Das Königsgrab zu Enzen
Von Dr. Heinz Ritter

Eine Untersuchung seiner Überlieferungen

Als am 5. April 1977 in der Hauptstraße von Enzen der Bagger die Stirnseite eines Steinsarges aufriß, in dem sich Beigaben aus Gold und Glas befanden, dacht man zurück an das Jahr 1811, als ein Karrengaul an derselben Stelle ein Loch in den Boden stampft, und man dort einen Kinder-Steinsarg fand, in dem ein gläserner Fisch, eine siebendochtige Erz-Ampel, Kinderspielzeug sowie lange, goldkopfige Nadeln lagen.

Noch mehr aber dachte man zurück an den sogenannten „Königssarg von Enzen“, dessen mächtiger Steinkörper jetzt auf dem Friedhof neben der Kirche von Enzen steht, in dem sich ganz ungewöhnliche Goldschätze befunden haben sollen. Um diesen „Königssarg“, um dieses „Königsgrab von Enzen“ handelt es sich hier.

Über dieser Fund ist viel geschrieben worden, aber doch nicht so viel, daß man es nicht gut überblicken könnte. Vor allem hat die Frage beschäftigt, welcher Fürst oder König denn in einem so mächtigen Sarg mit so kostbaren Schätzen beigesetzt worden sein könnte.


Foto: S. Rick

Man hat für möglich gehalten, daß es sich um einen römischen Feldherrn gehandelt habe, der in der sagenhaften Schlacht auf der Schievelsheide bei Enzen umkam oder um den Alemannenkönig, der in blutiger Entscheidungsschlacht 496 angeblich bei Zülpich fiel, worauf der Sieger, der Frankenkönig Chlodwig, zum (rechtgläubigen) Christentum übertrat; man hat an den Frankenkönig Sigibert gedacht, der, in der Alemannenschlacht verwundet und seitdem „der Hinkende“ genannt, auf Chlodwigs Anstiften vom eigenen Sohn umgebracht wurde (um 510); oder an den Thüringerkönig Hermanfrid, der, von Chlodwigs Enkel Theudebert I. eingeladen, mit diesem in Gesprächen auf der Mauer von Zülpich hinwandelnd „a nescio quo“ „ich weiß nicht von wem“, wie Gregor von Tours sagt, zu Tode gestürzt wurde (534); oder an Theudebert II., einen Ururenkel Chlodwigs, der nach einer mörderischen Schlacht gegen seinen Bruder Theuderich II. im Raum um Zülpich im Jahre 62 in Gefangenschaft geriet und dann umgebracht worden sein soll, zusammen mit seinem Söhnchen Meroväus, dem ein Krieger den Schädel zerschmetterte. Theudebert wäre dann heimlich von seinen Getreuen in einem eilig gefertigten Sarge samt seinen Schätzen begraben worden, sein Söhnlein dicht neben ihm.

Diese letzte Möglichkeit fand zwischen 1850 und 1900 den größten Anklang; und so wurde die alte Königs- oder Heerstraße in Enzen, an der die Gräber gefunden worden waren, in Theudebertstraße umbenannt.

Aber all diese Überlegungen waren verfrüht. Wir wissen von den Umständen dieses Fundes und von dem ursprünglichen Inhalt des Königssarges längst nicht genug, um solche Fragen auch nur ahnungsweise beantworten zu können; denn der Sarginhalt ist verschollen, und nur zwei Schmuckstücke sind erhalten geblieben - falls sie überhaupt aus dem Königssarg stammen, was auch wieder nicht so völlig sicher ist.

