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Artikel 1965

Reportage

Zaubermittel gegen Verkehrschaos?
Diskussion über Alweg-Bahn geht weiter

Von Rainer Rauhut


Seit zwölf Jahren gibt es die Alweg-Bahn. Wenigstens auf dem Papier. Ihre Konstrukteure behaupten, sie sei das Ei des Kolumbus. Sie könne unsere Großstädte billig, schnell und wirksam von einer ihrer Sorgen befreien: von der Verkehrsmisere. Über die Alweg-Bahn ist oft diskutiert worden. Auch in der Bundesrepublik haben Großstädte sie immer wieder auf ihre Brauchbarkeit hin überprüft. Doch keine hat sich bisher entschließen können, dem Projekt Raum zu geben. Warum? Unser Bericht untersucht die Ursachen, die schuld daran sind, daß der Alweg-Bahn bisher der entscheidende Durchbruch nicht gelungen ist. Welche Chancen hat das Projekt?

Der Straßenverkehr in den Großstädten nimmt mehr und mehr chaotische Formen an. Einigermaßen glücklich dran sind Städte wie Hamburg, Berlin, Paris oder London, die beizeiten in die Zukunft planten und sich mit Untergrund- und Hochbahnen für den Verkehrsansturm wappneten. Andere Städte, die in den letzten Jahrzehnten zu gewaltigen Ballungszentren herangewachsen sind, stehen nun vor dem Problem, des über ihr Fassungsvermögen gestiegenen Straßenverkehrs Herr werden zu müssen. Allerorten diskutiert man heftig über die Beseitigung der Schwierigkeiten, die alltäglich durch von Autos, Straßenbahnen und Autobussen verstopfte Straßen gekennzeichnet werden. Es muß etwas getan werden. Darüber sind sich alle Beteiligten seit langem einig.

Als Ausweg aus dem bedrohlichen Verkehrsgewühl bieten sich an: die U-Bahn, der "Zwitter" Unterpflasterbahn, die konventionelle Hochbahn und nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt die Alweg-Bahn.

"Alweg" ist die Zusammensetzung aus den Initialen des schwedischen Großindustriellen Dr. Axel-Lennert Wenner-Gren und als solche eingetragenes Warenzeichen für eine "neuartige, elektrisch betriebene Nahverkehrs-Schnellbahn".

1951 gab Wenner-Gren einer Gruppe von Ingenieuren und Verkehrsfachleuten in Deutschland den Auftrag zur Entwicklung eines neuen Nahverkehrs-Systems. Es sollte

 

Erfahrungen

Die Arbeitsgruppe machte sich an die Aufgabe und entwickelte eine Bahn, die einen gleichzeitig als Fahrbahn und als Tragkörper dienenden 1,40 m hohen und 0,80 m breiten Balken aus Stahlbeton sattelförmig umgreift. Gummibereifte Tragräder laufen auf der Balkenoberfläche. An den Seiten rollen ebenfalls gummibereifte Führungs- und Stabilisierungsräder ab. Der Fahrbalken ist in der Regel 20 m lang und ruht auf 4 bis 6 m hohen Stahlbetonsäulen.

In Köln-Fühlingen wurden seit 1952 Erfahrungen mit diesem jungen Verkehrsmittel gesammelt. Zunächst im Maßstab 1:2,5, seit 1957 auf einer 1605 m langen Strecke in Normalgröße. Die Versuchsstrecke wird mit einem Zweiwagenzug befahren und ist mit modernen Sicherheitseinrichtungen, einer Haltestelle und mit den für Alweg entwickelten Weichensystemen ausgestattet.

Die seit Anfang 1963 in Krupps Besitz übergegangene Alweg-GmbH empfiehlt ihr System mit dem Verweis auf folgende Vorzüge:

Das Alweg-System scheint demnach auf den ersten Blick die erforderlichen Bedingungen für die optimale Lösung des Straßenverkehrsproblems zu erfüllen. Ja, es scheint geradezu prädestiniert, den Stadtvätern die drückendste aller Sorgen abzunehmen.

 

Pluspunkte

Warum, so fragt man sich, gibt es also noch keine öffentliche Alweg-Bahn in Deutschland? Obwohl beinahe alle deutschen Großstädte mit Alweg geliebäugelt und den Bau dieser Bahn ernsthaft erwogen haben.

In der Baukostenfrage, die ja eine wesentliche Rolle spielt, kann das Alweg-System ohne Zweifel Pluspunkte für sich buchen. Die Kosten für eine Alweg-Strecke in Deutschland, bei normalen Bodenverhältnissen und ohne besondere Brücken- und Tunnelbauten, wird mit 4,5 bis 5,5 Millionen Mark je Kilometer angegeben. Nicht enthalten sind die Kosten für Fahrzeuge und Grunderwerb. Zum Vergleich: ein Kilometer konventioneller Hochbahn kostet etwa das Doppelte, ein Kilometer U-Bahn sogar mehr als das Fünffache nämlich 25 bis 35 Millionen DM.

