minuten-Zugbetrieb auf der Alweg-Bahn wären die zehn Sekunden ausreichend.

Natürlich ist die Weichenverriegelung mit den Signalen gekoppelt, so daß ein Unglück bei fehlerhaft gestellter Weiche nicht zu befürchten ist. Wer bei der U-Bahn soll beim Überfahren von Signalen, die auf „Halt“ stehen, durch „induktive Zugsicherung“ Notbremsung ausgelöst werden. Aber zunächst steht das nur auf dem Papier, denn an der Versuchsstrecke gibt es keine Signale.

Sehr wenig weiß man bisher auch über die Reparaturanfälligkeit der Weichen, über die Witterungsbeständigkeit des Fahrbalkens und über die Abnutzung der Gummiräder. Die Antriebsreifen sollen mindestens 150000 Kilometer reichen. Für den Fall, daß plötzlich ein Reifen platzt, hat man kleine Ersatzräder eingebaut, die ein Schleudern des Zuges verhindern. Vom Fahrerstand ist jederzeit feststellbar, ob der Reifendruck ausreicht. Bisher hat der Versuchszug fast 700 Kilometer gelaufen. Ohne Panne.

Die Kommission des Senats wird sehr genau Vorzüge und Nachteile der Alweg-Bahn prüfen müssen. Bisher hat noch keine Stadt eine Einschienenbahn gebaut. Es liegen also keine Erfahrungsberichte vor.

Eins ist allerdings sicher: Man wird in Hamburg mehr für den Nahverkehr tun müssen. Was und wie, das wird das Diskussionsthema der nächsten Monate sein.

Egbert A. Hoffmann

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