Von diesen Schmucksteinen ist das eine, ein aus feinem Golddraht gewobenes Band mit edelsteinbesetzten Anhängern, nach dem Urteil der Fachleute ein weiblicher Haarschmuck spätrömischer Herkunft; und manche neigen dazu, auf Grund dieses Schmuckstückes, überhaupt zu leugnen, daß es sich um ein Männergrab gehandelt habe. Sie wollen das Grab einer Frau zuordnen, und zwar nicht einer Fränkin, sondern einer Römerin. Dabei gehen sie über die ganze mündliche Überlieferung einfach - wahrscheinlich zu einfach - hinweg. Sie lassen bei diesem Urteil auch außer acht, daß die Entstehungszeit des Schmuckes, die sie auf Grund von Ähnlichkeiten ungefähr glauben feststellen zu können, nicht gleichgesetzt werden kann mit der Zeit der Grablegung; denn goldener Schmuck kann über Jahrhunderte hin bewahrt, verschenkt, vererbt werden; er kann gefunden, erbeutet, geraubt worden sein, so daß sich aus der Zeit der Entstehung des Schmucks die Zeit der Bestattung nicht bestimmen läßt. Das Einzige, was gesagt werden kann, daß dieser Haarschmuck ursprünglich für eine Frau gemacht worden ist, wahrscheinlich für eine Römerin. Schmuckstücke einer Frau konnten aber als Beute auch auf einen Mann übergehen und ganz anders verwendet werden, als es ihrer ursprünglichen Bestimmung entsprach. Und die Finder haben denn auch das Schmuckband als Schwertgehänge gedeutet.

Das andere erhaltene Schmuckstück ist ein aus mehreren Drähten gewundener Goldreif, der sowohl römischer wie fränkischer Zeit entstammen kann (Clemen).


Die Quellen

Zunächst sind überall Unsicherheiten. Wir treffen nirgends auf festen Boden und möchten doch gerne auf den Grund dieser Geheimnisse kommen. Was ist zu tun?

Erstlich ist alles zusammenzubringen, was es an Nachrichten über das Königsgrab gibt. Dann ist festzustellen, welches die Quellen dieser Mitteilungen sind. Danach sind die Angaben dieser Quellen kritisch zu prüfen und zu vergleichen; der gemeinsame Bestand ist ebenso festzustellen wie die Unterschiede. Auch die beiden noch vorhandenen Schmuckstücke sind aufs Neue zu überprüfen. Endlich sind aus diesen Untersuchungen die Schlüsse zu ziehen.

Man meint, dies alles wäre längst geschehen, die Quellen wären beisammen, die Fundzeit läge fest, die Angaben über den Grabschatz wären verglichen, alles sei sorgsam geprüft. Seltsamerweise ist das nicht so.

Die älteren Quellen sind nur wenig bekannt, die älteste von 1818 ist m. W. Überhaupt noch nie herangezogen. Die Übereinstimmungen und Abweichungen der Überlieferungen sind nicht festgestellt, die üblichen Angaben über Fundzeit und Finder sind falsch, Angaben über Maße, Gewichte und Einzelheiten der Fundstücke sind fehlerhaft und ungenau.

Beginnen wir mit der Zusammenfassung der Quellen. Hierunter verstehe ich Mitteilungen, die Eigenes über den Schatzfund zu berichten wissen: Überlieferungen, Erinnerungen, Beobachtungen, Messungen. Solcher Quellen gibt es nicht viele (!). Ihnen müssen wir unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden.

Schriftliche Nachrichten aus der Zeit der Auffindung des Schatzes sind bisher nicht bekannt. Erst etwa 100 Jahre später wird zum ersten Mal davon berichtet. Auf diese Erst-Nachricht kommen wir noch zurück. Die früheste Mitteilung über einen Goldschatz im Enzener Steinsarg bringt der Kölner Archäologe Dr. Hennes in einem Aufsatz „Ferienreise“ im Beiblatt zur Kölnischen Zeitung vom Februar 1838, in dem er seine Aufzeichnungen vom 29. Dezember 1837 über einen Besuch in Enzen wiedergibt. Sie lauten:

„Von Lessenich nach Zülpich sind zwei Stunden. In der Mitte des Weges liegt ENZEN. In diesem Dorfe ist gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts beim Bau eines neuen Stalle, zu dem man das Fundament legen wollte, ein schwerer Sarg gefunden worden. Er ist noch in dem Stalle zu sehen, wo er als Trog dient. Er ist plump behauen, wie in Eile gemacht, von sehr hartem Sandstein; man sieht noch, wo die eisernen Klammern des Deckels eingetrieben waren, in diesem Sarg lag ein Geripp (das beim Oeffnen zu Asche zerfiel) in ganz goldner Rüstung: goldner Harnisch (28 Pfund schwer, wie man mir versichert), goldne Krone, goldnes Scepter, goldner Helm, goldne Beinschienen, unter Haupt und Füßen ein goldner Teller. - 'Alles wie ein König oder Feldherr', wie der Pächter Steinhausen hinzusetzte, der mir den Sarg zeigte und Alles sehr genau angab, durchaus übereinstimmend mit den Nachrichten, die ich von verschiedenen Seiten eingezogen hatte. Es läßt sich denken, daß die Geschichte von diesem merkwürdigen Fund von Vater und Sohn mit allen Umständen überliefert wurde.

Herr Wallpott, in dessen Hause der Sarg ausgegraben worden, mußte alles nach Mannheim an die Schatzkammer abliefern, und wie Einige erzählen entging er selbst kaum der Haft, weil man glaubte, daß er einige Ketten für sich genommen. Der Urenkel des Finders, Herr Wallpott zu Irresheim, hat noch davon ein kleines goldnes Kettchen. Bei einem Verwandten desselben, Herrn Krewel zu Zievel, habe ich einen goldnen Kettenring von 1 ½ Zoll Durchmesser gesehen (23karätiges Gold, etwa 5 Carolin schwer); 2 solcher Ringe bildeten die Kette, die sich bei der Rüstung befand.

Wer war der goldgepanzerte Ritter, dessen Sarg ich eben gesehen? War es ein in der Schlacht gefallener König? War es ein Franke, ein Allemanne, ein Burgunder! Schlachten hat es hier gegeben, auf dieser Ebene zwischen Enzen und Zülpich, wilde, tosende Schlachten. Es ist, als ob der Name 'Schävelsheide' an die zerschmetterten Schädel erinnerte, auf welche die Wucht der Francisca, der fränkischen Nationalwaffe, niederschlug. Der Schlachtlärm ist verstummt ...“

Hennes gibt als seine Quelle den „Pächter Steinhausen“ an, der uns noch beschäftigen wird. Außerdem hatte er noch Nachrichten „von verschiedenen Seiten“ eingezogen. Abweichungen dieser Überlieferungen hat er nicht festgestellt.

Die nächste Nachricht stammt von Gottfried Broix. Er bringt sie in seinen „Erinnerungen an das alte berühmte Tolbiacum“ (Neuss 1842) und weist an verschiedenen Stellen auf das „Königsgrab“ hin. Broix schreibt S. 15:

„In dem bereits gedachten Dorfe Enzen wurde vor etwa 100 Jahren, als man dort das Fundament zu einem Stalle legen wollte, eine Grabstätte aufgefunden, welche wegen des reichen Inhaltes zu den seltensten gehören mag. Der Sarg, aus grob behauenem Sandsteine bestehend, scheint in der größten Eile gefertigt. Beim Öffnen desselben fand man, außer einem Gerippe, das in Staub zerfiel, eine goldene Krone, ein goldenes Scepter, einen angeblich 28 Pfund schweren goldenen Harnisch, Beinschienen und mehres Andere, aus demselben edlen Metalle künstlich geformt. Eine Kette, geflochten aus Golddraht (wahrscheinlich zu dem Schwerte gehörig) trägt auf einer Einfassung die Worte: 'hoc utere felix' (gebrache dieses mit Glück). Dieses Kleinod, deßgleichen der Sarg (jetzt zum Futterbehälter dienend), sind noch vorhanden.“

S. 36 f. bei Gelegenheit der Darstellung der Alemannen-Franken-Schlacht weist Broix nochmals auf den Königssarg hin:

„Der Sarg ward aufgefunden an der Heerstraße: bekanntlich beerdigten die Franken ihre Könige (vielleicht nach ihrer Sitte auch hier den gefallenen Alemannenkönig) an der Heerstraße.“