Das klingt imposant. Doch diese Kalkulation läßt sich nicht halten, wenn Alweg in die Innenstädte vordringen soll. Es ist schlicht undenkbar, daß um den Kölner Dom oder den Frankfurter Römer in 4 bis 6 m Höhe ein Betonbalken gelegt werden könnte, der im Abstand von je 20 Meter auf Betonpfeilern ruht (selbst wenn diese je nach Wunsch rund, eckig oder gar als ionische Säulen gestaltet werden können), ohne daß das ästhetische Empfinden arg strapaziert würde. Vermutlich käme es zu lautstarken Protesten, die ein solches Projekt zu Fall brächten. Es bliebe also auch für Alweg keine andere Wahl, als sich in die Erde einzubuddeln. Damit wären die niedrigen Baukosten illusorisch.

Gleiches gilt für die Bauzeit. In einem Jahr kann man im allgemeinen nicht mehr als 2,2 km U-Bahn-Strecke verlegen. Alweg benötigte für die 13,2 lange Strecke zwischen dem Flughafen Tokio und der Innenstadt unter sicherlich schwierigen topographischen Voraussetzungen nicht mehr als 17 Monate .... aber eben oberhalb der Erdkruste.

Der ästhetische Aspekt mag bei vielen Stadtparlamenten dazu beigetragen haben, die Alweg-Bahn als Verkehrsträger abzulehnen. Hinzu kommt allerdings, daß sich manche Fachleute skeptisch über das System geäußert haben. Sie nennen vor allen Dingen immer wieder folgende Probleme, zu denen sie kritisch Stellung nehmen: die Weichensysteme, die Frage der Wirtschaftlichkeit, den Kurvenradius und die Gefahr bei Eisbildung und bei Schnee auf dem Fahrbalken.

Dr.-Ing. Gottfried Groche, bis 1961 Leiter des U-Bahn-Verkehrs der Hochbahn AG Hamburg und seither technischer Geschäftsführer der Alweg-GmbH, macht kein Hehl daraus, daß er die U-Bahn

Nach wie vor für das ideale Verkehrsmittel hält. Groche: "Wer Geld und Zeit genug für den Bau einer U-Bahn hat, soll sie bauen." Er ist jedoch ein entschiedener Gegner der Unterpflasterbahn, wie sie Köln und Essen gewählt haben. Dr. Groche, der immerhin seine Karriere bei der Hamburger U-Bahn abgebrochen hat ("Ich habe schließlich etwas aufgegeben") säße, wie er sagt, nicht auf dem Alweg-Chefstuhl, wenn er dem Projekt keine Zukunft gäbe.

Groche ist es gewohnt, kritische Fragen über seinen Zögling zu beantworten. Das Weichenproblem hält er seit dem Bau der ersten Alweg-Weiche 1957 in Köln-Fühlingen für gelöst. Inzwischen seien nur Verbesserungen durchgeführt worden mit dem Ziel, die Kosten für die Weiche zu senken und die Umstellzeit zu verkürzen. Sie betrage jetzt 10 Sekunden. Selbstverständlich seien alle modernen Sicherungsvorkehrungen getroffen, so daß ein Zug bei falscher Weichenstellung rechtzeitig automatisch gebremst werde.

Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit indes läßt sich schwer beantworten. Es fehlen die Erfahrungen. Nach den von Fachleuten errechneten Daten werden die Betriebskosten – bedingt durch höheren Stromverbrauch und durch den Reifenverschleiß – nicht mehr als 1 Prozent über denen anderer Schnellbahnsysteme liegen. Die Strecken-Wartungskosten lägen bei Alweg jedoch weit tiefer.

Nach den Verkehrsvorschriften, denen deutsche U- und Alwegbahnen unterliegen, müssen die Kurvenradien mindestens 100 m betragen. Die Alweg-Fahrzeuge sind so gebaut, daß sie Kurven mit diesen Mindestradien durchfahren können. Im übrigen wird Anfang 1965 mit der Erprobung einse neu konstruierten Drehgestells begonnen, da zu besserer Kurvenläufigkeit, zu bequemeren Fahreigenschaften und zu geringerem Reifenverschleiß beitragen soll. Bei der Neukonstruktion fallen auch die störenden Radkästen fort, die bei den bisherigen Modellen in den Kabinenraum ragten.

 

Auch bei Schnee?

