Napoleon und die Zuckerrübe
Von P. C. Ettighofer
Warum diese Überschrift? Und was hat Napoleon mit der Runkelrübe zu tun? Sehr viel, sogar alles, denn ohne die Siege des Franzosenkaisers und seine Herrschaft in Europa hätte es keine Kontinentalsperre gegeben, und ohne Kontinentalsperre würden wir wahrscheinlich heute noch fast ausschließlich Rohrzucker essen. Das heißt der Zucker, unser bekömmlichstes und süßestes Nahrungsmittel, wäre für die meisten Menschen noch eine unerschwingliche Kostbarkeit, wie dies zu Olims Zeiten war.
Im Altertum kannte man keinen Zucker. Selbst die verwöhnten Kinder der Reichen wußten nichts von Naschwerk. Früchte mit Honig eingemacht, das war bis zum 13. Jahrhundert die größte Schleckerei. So war es wenigstens in Europa, wo man ungezählte Bienenvölker hielt, um den Bedarf an Süßstoff zu decken. Dagegen kannte man im fernen Orient, besonders in Indien, den Zucker aus dem Saft des Zuckerrohrs.
Die Kreuzfahrer haben zuerst mit dem Zucker Bekanntschaft gemacht. Auf endlosen Karawanenwegen über Arabien und Kleinasien kamen viele Kamellasten Zucker nach Jerusalem, wo die Tempelritter ein christliches Königreich errichtet hatten. Zwischen den Jahren 1099 und 1244 war Jerusalem wiederholt in der Gewalt der Christen, einmal sogar 88 Jahre lang ununterbrochen. In dieser Periode geschah viel Fruchtbares für das Abendland, denn zwischen Orient und Okzident wurden zahlreiche Fäden geknüpft. Da kam dies indische Salz aus dem fernen Morgenland. Sein Name stammt aus dem Sanskrit und lautet Sarkara. Der Talmud spricht von Sakkara, während der Inder selbst diese köstliche Naturgabe als Sakar bezeichnen. Kein Wunder, daß die Kreuzfahrer diese herrliche Speise, das indische Salz Sakar ihren Freunden und Daheimgebliebenen schickten. Alexandrien wurde der große Umschlagplatz für Zucker. Die Kamelkarawanen brachten den Zucker aus Indien bis dorthin zur Nordküste Afrikas, wo ihn Venedigs Flotte abholte. Der Zuckerhandel war einer der Mitbegründer des Reichtums Venedigs im Mittelalter.
Diesen Zucker würden wir wohl heute kaum anrühren. Er war dunkelbraun wie der Kubazucker einer jüngst verflossenen Epoche. Und wie unser Zucker der Notjahre 1946/48 war er schwer, unrein und hatte manchen Beigeschmack. In erster Linie roch er nach Kamelschweiß. Dennoch genoß man ihn als herrliche Kostbarkeit. Venedig hatte bald eine Zuckersiedereien. Der so gewonnene Weißzucker galt als Medikament und wurde in den Apotheken gehandelt, natürlich bei entsprechenden Preisen. Es dauerte lange bis der Zucker vom Raritätenschrank des Apothekers in die Vorratskiste der Lebensmittelhändler wanderte, darüber mußte Napoleon kommen.
Als nun der Franzosenkaiser regierte und England ruinierten wollte, indem er den Kontinent völlig gegen den britischen Handel abschloß, wurden die Surrogate geboren.
Später, anno 1914, nannte man so etwas Ersatz, was doch immerhin einen etwas minderwertigen Beigeschmack hatte. Zwei jener Surrogate sind uns als vollwertige Ware geblieben und nicht mehr aus unserem Wirtschaftsleben wegzudenken: der Kornkaffee und der Zucker aus der hochgezüchteten Runkelrübe.
Es hatte bereits anno 1747 der Chemiker Markgraf versucht, aus dem Saft der Runkelrübe Zucker zu kochen. Es blieb bei einem Versuch. In der Notzeit, da es keinen Zucker aus Übersee mehr gab, griff der Domänenpächter Franz Achard aus Cunern diesen Gedanken auf und verkochte Runkelrübensaft in neun großen Kupferkesseln. Dies geschah vor nunmehr 175 Jahren!
Für diesen Versuch hatte Achard rund 8.000 Zentner Rüben auf eigenen Feldern gewählt. Mit seinem Gutsnachbarn, dem General von Manstein, hatte er einen Lieferungsvertrag abgeschlossen. Sollte der Versuch der Kampagne 1802 gelingen, so mußte Manstein seine gesamte Ernte an Runkeln dem Franz Achard liefern. Der Erfolg war überraschend, denn Achard erzeugte aus diesen 8.000 Zentnern Rüben genau 302 Doppelzentner Sirup. Die Selbstkosten pro Zentner beliefen sich auf 36 Taler. Das Pfund Zucker war also zu einem Selbstkostenpreis von 54 Pfennig hergestellt. Bei dem damaligen Geldeswert war dies eine enorme Summe, zumal der Arbeiter pro Tag nur eine Mark verdiente. Die Lebensmittel aber waren entsprechend billig. Mit seinen unzulänglichen Mitteln hatte Achard diese 8.000 Zentner Rüben in 192 Arbeitstagen verarbeitet. Dies war der Beginn der Zuckerherstellung aus Rüben.
Diese Versuche waren den britischen Zuckergroßhändlern nicht verborgen geblieben. So leicht ließ sich England nicht schlagen und vom Weltzuckermarkt verdrängen. Wenn dieser preußische Domänenpächter es wagen sollte, mit Hilfe von eingedicktem Rübensaft einen Angriff auf das britische Zuckermonopol zu versuchen, mußte man ihm doch entgegentreten. Vielleicht - mit Geld ?!?! Durch einen Zwischenmann wurden Achard 50.000 Taler geboten. Achard dankte, und weiter floß der eingedickte Saft der Runkeln in die Kristallisierwannen. Da kam ein zweites Angebot aus England. Es war beträchtlich: nicht weniger als 200.000 Taler sollte er erhalten, dieser Achard, wenn ... ja, es waren zwei Bedingungen daran geknüpft. Erstens: Franz Achard mußte öffentlich erklären, die Versuche aus dem Saft der Runkelrübe einen Zucker herzustellen, seien mißlungen. Rübenzucker könne niemals den Rohrzucker ersetzen oder verdrängen. Zweitens: Franz Achard habe sofort die Herstellung von Rübenzucker aufzugeben und sich bindend zu verpflichten, niemals wieder damit zu beginnen, weder auf seinem Gut Cunern, noch anderswo.
Achard schlug diese Verlockung aus und wandte sich an den König von Preußen mit der Bitte um Erteilung einer Konzession für die Herstellung von Rübenzucker.
Die Konzession wurde erteilt. Aber polulär wurde der Rübenzucker noch lange nicht. In Spottversen wurde er herabgesetzt, man bezeichnete ihn sogar als gesundheitsschädlich. Wie konnte der Saft einer Rübe, also aus Viehfutter, für die menschliche Ernährung taugen!
Erst nach Jahrzehnten erloschen die Vorurteile. Ohne die Zuckerrübe und ohne die Tat des Achard auf Domäne Cunern würden wir heute noch ausschließlich Rohrzucker genießen. Das heißt, die meisten Menschen könnten sich keinen Zucker erlauben. Nur durch die Zuckerrübe ist dies unentbehrliche Nahrungsmittel zu einem Massenartikel geworden, immerhin teuer genug, aber doch erschwinglich für jedermann.
Entnommen: Kreis Euskirchen - Jahrbuch 1979/80
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