Köln-Frechen-Benzelrather Eisenbahn


Wohnsiedlung statt Brikettfabrik
Von Uta Böker und Doris Richter
Kölner Stadt-Anzeiger vom 28. Februar 2006



Das Ende des Zweiten Weltkrieges war für viele Städte auch ein Neuanfang in der Stadtplanung, der Chancen und Risiken barg. In einer Reihe stellen wir Beispiele aus dem Rheinland vor. Heute: Frechen

Frechen - Er war immer und überall - der feine Kohlenstaub. Weiße Hemden waren schnell schmutzig, Gardinen schnell grau. Hohe Kamine, große Bagger und breite Gruben prägten das Stadtbild von Frechen in den 50er Jahren. Nahezu unzerstört hatte Frechen den Zweiten Weltkrieg überstanden.

Vergangenheit und Zukunft nah beieinander: neues Wohngebiet „im Grünen“ an der alten Brikettfabrik Grube Carl


Ersatzfoto koelnland.de: 10. Februar 2008 - Herbert Eidam, Köln

Die Lastwagen standen in Sechserreihen Schlange vor den fünf Brikettfabriken in der Stadt. Die Fahrer warteten oft stundenlang, bis ihre Wagen mit Kohlen beladen werden konnten. Es rauchten die Schornsteine von zwölf Werken der Steinzeugindustrie, die in der Hauptsache Kanalrohre herstellten. Die Quarzwerke Frechen gewinnen und veredeln bis heute Quarzsand. Die Bodenschätze Kohle, Ton und Sand haben das Antlitz der Stadt geprägt.

„Auch Mitte der 60er Jahre war Frechen durch die unglaubliche Staubentwicklung noch ein dreckiges Nest“, erinnert sich Winfried Brüning, der lange das Planungsamt der Stadt leitete. Heute sind die Fabrikgebäude größtenteils aus dem Stadtbild verschwunden. Einen Standort hat die Deutsche Steinzeug mit ihrem Partnerunternehmen Rhenania-Wolf behalten. Die meisten Fabriken wurden abgerissen; einige werden in Wohnraum umgebaut oder in andere Bauprojekte integriert. Die Industrie hat sich längst aus der einstigen Arbeiterstadt zurückgezogen.

In den Jahren nach dem Krieg sorgten Braunkohlenbergbau und Steinzeugindustrie für Arbeitsplätze und lockten viele Menschen an. Außerdem kamen Flüchtlinge. Etwa 15 000 Einwohner hatte die Stadt im Jahr 1945. Schon fünf Jahre später lebten dort rund 21 000 Menschen. Die Wohnungsnot war groß. Die erste Siedlung, die damals gebaut wurde, war die so genannte Wolfsche Siedlung an der Kirche St. Maria Königin.

„Typisch für Frechen sind die roten Ziegel“, sagen die beiden Frechener Historiker Helmut Weingarten und Egon Heeg. Es liegt auf der Hand, dass der Bauherr Besitzer einer Ziegelei war. Weitere Siedlungen für Bergbauarbeiter wurden gebaut. Der Bau der Siedlung am Wasserturm beginnt 1952. Der Stadtteil Benzelrath muss 1954 dem Braunkohle-Tagebau weichen. Die Bevölkerung wird umgesiedelt. Im Jahr darauf entstehen weitere Siedlungen in Benzelrath und Bachem, später am Stadion - die Bungalows waren damals sehr modern - und der Grube Carl. Die Einwohnerzahl wuchs stetig: 30 000 Menschen waren es 1965.

Bei den vielen Bauaktivitäten, auch in der Frechener Innenstadt, ging es nicht um Schönheit im städtebaulichen Sinn. Der Zweck stand im Vordergrund. Und mit dieser Zielrichtung entwickelte sich das Stadtbild in den folgenden Jahrzehnten. Das Arbeiterdorf mit seinen ursprünglichen Ortsteilen Bachem, Buschbell und Hücheln gewann in den 60er Jahren durch seine Verkehrsanbindungen enorm an Attraktivität: Die Straßenbahn fuhr schon seit dem Beginn des 20. Jahrhundert bis in die Innenstadt.

Die A 4 wird 1960 für den Verkehr freigegeben. Neun Jahre später ist das erste Stück der B 264 zwischen Marsdorf und Bachem fertig. „Die guten Verkehrsanbindungen lockten verstärkt Gewerbebetriebe nach Frechen“, erläutert Brüning. So wurden auf bis dahin landwirtschaftlich genutzten Flächen die Bonnstraße (L 183) gebaut und weitere Gewerbeflächen in Richtung Autobahnkreuz Köln-West erschlossen.

