DAS
BAND zu Millionen, April 1959
Die Zukunft hat grünes Licht
Von Hans Ulrich Spree
In Fotomontagen führt die ALWEG-Bahn bereits durch viele Großstädte. Es sind kühne, faszinierende Bilder. Aber die Faszination weicht bald dem Gedanken: warum wird diese ALWEG-Bahn eigentlich in keiner Großstadt gebaut? Warum greift man nicht zu dieser Lösung großstädtischer Verkehrsprobleme warum verschafft man sich nicht Luft, indem man in die nächsthöhere "Etage" ausweicht?
Aber in Köln-Fühlingen, im Norden der Stadt, hat man nicht nur Fotomontagen, Verkehrsstudien, papierene Pläne vorzuweisen. Man hat mehr: die ALWEG-Bahn ist hier greifbar da. Auf dem Gelände der ALWEG-Forschungs-GmbH befindet sich eine fast zwei Kilometer lange Versuchsstrecke mit einem Versuchszug. Kaiser Haile Selassi I. sah und benutzte ihn ebenso wie die in der Bundesrepublik akkreditierten Handelsattaches, die kürzlich in Fühlingen zu Gast waren, oder die Verkehrsdezernenten vieler in- und ausländischer Großstädte.
Und dennoch: "Die ALWEG-Bahn gibts noch nicht, weil es sie noch nicht gibt!" Das ist kein Journalisten-Kalauer, sondern die nüchterne Erklärung des Sachverhalts. Keiner scheint den Mut zu haben, sich als erster zu dieser Lösung der großstädtischen Verkehrsprobleme zu bekennen. Und entsprechend zu investieren. Jeder wartet offenbar auf den andern.
Die Zukunft des Großstadtverkehrs hat in Köln-Fühlingen längst "grünes Licht". Man könnte sofort abfahren. Aber es fehlen die Leute, die sich diesem "Zug" zum Fortschritt anschließen. Noch fehlen sie.
Und die ALWEG-Bahn gibt es noch nicht, weil es sie noch nicht gibt ...
1951 erhielt eine deutsche Ingenieurgruppe den Auftrag, ein neues Verkehrssystem zu entwickeln. Auftraggeber war der schwedische Großindustrielle Dr. Axel L. Wenner-Gren. Er ging dabei davon aus, daß vor allem der Großstadt-Verkehr die Tendenz entwickelt, sich selber mehr und mehr im Wege zu stehen: Verkehrsstauungen, Parkraummangel, Halteverbote, Einbahnstraßen, Reibungen zwischen Massenverkehrsmitteln und dem sogenannten Individualverkehr und kaum eine Möglichkeit, diese Probleme "zu ebener Erde" zu lösen.
Vor dem Hintergrund dieser sich zuspitzenden großstädtischen Verkehrsprobleme tüftelte man in Köln-Fühlingen das ALWEG-System aus, abgekürzt benannt nach dem Auftraggeber und Finanzier dieser Forschung- und Entwicklungsarbeiten, Axel L. Wenner-Gren.
Man war sich darüber klar, daß der Bau von Untergrundbahnen in vielen Fällen nicht in Frage kommt, weil er einfach zu teuer ist. 15 Millionen DM pro Kilometer gelten als Minimum. Die Unterpflaster-Straßenbahn, als U-Bahn-ähnliche Lösung, ist ebenfalls nicht billig vor allem, weil man vorher nicht weiß, was für Komplikationen sich ergeben,
sobald man "in die Tiefe" geht. Außerdem: U-Bahn und Unterpflasterbahn erfordern eine relativ lange Bauzeit, während der Verkehr zu ebener Erde nicht ungestört davonkommt.
In Fühlingen entwickelte man die Lösung daher auf einer "höheren Ebene", ohne allerdings dem Vorbild einer Hochbahn oder einer Schwebebahn zu folgen. Und im Herbst 1952 führte man das Ergebnis vor:
Einen Bahnkörper aus Betonbalken mit rechteckigem Querschnitt, der gleichzeitig als Träger und als Fahrbahn dient und von Stützen getragen wird dazu ein Fahrzeug, dessen Fahrwerk den Fahrbahnbalken sattelförmig umgibt, auf der oberen Fläche die Tragräder, an den beiden Seitenflächen die Führungs- und Stabilisierungsräder.
Versuchsstrecke und Versuchszug hatte man damals zwar nur im Maßstab 1:2,5 gebaut immerhin: Die Experten, die nach Fühlingen kamen, waren schnell davon überzeugt, daß hier eine in höchstem Maße diskutable Lösung für großstädtische Verkehrsprobleme angeboten wurde. Seitdem ist es um die ALWEG-Bahn nicht still geworden. Und es gibt kaum noch eine Debatte über die Entwirrung des sich immer mehr verknotenden Großstadtverkehrs, bei der das ALWEG-System nicht im Gespräch ist.
In Fühlingen hat man in den letzten Jahren noch viel getan, um den Argumenten zugunsten des ALWEG-Systems volles Gewicht geben zu können. Die Versuchsstrecke und der Versuchszug für Stadtverkehr, die seit 1957 in Normalgröße vorgeführt werden, illustrieren ziemlich überzeugend, was man bei der ALWEG-Forschungs-GmbH u.a. vorrechnet:
Das ALWEG-System entlastet die Straße vom Massenverkehr, beansprucht dabei aber selber nur einen minimalen Teil der Straßenfläche und behindert den Querverkehr nicht; ALWEG-Züge, bei denen man die Einheiten je nach Bedarf kombinieren kann, haben eine hohe Reisegeschwindigkeit, bieten einen hohen Sicherheitsgrad und rufen keinerlei Geräuschbelästigung hervor: hier rollen Gummireifen normaler Fertigung auf Beton.
Bei der ALWEG Forschung ist man dem eigenen System gegenüber äußerst kritisch. Die Einrichtungen werden immer wieder gnadenlos getestet. Aber man ist auch davon überzeugt: das ALWEG-System bietet nicht zuletzt wegen des niedrigen Kapitalbedarfs und der niedrigen Unterhaltungskosten eine optimale Lösung, wenn eine "Homogenisierung" des Straßenverkehrs angestrebt wird. Dabei ist klar, daß das ALWEG-System nicht überall da verwandt werden kann, wo man eine alte Straßenbahn aus einer zu engen Straße hinausschmeißt. Es empfiehlt sich dort, wo der Massenverkehr wirklich massiert auftritt auch da , wo man z.B. Trabantenstädte mit einer "City" verbinden will. Dort aber ist es nahezu ideal.
Verschandelt das ALWEG-System das Stadtbild? Die Fotomontagen beweisen das Gegenteil, und was man in Fühlingen sieht, ist zwar nackter Beton, aber alles andere als abstoßend. Dennoch: das Neue ist eben zu neu. Und das nötigt selbst fortschrittlichen Stadtparlamenten Hemmungen auf.
So könnte es dazu kommen, daß die in Deutschland entwickelte ALWEG-Bahn erst über einen Umweg in die USA nach Deutschland zurückfindet: wahrscheinlich wird die erste ALWEG-Bahn außerhalb Fühlingens in Los Angeles gebaut werden. Sie wird durch den Kultur- und Ausstellungspark Disneyland fahren. Und zwar unter dem Kennwort "Land der Zukunft" ...
Quelle: Presseartikel: Das Band zu
Millionen - Sammlung Otterbach
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