Broix führt S. 16 auch an:

„die Sage von einer bedeutenden Römerschlacht, die unter einem Anführer Scaevola auf der von ihm also genannten Schevelshaide (Schievelshaide), unweit Zülpich, geliefert worden sei.“

Und bei Gelegenheit des von der Zülpicher Stadtmauer herabgestürzten Thüringerkönigs Hermanfrid weist er zum zweiten Mal auf den Enzener Königssarg hin, beim Tode Theudebert II. ein drittes Mal.

Broix macht zunächst den Eindruck einer selbständigen Quelle. Aber bei der Beschreibung von Auffindung und Inhalt des Königssarges folgt er ganz Hennes, den er auch anführt, bis in den Wortlaut hinein, nur steigert er ihn manchmal noch. Wenn Hennes vom Sarg sagt: „Er ist plump behauen, wie in Eile gemacht“, so steigert Broix: „aus grob behauenem Sandsteine bestehend, scheint in der größten Eile gefertigt“. Eigen hat Broix gegenüber Hennes einmal die Zeitungsangabe „vor etwa 100 Jahren“, zweitens die Beschreibung des goldgewebten Bandes mit der Inschrift. Dies Band kann er aber nicht gesehen haben, denn er gibt die Inschrift falsch wieder (sie heißt richtig: „FELIX VTERE“). Den gewundenen Goldring hat Broix offenbar nicht gekannt. Seine Zeitangabe wird uns noch einmal begegnen. Broix ist also keine selbständige Quelle wie Hennes, Aber seine Darstellung wird fast wörtlich übernommen von der Eiflia Illustrata 1852 und von Braun in seinem Aufsatz im Bonner Winckelmannprogramm 1856: „Die Trojaner am Rheine“ (S. 16). Und dieser Aufsatz wieder wird Anlaß für E. Freudenberg, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen.


Freudenbergs Bericht

Freudenberg tut dies in einem Aufsatz im Bonner Jahrbuch 25/1857 (S. 122-139): „Der alte Goldfund in dem sogenannten Königsgrabe zu Enzen unweit Zülpich“. Und dieser Aufsatz ist seither, 120 Jahre lang, die wesentlichste Grundlage für alle weiteren Arbeiten über das Königsgrab geblieben, soweit diese sich nicht auf die Beurteilung der zwei noch vorhandenen Fundstücke beschränkten. Es ist daher nötig, Freudenbergs Aufsatz genau zu prüfen.

Freudenberg berücksichtigt Hennes und Broix, er hat Enzen besucht, hat die beiden Schmuckstücke auf Burg Zievel besichtigt, hat die Nachkommen und Verwandten der einst Beteiligten dort und anderswo eingehend befragt und Wichtiges zusammengetragen; aber es sind ihm auch Ungenauigkeiten und Fehler unterlaufen, die sich gleichfalls unentrinnbar fortgepflanzt haben; und so hat er die Geschehnisse um den Königssarg einesteils zwar gelüftet, andernteils aber verschleiert. Prüfen wir zunächst die eigenen Beobachtungen Freudenbergs auf ihre Genauigkeit nach!

Freudenberg sagt vom SARG: er „ist 8' lang und mißt 3 ½' in der breite und Tiefe“. 8 Fuß wären 240 cm, 3 ½ Fuß wären 105 cm. Die tatsächlichen Maße des Sarges, der auf allen Seiten etwas ungleich ist, betragen: Länge 242-243,5 cm; Breite 92-94 cm. Höhe 79 - 89 cm.

