Köln-Bonner Eisenbahnen



Köln-Bonn .. Rheinuferbahn ein Jahrhundert am Strom .. 06./07. Mai 2006

Erste kommunale Schnellbahn

Die Rheinuferbahn ist gestern in festlicher Weise eröffnet worden. Damit ist der Wunsch vieler Ortschaften erfüllt, die bisher abseits des Verkehrs lagen, und zwischen Bonn und Köln besteht ein Nahverkehr, den man längst erwarten konnte. Nach 10jähriger Bauzeit ist das Ziel erreicht.

Städtische Nachrichten
Kölnische Zeitung, 12.01.1906

Gestern Nachmitttag erfolgte mit einer Festfahrt von Bonn nach Köln die feierliche Eröffnung der Rheinuferbahn zwischen Köln und Bonn, der ersten kommunalen Schnellbahn, in Gegenwart der Spitzen der Behörden, der Vertreter des an dem Unternehmen beteiligten Stadt- und Landkreises Köln und durch die Bahn berührten Kreise. An zwei Sonderzügen fuhr die etwa 200 Festteilnehmer zählende Festversammlung, an der der Oberpräsident Freiherr von Schorlemer-Lieser, Excellenz von Rasse, Gouverneur General der Infanterie Freiherr von und zu Egloffstein, Landeshauptmann von Renvers, Regierungspräsident Dr. Steinmeister, der Oberbürgermeister von Köln und Bonn teilnahmen, um 3 Uhr von Bonn nach Köln, wo im Anschluß an die Eröffnungsfeier ein Festmahl von etwa 200 Gedecken stattfand. Dem Beigeordneten Zschirnt und dem Direktor Rolfs der Köln-Bonner Kreisbahn wurde auf Anlaß der Vollendung dieser ersten kommunalen Bahn der Rote Adler-Orden 4. Klasse verliehen.

Auf Bonn
General-Anzeiger Bonn, 12.01.1906
Eröffnungs-Feier der Uferbahn.

So hatte der Himmel denn doch ein Einsehen gehabt und uns für die Eröffnungsfeier - richtiger wohl Probefahrt zu nennen - die diesjährige Regenzeit durch einen annehmbaren Nachmittag unterbrechen zu lassen. Es schien sogar die Sonne recht warm vom Himmel als pünktlich um 3 Uhr der Zug der Kölner in dem kleinen Stationsgebäude an der Bahnhofstraße einlief. Wohl hundert Teilnehmer hatten sich von der Nachbarstadt aus eingefunden.

Ebenso viel ungefähr mögen sich in Bonn angeschlossen haben, sodaß die erste Frequenz der neuen Bahn mit zwei bis auf den letzten Platz gefüllten Zügen zu drei Wagen recht vielversprechend war. Unter den Teilnehmern bemerkten wir den Oberpräsidenten der Rheinprovinz Freiherrn von Schorlemer-Lieser, Exzellenz von Rasse, Gouverneur General der Infanterie Freiherr von und zu Egloffstein, landeshauptmann von Renvers, Regierungspräsident Dr. Steinmeister, Oberbürgermeister Becker von Köln, Oberbürgermeister Spiritus von Bonn, eine größere Anzahl höherer staatlicher und kommunaler Beamter, ferner das Stadtverordnetenkollegium von Bonn und Köln.

Genau zur angesagten zeit begann auch diesmal die Fahrt. Möge sich das Bähnchen die bei dieser Eröffnungsfeier bekundete Pünktlichkeit auch in seinem weiteren Lebenslauf zum Exempel nehmen. Bei der Abfahrt von Bonn und auf allen weiteren Stationen wurden die Teilnehmer durch Musik, Hurrarufe und Böllerschüsse empfangen. Letztere wurden beim ersten mal von einigen offenbar, mit der Lehre von der Elektrizität schlecht vertrauten Fahrgästen nicht ohne Besorgnis als „Kurzschlüsse“ angesehen.

Leider ging es von vornherein nicht ohne einen kleinen Unfall ab. An der Ellerstraße wurde ein Pferd überfahren und tötlich verletzt.