Die Frage nach der Fahrbeeinträchtigung durch Eis und Schnee veranlaßt Bauassessor Dipl.-Ing. Gerhard Scheen, Chef des Fühlinger Alweg-Teams, zu einer wegwerfenden Handbewegung. "Wir haben alljährlich nur wenige Tage wirklich gefährliches Glatteis. Aber natürlich können wir den Fahrbetrieb dann nicht einstellen." Er erklärt, daß Heizgeräte in den Fahrbalken eingebettet sind. Ein Thermostat regele die Beheizung, sobald die Außentemperatur auf den Gefrierpunkt sinkt. Und Schnee? "Kein Problem! Vor die Züge gekoppelte rotierende Schneebesen fegen ihn von dem Fahrbalken."

Die Gegenargumente der Alweg-Leute klingen plausibel. Doch die Fachleute blieben bisher skeptisch. Besonders das Weichensystem behagt ihnen nicht. Sie zweifeln an der Möglichkeit der Netzbildung, die naturgemäß bei diesem Gleissystem schwieriger ist als bei den herkömmlichen Schienen.

Des weiteren bemängeln einige die weichen Schwingungen, die sich während der Fahrt einstellen. Doch hier gibt es auch Stimmen, die vom besonders ruhigen Fahrverlauf des Alweg-Gefährts sprechen.

Sehr wichtig ist die Frage nach der Rentabilität einer Alweg-Strecke, wie sie z.B. von Köln zum Flughafen Wahn erwogen wurde. Auf Anfrage erklärten dazu die Kölner Verkehrsbetriebe, daß nicht einmal ihre Linienbusse ausgelastet seien. _Auch durch den geplanten Ausbau des Flughafens dürfte das Pasagier-Aufkommen kaum so stark erhöht werden, daß der Bau einer besonderen Bahn zu rechtfertigen wäre, es sei denn um der Bequemlichkeit der Fluggäste willen.

Auch diese Erwägungen schlagen bei der Entscheidung zugunsten des einen oder anderen Systems zu Buch.

Sei das Unternehmen zum Krupp-Konzern gehört, sind die propagandistischen Bemühungen stark intensiviert worden. Sieben in Betrieb befindliche Alweg-Bahnen dienen als Paradepferde:

Eine dieser japanischen Bahnen markiert einen bedeutsamen "Kilometerstein" in der Geschichte dieses unkonventionellen Verkehrsmittels. Es ist die Linie Tokio City – Tokio Flughafen /Haneda-Linie), die seit dem 17. September 1964 als reguläre Verkehrsverbindung in Betrieb steht. Das bedeutet Bruch des Bannes "Nur für Messen – nicht für Massen", der bisher auf allen Alweg-Bahnen lastete. Und es bedeutet Auftrieb für die Ingenieure und Techniker der Alweg-GmbH.

Turin, Genua, Sydney und Japan planen den Bau weiterer Alweg-Bahnen. In Südamerika könnte täglich mit dem Bau begonnen werden. Dort mangelt es jedoch an finanzieller und politischer Sicherheit.

Schützenhilfe

Ist Deutschland, die Geburtsstätte der Alweg-Bahn, rückständig? Oder sind die Zweifel an dem System tatsächlich so berechtigt, daß man nirgends einen Versuch wagt?

Am 15. September 1964 bekam die Alweg-GmbH Schützenhilfe von einflußreicher Seite. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Meyers gab anläßlich einer Pressekonferenz bekannt, daß die Landesregierung einem Ingenieur-Büro einen Forschungsauftrag in Sachen Alweg erteilt hat. Die Bedingungen für drei projektierte Bahnen sollen erarbeitet werden: von Essen nach Velbert, von Dortmund nach Bochum und von Köln (Ebertplatz) in die "Neue Stadt".

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So sollte nach dem Willen der Alweg-Planer die Strecke Ebertplatz-Amsterdamer Straße aussehen.
Zeichnung: Karge / KStA

In die Forschungskosten teilen sich paritätisch Landesregierung, Alweg-GmbH und die beteiligten Kommunen. Die Forschungsarbeiten werden acht bis zehn Monate in Anspruch nehmen. Danach wird man weiter sehen.

Eine Kölner Alweg-Bahn mit den geplanten Endpunkten hätte allerdings den Nachteil, daß Fahrgäste, die vom Ebertplatz in die Innenstadt weiterfahren wollen, umsteigen müssen. Oder sollte es so kommen, wie Dr. Groche prophezeit hat, daß nämlich die "anderen" die Tunnel graben, Alweg aber dann darin fährt?

Ein echter Leistungs- und Rentablitätsvergleich zwischen den Konkurrenten wir nur möglich sein, wenn man der Alweg-GmbH die Möglichkeit gibt, in Deutschland eine Bahn für den öffentlichen Verkehr zu bauen, meint Geschäftsführer Dr. Groche. Und er fügt hinzu: "Die Praxis wird beweisen, daß unsere optimistischen Prognosen berechtigt sind."

Quelle: Artikel Fachzeitschrift unbekannt - Sammlung Otterbach 

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