Freudenberg hat die Länge ungefähr richtig angegeben, die Breite völlig falsch, obwohl er sie bequem ausmessen konnte, da der Sarg zu seiner Zeit „einige Fuß in die Erde gegraben“ stand. Die Tiefe des Sarges konnte er wohl nur innen messen, die Dicke des Bodens schätzen. Der Sarg war früher ca. 15 cm höher gewesen, der Besitzer Krewel hatte ihn abhauen lassen, um ihn besser nutzen zu können und Schadstellen zu beseitigen. Die von Freudenberg angegebene Höhe hätte also ursprünglich etwa gestimmt, doch war der Sarg zur Zeit seines Besuchs bereits niedriger gemacht worden.

Die beiden erhaltenen Schmuckstücke bildet Freudenberg in natürlicher Größe ab und schreibt dazu (S. 126):

„Das in natürlicher Größe gezeichnete goldene Band, (Fig. 1) 6 Z. 3 L. lang und stark 1 ½ Zoll breit ...“

Die tatsächlichen Maße sind: Länge 6 ½ Zoll = 16,5 cm, Breite 9/16 Zoll = 14 mm. Die Breite ist also stark ½ Zoll, nicht „stark 1 ½ Zoll“. Wieder ist die eine Angabe etwas richtig, die andere vollkommen falsch. Zu der Inschrift sagt Freudenberg:

„An den beiden Enden des Bandes ist die nicht selten vorkommende (H. II S. 92) lateinische Inschrift VTERE FELIX ... zu lesen.“

In Wirklichkeit steht am oberen Ende FELIX, am unteren Ende VTERE: man kann die Inschrift also nur „FELIX UTERE“ lesen, wie die von Freudenberg beigegebene Zeichnung auch deutlich zeigt. Seine falsche Wortstellung übernehmen nun aber alle Späteren mit einziger Ausnahme von Heinrich Neu 1950, auch das Corpus Inscriptionum Rhenanarum 1867 und Paul Clemen 1900. Ursache der falschen Lesung sind wahrscheinlich andere Vorkommen dieses lateinischen Glückwunsches.

Das Gewicht des Schmuckes gibt Freudenberg mit „2 2/3 Loth“ an, das wären 44,4 g. Das wahre Gewicht ist 35 g (Angabe von Herrn Krewel). Freudenberg erhöht um mehr als 25 Prozent.


Foto: Kreisarchiv

Vom Armring sagt Freudenberg:

„Der Armring oder Goldreif von 2 ½ Z. im Durchmesser und 3 ½ Loth Gewicht (45 Thaler Goldwerth) ist aus drei starken Golddräthen kunstreich gewunden ...“

Der Durchmesser stimmt, das Gewicht ist 55 g, 3 ½ Loth wären 50 g; die Abweichung ist mäßig. Daß der Ring aber aus drei Drähten gewunden sei,ist falsch. Der Ring, bei dem immer ein glatter und ein gekerbter Draht wechseln, kann nur aus einer geraden Anzahl von Drähten gewunden sein, also nicht aus dreien. Aber auch aus zwei Drähten ist er nicht gewunden, wie Clemen 1900 ihn beschreibt:

„Der Armring zeigt die gewöhnliche Form eines aus einem starken Golddraht und einem Perlenstab gewundenen Reifens, dessen beide Ende in dünnen Spitzen auslaufen, die zum Ineinanderhaken umgebogen sind.“

Der Armring ist vielmehr aus vier Golddrähten gewunden, von denen immer ein glatter und ein gekerbter abwechseln. Das läßt sich auch auf den Abbildungen erkennen, wenn man dem Lauf der Windungen folgt, und der Besitzer, Herr Krewel auf Zievel, bestätigt meine Beobachtung. Freudenberg nennt also teilweise ganz falsche Maße für den Sarg, teilweise ganz falsche Maße und Gewichte für das Goldband, gibt die Inschrift auf dem Goldband unrichtig wieder und macht eine falsche Angabe über die Zusammensetzung des gewundenen Ringes. Das bedeutet: Fast alle Angaben, die sich, nach Maß, Gewicht, Zahl und Anordnung genau nachprüfen lassen, erweisen sich als fehlerhaft oder als falsch. Auf Freudenberg stützen sich aber seit 120 Jahren alle Folgenden, ohne Anstoß zu nehmen.