Was nun den Empfang an den einzelnen Stationen betrifft, so läßt sich nur zusammenfassend sagen, daß jede Gemeinde, groß oder klein, in festlicher Bewillkommung ihr bestes getan hatte. Station neuer Friedhof war von einer Schar von Zöglingen der Erziehungsanstalt St. Josef an der Höhe besetzt, die, mit einer Art Ulanen-Uniform bekleidet, einen Tusch bliesen, der sich hören lassen konnte.

In Hersel hatte das dortige Pensionat der Ursulinerinnen zur Feier beigesteuert. Der Oberpräsident von Schorlemer-Lieser weilte mit der Oberin Minuten lang im Gespräch. Bei der Station Wesseling wurde Halt gemacht und die Betriebsanlagen der Kraftstation einer Besichtigung unterzogen. Auch hier, wie an allen weiteren Stationen, zeigte die Bevölkerung ein lebhaftes und - was wohl das beste ist - ungeheucheltes Interesse. „Hätten sie doch“, wie Freiherr von Schorlemer in seinem Trinkspruch später treffend bemerkte, „endlich ihr Plätzchen an der Sonne des Verkehrs gefunden!“

Hat unsere liebe Nachbarstadt Köln durch die frühere Eröffnung der Strecke Hersel - Köln - um wie viel früher, wissen wir ja noch nicht einmal - einen sogenannten „Rebbel“ gemacht, so müssen wir ihr doch zugestehen, daß sie bei dem Festmahl die redliche Absicht an den Tag legte, durch eine wohlgelungene Speisefolge und durch einen noch wohlgelungeneren Griff in die Tiefen ihres Gürzenichkellers dem Feste einen, wenn wir so sagen sollen, auch physisch angenehmen Verlauf zu verleihen, und die Nörgler im wahrsten Sinne des Wortes abzuspeisen.

Nach dem ersten Gange ergriff der Oberpräsident von Schorlemer das Wort. In markanten Zügen gab er der Bedeutung der Rheinuferbahn als der ersten kommunalen Schnellbahn Ausdruck.

„Nicht nur die Städte Köln und Bonn haben durch diese Bahn einen neuen direkten Verkehrsweg erhalten, sondern auch die Ortschaften, deren Bevölkerung und bisherige Entwicklung mit aller Sicherheit erwarten läßt, daß sie sich keine Gelegenheit entgehen lassen werden, sie werden des möglichsten Vorteil auf der neuen Bahnverbindung zu ziehen wissen. Es ist daher wohl berechtigt, daß wir die Vollendung der Rheinuferbahn in ihrem ehrwürdigen Gürzenich festlich begehen, und ich bin Ihnen allen recht dankbar, daß ich auch heute mit Ihnen des gelungenen Werkes mich hier freuen kann.“

Seine Rede klang in ein Hoch auf seine Majestät den Kaiser auf.

„Welche Gesinnung seine Majestät der Kaiser der Provinz und ihrem Wohlergehen entgegenbringt, hat Allerhöchstderselbe im September vorigen Jahres bei Festtafel in Koblenz in herrlichen Worten beredt zum Ausdruck gebracht. Deshalb darf ich wohl mit Recht sagen, daß alle Rheinländer, die Vaterland und Heimat lieben, in treuer Gesinnung dankbar sind für alles das, was Seine Majestät für die Perle der preußischen Provinzen gewirkt und geschaffen hat, daß Sie einig sind und mit in dem Wunsche, daß Seine Majestät noch lange Jahre beschieden sein mögen, dem Lande und Volke die Segnungen des Friedens zu erhalten, einig aber auch in dem Bestreben des Thrones feste Stütze und des Rheines sichere Warte zu sein, die das geliebte Vaterland gegen äußere und innere Feinde schützen wollen.“

Auf den Vorschlag des Oberbürgermeisters Becker sandte die Festversammlung an den Kaiser folgendes Telegramm:

Seiner Majestät dem Kaiser, Berlin
Die zur feierlichen Eröffnung der Rheinuferbahn von Bonn nach Köln, der ersten kommunalen Schnellbahn, nach glücklicher Fahrt im Gürzenich vereinigte Festversammlung spricht Euer Majestät für die huldvolle Förderung des Unternehmens den untertänigsten Dank aus. Becker, Spiritus, Oberbürgermeister, Minten, Graf von Galen, Landräte.