Schon 1959 hatte die Stadt begonnen, das Gewerbegebiet in Marsdorf zu erschließen. Die Stadtgrenze reichte damals bis zum Stüttgenhof. Mit der kommunalen Neugliederung 1975 kam der Schock für die Stadt: „Marsdorf wurde Köln zugeschlagen. Um das Gewerbesteueraufkommen zu kompensieren, erhielt Frechen von der damaligen Gemeinde Türnich - heute Kerpen - die Ortsteile Habbelrath und Grefrath“, schildert der ehemalige Planungsamtsleiter die Aufteilung. Auch Königsdorf gehörte fortan zu Frechen. Nach Meinung der Historiker war dieser Stadtteil damals wie heute wirtschaftlich nicht bedeutend. Die Königsdorfer Bürger orientieren sich nach Köln. Als „geographische Zerstückelung“ der Stadt beurteilen Heeg und Weingarten die Neugliederung.

In der Innenstadt wird kräftig gebaut und ebenso kräftig werden alte Bauwerke abgebrochen, darunter ein Teil des Rathauses. Häuser an der Hauptstraße - heute eine Fußgängerzone - müssen Platz machen für ein Kaufhaus. Schulen, Sportanlagen, Hallenbad und Krankenhaus entstehen. Hochhäuser mit zum Teil 180 Wohnungen werden gebaut. „Aus heutiger Sicht sind sie eine Fehlentwicklung“, räumt Brüning ein. Der Rathausneubau und das angrenzende Einkaufszentrum - 1979 und 1980 fertig gestellt - bilden nicht die erhoffte Einheit. Der Platz der Deutschen Einheit, so sein neuer Name, bleibt leer. Um das Rathaus herum sei „ohne Systematik“ gebaut worden. „Die Kompromisse, die man damals eingegangen ist, halten ewig - 50 Jahre und länger“, bringt es der Planer auf den Punkt.

Gelungen ist nach Ansicht von Brüning die Fußgängerzone im Zentrum. Sie entstand Anfang der 80er Jahre auf einem Teil der Hauptstraße. „Es war richtig, die Zone nicht über die gesamte Strecke der Hauptstraße einzurichten. Die Stadt in dieser Größenordnung verträgt nicht mehr. Wir hätten uns verzettelt“, sagt der Planer. Die Historiker sehen das anders: Das „Oberdorf“ der Innenstadt wurde über die Fußgängerzone nicht angebunden und sei durch Straßenbau und weitere Bauprojekte zerfleddert worden.

Erfolgreich vermarktet Frechen seine Gewerbeflächen. Ein großer Wurf gelingt Ende der 90er Jahre mit dem „Europapark“: 700 000 Quadratmeter Gewerbeflächen am Autobahnkreuz Köln-West. Nachdem in Frechen Anfang der 90er Jahre über 700 Arbeitsplätze in der Steinzeug- und Braunkohleindustrie verloren gegangen waren, setzten die Stadtoberen hier unter anderem auf Niederlassungen von Möbelhäusern, Baumärkten, Spedition, Frachtzentrum und Großhandel. Computerfirmen, Elektronikmarkt, Arzneimittelvertrieb, Bekleidungsgeschäfte und Fast-Food-Ketten kamen in den letzten Jahren hinzu. Rückblickend stellt Brüning heute in Frage, ob es richtig war, im Europapark große Flächen für Lagergebäude zu verkaufen: „Sie bieten wenig Arbeitsplätze und bringen keine Gewerbesteuer.“

Bei der Entwicklung von Neubaugebieten ist Frechen seiner Maxime treu geblieben, den Menschen auch erschwinglichen Wohnraum anzubieten. Als Beispiel ist die Planung des neuen Stadtteils Grube Carl zu nennen. Einfamilienreihenhäuser und öffentlich geförderte Wohnungen werden dort kombiniert mit dem Ausbau von Eigentumswohnungen in den denkmalgeschützten Gebäuden der Brikettfabrik Grube Carl. Brüning, der dieses Projekt heute als Chef der Stadtentwicklungsgesellschaft Frechen intensiv betreut, rät von weiteren Baugebieten am Stadtrand ab. „Die Infrastruktur reicht nicht mehr aus.“ Die Grundschulen können die steigenden Schülerzahlen nicht mehr unterbringen. „Um das Stadtbild abzurunden, müssen Baulücken im Zentrum geschlossen werden“, fordert Brüning.

Zum Thema Verkehr hat Frechen seine Zukunft schon sicher im Griff: An der Bonnstraße wird ein Anschluss zur A 4 gebaut, allerdings vorerst nur in Richtung Aachen gebaut; ob eine Erweiterung auch in Richtung Köln folgt, ist derzeit noch offen. Die Stadtbahnlinie 7 soll künftig bis in den Stadtteil Grube Carl führen. Wann hier aus dem Wunsch Wirklichkeit wird, ist nicht abzusehen. Geplant ist schon der vierspurige Ausbau der Bonnstraße mit Kreisverkehr an der B 264. Denn dort wird die angrenzende Industriebrache der ehemaligen Steinzeugfabrik Cremer & Breuer nach Jahren des Stillstandes bebaut.



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