Herr Oberbürgermeister Becker dankte den Behörden für ihre wohlwollende Unterstützung und verlas ein Telegramm des Herrn Geheimrat von Sandt, den schwere gesundheitliche Sorgen von der Feier fern hielten. Das Telegramm wurde im Laufe der Versammlung beantwortet. Auf den Vorschlag des Redners wurde Herrn Minister von Budde drahtlich Dank für die dem Unternehmen gewidmete Unterstützung ausgesprochen. Herr Eisenbahndirektionspräsident Breitenbach sprach auf dem Vorstand und den Aufsichtsrat der Bahn-Gesellschaft. Herr Regierungspräsident Dr. Steinmeister betonte, daß er noch nirgendwo so angenehme Beziehungen zwischen Stadt und Land gefunden habe wie hier. Er widmete sein Glas den vier beteiligten Kreisen. In außerordentlich humorvoller Weise sprach Herr Oberbürgermeister Spiritus auf den Leiter des Unternehmens, Herr Direktor Rohlfs. Nur etwas könne man - so merkte der Redner unter großem Jubel der Versammlung, besonders seitens der Bonner Tische - nur eins könne man an dem jungen Unternehmen aussetzen, daß nämlich bezüglich der Eröffnung die armen Bonner den Kürzeren gezogen hätten. Herr Rohlfs dankte und erwähnte die Firmen, die sich um den Bahnbau durch prompte Lieferung und exakte Ausführung ein Verdienst erworben hätten.

Erst in später Stunde - wie spät es für den Einzelnen war, verschweigt der Chronist, denn er weiß es nicht - also auf jeden Fall erst in recht später Stunde trennten sich die Festgenossen.



General-Anzeiger Bonn, 28.05.1906

Köln-Bonner Kreisbahnen.
Rheinuferbahn

Abfahrt von Bonn:
Jede volle Stunde ein Schnellzug. 20 Minuten nach voll ein Personenzug.

Abfahrt von Köln:
Jede volle Stunde ein Schnellzug. 30 Minuten nach voll ein Personenzug.

Sonntags fährt noch um 10.20 und 11 Uhr abends ein Zug von Bonn nach Köln.

Fahrpreise:
Bonn-Köln II. Klasse 1,20 Mark
Bonn-Köln III.Klasse 0,80 Mark


Hin und her auf der Uferbahn.
General-Anzeiger Bonn, 22.05.1906

Es will doch was heißen, jede Stunde und in jeder Richtung zwei Züge von mindestens zwei Wagen verkehren zu lassen. Das waren feine Köpfe, die das Programm und auch den so einfachen Fahrplan entworfen, denn sie haben das Rechte getroffen und mit Geschick den schlummernden Verkehr zu erwecken verstanden. Jeder Zug hat seine Besetzung, tagtäglich; die Abendzüge aber sind über besetzt und diejenigen, die in die Ausflugs- und Wanderstunden der Sonntage fallen, kann man recht gut mit gefüllten Heringstonnen vergleichen.

Da werden für den Sommer außerordentliche Maßregeln zu treffen sein, und dem bestimmt eintretenden gewaltigen Andrang gerecht zu werden.

Knie an Knie fuhr heute mit mir ein Landmann aus der Swistgegend; ein däftiger, aufgeklärter Bauer war es und räsonieren konnte er, daß ich und die ganze Nachbarschaft Freude daran hatten. Es war ein urteutonischer Kerl und keineswegs verleugnete er sein Germanentum, denn er schimpfte sich seinen Ärger wacker von der Seele weg.

Die Rheingegend sei von Natur zu sehr begünstigt; hier sei alle Schönheit und wundersame Fruchtbarkeit über das Land gebreitet.

„Sehen Sie, da haben sie schon Spinat geerntet, und nun kömmt noch eine Ernte und wiederum eine, und alle die herrlichen Obstfrüchte von er Erdbeere bis zur Pfirsiche und Aprikose gedeihen hier in köstlichen Arten.“ - „und nun kommen auch noch die gelehrten Menschen und bauen Bahnen, eine zweckmäßiger und leistungsfähiger wie die andere, eine die andere noch überbietend an Bequemlichkeit und Fahrschnelle, trotz dem Vater Rhein, der den Leuten hier als natürliche Straße so schön vor die Nase gelegt ist.“ alles lachte.

„Ja, Ihr könnt wohl lachen, was aber haben wir denn eigentlich in dem Dreieck, welches die Kölner Eifelbahn, die Euskirchen-Bonner Bahn und der Waldriegel des Vorgebirges begrenzen und welches die Swist durchfließt, die Swist, welche das halbe Jahr fast keinen Stichling beherbergen kann vor Wassermangel!“ Erschöpft von seiner langen Rede, setzte der Landmann ein wenig ab; er hätte sicher mal getrunken, wenn er einen Krug vor sich gehabt hätte. Die Pause benutzte ein witziger Bonner; er wohnt in der Nordstadt und meinte trocken: „Dafür habt Ihr auch die dicksten Erdäpfel, seid nur still!“

Der Wagen erdröhnte. Ich hielt mir den Bauch und der Landmann von der Swist lachte nicht am wenigsten mit. Darauf erwiderte er: „Nicht allein dicke Kartoffeln, sondern auch gute Kartoffeln ziehen wir da draußen, aber Spaß bei Seite, wir sind, was Verkehr anbelangt, das reine Stiefkind, und wo heute kein moderner Verkehr flutet, da ist nichts los. Überall steigen die Werte infolge des allgemeinen Aufschwungs; nur bei uns im Kreise Rheinbach merkt man davon recht wenig. Wir müssen auch Bahngelegenheit, viel Bahngelegenheit haben, dann sollt ihr mal sehen, was die Swistgegend aufgehend, die die bedeutendsten Ortschaften berührte und die bei Rheinbach Anschluß an die Staatsbahn erhielte, würde Wunder wirken.!

„Ja“, ließ sich da wider der Nordstädter vernehmen, „Ihr dürft nicht auf private Unternehmer warten, Ihr müßt die Bahn selbst bauen, d.h. der Kreis muß das in die Hand nehmen. Und wenn Ihr auf en Staat wartet, könnt Ihr alt und grau werden, ehe eine Bahn Euer Land durchquert; frisch ans Werk, wie auch die Kreise Bonn und Köln und die beiden Städte getan haben. Die haben die Vorgebirgsbahn und auch die Uferbahn gebaut und haben hierdurch das Land erschlossen, die Bodenwerte gehoben und einen ganz gewaltigen Verkehr geweckt, der ebensowohl dem „platten“ Lande wie den beiden Städten zugute kommt. Und außerdem haben die beteiligten Kreise sich dadurch eine schöne Einnahmequelle verschafft. Da strich sich unser Landmann durch sein ergrautes Haar, rutschte einige Male auf seinem Sitze hin und her und sprach: „Da! Da liegt der Has im Pfeffer! Der Kreis soll die Bahn bauen, ja, aber - man scheint bei unser'n Kreisherrschaften wenig für die Bahngeschichte übrig zu haben. Wir haben jetzt erst mit großen Kosten die Gemeindewege auf dem Kreis übernommen. Die Instandhaltung erfordert viel Geld und da scheut man sich am Ende im Kreistage, an solch kostspielig Unternehmen heranzugehen.!

„Ja, ja!“ höhnte der Bonner da beim Bauer in die Rede, „und die großen Bauern, die Gutsbesitzer fürchten, die ansässige Arbeiterschaft könne zu leicht in auswärtige Arbeitsgelegenheiten geraten; denn wo die Leute mehr verdienen, gehen sie hin.!

Darauf der Bauer wieder: „Ach! Das will ich nicht sagen, daß die Großgrundbesitzer so denken, die beschäftigen doch jetzt schon meistens „Pimoken“. Deshalb brauchten die nicht mehr so dagegen zu sein. Das muß man aber auch bedenken, daß zweckmäßige Fahrgelegenheit zu den Arbeitsstellen die Arbeiter auch mitsamt ihren Familien auf dem Lande, in den Dörfern festhält, während sie sonst in die großen Städte, in Industriegegenden abwandern, und das Land entvölkern. - Nein, wir müssen eine Bahn haben und wenn es „vom Sack oder vom Bändel geht“, und es muß eine Bahn sein, wie diese, gerade so schön wie die Rheinuferbahn und damit pasta.“

Alles rief da: „Ihr sollt die Bahn haben; Ihr kriegt die Bahn; durch die Swistlandschaft muß eine Bahn gebaut werden!“ Aber der aus der Swistlandschaft wolle das letzte Wort haben: „Und wir kriegen sie auch über kurz oder lang.“ Ein Herr, der still beobachtend mitten unter uns saß, gab dem Disput den Abschluß, indem er sagte: „Von jeher ist die Aufschließung einer Gegend von größtem Segen für alle begleitet gewesen. Wie das in früheren Zeiten gute Wege waren, so ist es für heut die Bahn. Das sollten alle bedenken, die über das Wohl und Wehe einer Landschaft zu beraten haben.“

Nicht schöner konnten die treffenden Worte dieses Herrn bewahrheitet werden, als durch das Hasten und Jagen, durch den gewaltigen Pulsschlag des Kölner Hafens und der angrenzenden Straßen, durch die wir eben leicht und sicher daher glitten.

Das ist Verkehr; das ist Arbeit und Leben und Reichtum. Das wissen die Kölner zu würdigen. Sie haben es seit grauer Zeit gewusst und wissen es heute noch; meilenweit laufen ihre Straßenbahnen gleich Polypenarmen in die Lande und schon liebäugeln sie auch mit der Sieggegend ... Ihr lieben Bonner paßt auf, paßt auf!


Hin und her auf der Uferbahn.
General-Anzeiger Bonn, 27.08.1906

Was man nicht alles erlebt auf dieser Bahn! - Ein milder Frühlingstag hatte mal der Reisenden wie er so viele zusammengeführt, daß lange vorder Abfahrtzeit alle Plätze besetzt waren. Im entlegensten Winkel saß ich in gedrückter Enge; mir gegenüber ein netter junger Mensch mit gutmütigem Antlitz. Kurz ehe der Zug sich in Bewegung setzte, kam noch eine ganze Familie, Mann, Frau und drei Kinder, angezogen und wurde, wie das gewöhnlich geht, vom Eingang zu uns nach vorne geschickt mit der Begründung, daß da vorne noch „viel“ Platz sei, Platz die Masse!

Na, da stand denn die arme Mutter mitten im Gedränge und hielt ihr Kleinstes auf dem Arme, nicht einmal stützen konnte sie sich, während der Vater noch einen „Stiep“ an den Sitzen fand. Die Kinder mutschelten sich den Anderen zwischen die Beine. Kaum aber sieht mein gutmütiges Gegenüber die stehende Frau mit dem Kinde, als es aufspringt und ihr seinen Platz einräumt, was mit leisem Dank und freudigem Blick anerkannt wird. Fast ergriff mich der Edelmut, dem artigen Menschen meinen Sitz anzubieten, aber meine angeborene Schwerfälligkeit ließ mich nicht dazu kommen.

So eilten wir durch die Straßen unserer guten Stadt mit leisem Wiegen. Schon beim Halten am alten Friedhofe aber flogen die Stehfahrer ziemlich durcheinander, bei der scharfen Kurve aber und später an Bahnhof Ellerstraße war der Wageninhalt ein einziges Gemüschel von purzelnden Menschen. Na, man richtete sich denn wieder mit gutem Humor auf, doch Einige schienen nicht übel Luft zu haben, auf den Beinen der glücklich Sitzenden, auf die der jedesmalige Schwung sie geworfen, ruhig sitzen zu bleiben; ihr Aufrichten nützte ihnen eigentlich auch wenig, denn der nächste Stoß oder Halt oder eine Kurve fällte sie doch wieder auf den Schoß der anderen.

So flogen wir durch die heitere Landschaft; im Augenblick waren wir in Wesseling und es stiegen so Viele aus, daß fast alle Leute nun Platz bekamen; in ersten Linie der „Mann der Frau mit dem Kinde“. Mit einem „O jesses“ ließ er sich gewichtig nieder.

Wer aber keinen Platz erhielt, war der großmütige junge Herr, der in Bonn „der Frau mit dem Kinde“, deren Mann sich eben mit dem schweren Seufzer niedergelassen, seinen Sitz abgetreten hatte! Eigentlich mußte der „Mann der Frau“ doch dem höflichen Menschen seinen Sitz anbieten, weil der vordem seiner Frau den Platz gegeben! Aber nein! Undank ist der Welt Lohn. Der Andere, „der Mann der Frau mit dem Kinde“, machte ein möglichst dummes Gesicht, was ihm nicht schwer fiel, setzte sich und blieb sitzen - bis nach Köln Endstation.

Nachdem etwas mehr Gemütlichkeit in unseren Glaspalast eingezogen, lebte auch eine muntere Unterhaltung auf. Neben mir saß ein Mann vom Lande; das hatte ich gleich gemerkt. Auf seiner oberen Rocktasche ragte das halbe Rohr einer stark benutzten Pfeife heraus, die „Quässelsche“ waren halb verschlissen. Ein graugrüne Hutmütze deckte sein verwittertes Haupt; vorwitzige Bartstoppeln entsprossen dem faltigen Kinn.

Er erzählte, er könne sich doch immer noch etwas in Bonn umsehen, während er früher mit der Eisenbahn an Bonn vorbeigegangen sei.

Dem Manne gefiel die Rheinuferbahn ausgezeichnet, und angesichts der Fortschritte im Verkehrswesen meinte er mit ehrlicher Bewunderung: „Wo soll das noch stehen bleiben! Wenn heut noch mal die Leute aufständen, die vor fünfzig Jahren gelebt haben, die schlügen die Hand über dem Kopf zusammen und sagten: „Mein Gott! Wie ist das möglich!“ und ich glaube, wenn wir über hundert Jahr noch mal aufstehen würden, wir fänden uns gar nicht mehr zurecht.! So plauderte der Bauer, und als er in mir einen willigen hörer fand, vertraute er mir auch die weit verbreitete uralte Volkssage an, daß alles schon dagewesen sei. „Eisenbahnen und alles war schon mal auf der Welt und ist untergegangen und vergessen worden und wenn die heutige Welt alles auf die Spitze getrieben hat, geht auch das alles wieder zu Grund! Dat ist sicher!“

Mit großen Augen sah ich den Bauernphilosophen an, bei diesen trocken hingeworfenen Bemerkungen. Wie doch ein ahnungsvoller Zug durch die Menschheit geht; ein Fünkchen der ewigen Wahrheit auch da glimmt, wo die Wissenschaft es nicht angefacht hat.

Weiter kam der Mann wieder auf das praktische Leben zurück und meinte: „so ne Bahn tät auch uns hinten im Ländchen gut; wir sind doch ohne allen Verkehr; „sie“ sind ja schon lange am planen, aber sie kommen zu keinem Resultat. Ihr würd' mal sehn, was das sich rentieren tät, wenn so eine Bahn von Meckenheim nach Mehlem geführt würde. Da ist eine reiche und schöne Gegend, und da sind all die „Döpebäckereien“ und die Tonlager; die Bahn kriegt zu tun, und unser Ländchen würd' was wert!“

„Jetzt wolle se eine Bahn ohne Geleise einrichten, aber ich habe gehört, daß das nichts wäre, und ich bin überhaupt der Meinung und die Mehrzahl aus unserer Gegend denkt so, dass wir was Gründliches bauen, was Ganzes und nicht Halbes. Schienen muß eine Bahn haben.“

So sprach der Mann neben mir über die Verkehrsschmerzen seiner Heimat, und ich muß sagen, daß ich seine Ansicht teile. Heute heißt es für jede Gegend: „Aufschluß durch moderne Verkehrsmittel. Das ist einfach der Normalzustand. In Gegenden, die keine Bahnen haben, herrscht Stillstand auf allen Gebieten, und Stillstand ist Rückschritt. Das weiß man heutzutage aber auch überall, und aller Orten regt man sich, um Bahnen oder Bahnanschluß zu bekommen.

So schweben allein in unserer Gegend drei, vier dieser Bahnprojekte, auf die die betreffenden Ortschaften mit Recht große Hoffnung setzen. Für uns Bonner ist davon die allerwichtigste: die Erbauung einer zeitgemäßen Bahn nach Siegburg; aber auch die anderen interessieren uns, die Erschließung der Swistlandschaft und der Gegend von Meckenheim - Mehlem. In Köln wurde mein Berkumer von seiner Tochter, einer frischen, jungen Frau, in Empfang genommen; ganz besonders liebevoll aber nahm sie sich auch des Henkelkorbes an. Dort weiß man die Erzeugnisse der Heimat zu schätzen. Von mir schied der Mann mit der festen Hoffnung, auch in seiner Heimat bald das Rollen einer Bahn zu vernehmen.




06. / 07. Mai 2006

Slg. H. Eidam Köln


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