Können wir uns auf Freudenbergs Beobachtungen und Messungen nicht verlassen, so werden wir auch seinen Gedankengängen und Hypothesen mit Vorsicht begegnen müssen. Den Freudenbergschen Hypothesen aber verdanken wir das, was ich „die Gilles-Legende“ nennen möchte. Freudenberg bringt nämlich eine ausführliche Vorgeschichte des Fundes, die bis dahin noch niemals mitgeteilt worden war. Hören wir ihn selbst:

„Bald nach dem Abschluß des Westfälischen Friedens siedelte ein gewisser Joh. Peter Gilles von der Ahr in diese Gegend über und pachtete anfangs auf mehrere Jahre, den damals sogenannten Bungerthof, welchen er später durch Kauf erwarb. Er hatte drei Töchter und da er zu Wohlstand gelangte, erbaute er sich ein neues Haus, über dessen Thüre der Name des Erbauers nebst der kaum noch lesbaren Jahreszahl 1666 in Holz eingehauen ist, woraus sich die zeit des Fundes annähernd mit Sicherheit bestimmen läßt. Die Tradition der Familie Wallpott nimmt das Jahr 1663 an. Gilles überließ das Haus seinem Schwiegersohn, Namens Wallpott,dem Gatten seiner jüngsten Tochter. Als bei diesem neubau das Fundament zu einem Stalle gelegt wurde, stieß der damit beschäftigte Knecht auf einen großen Steinsarg. Der Bauherr, welcher wohl einen verborgenen Schatz darin vermuthete, machte sich im Stillen mit einigen ins Vertrauen gezogenen Arbeitern selbst an die Hebung desselben.“


Der Armreif in Originalgröße
Foto: Kreisarchiv

Freudenberg beschreibt nun den Sarg und den gefundenen Schatz, weist dann hin auf seine Quellen, welche verschiedenen mündlichen Überlieferungen entstammen, und fährt mit der Vorgeschichte fort:

„Kaum war der kostbare Schatz erhoben, so kam, wie die Überlieferung einstimmig berichtet, großes Leid und Unglück über das Haus des Finders Mochte er vielleicht versäumt haben, von dem Funde sofort der Behörde die schuldige Anzeige zu machen, oder mochte durch die beim Ausgraben anwesenden Knechte ein entstellter Bericht zur Oeffentlichkeit gelangt sein, sowohl er als seine Ehefrau wurden verhaftet und auf vier Monate nach Jülich ins Gefängnis geführt; nach einer andern Version soll die Haft sogar 2 ganze Jahre gedauert haben. Für eine kürzere Haft scheint jedoch der von der Ueberlieferung bewahrte Umstand zu sprechen, daß der Familie Gilles während derselben alles Getreide auf dem Felde verdorben sei. Die Fundstücke, zu deren Auslieferung der Finder nach einem so formlosen Verfahren, welches aber in der damaligen Praxis begründet gewesen sein mag, gezwungen wurde, kamen zunächst nach Mannheim, dem Sitze der churpfälzischen Regierung, und sollen von dort wieder nach München, oder (wie andere meinen) nach Wien gewandert sein.“

Zwischen den beiden Teilen des Berichtes wird an der oben bezeichneten Stelle der Sarg und der gefundene Inhalt beschrieben, ähnlich wie bei Hennes. Zu seinen mündlichen Quellen sagt Freudenberg:

„Der vorstehende Bericht über den Inhalt des Grabsargs gründet sich auf die Aussage des jetzigen Besitzers des Wallpott'schen Hauses, Hrn. Anton Steinhausen. Da sein elterliches Haus gerade gegenüber liegt, so konnte sich in seiner Familie um so eher eine treue Überlieferung in Betreff des Fundes erhalten, da sei Urgroßvater zur Zeit des Fundes gelebt haben soll. Auch ist kein Grund vorhanden, an der Richtigkeit dieser Angabe zu zweifeln, da der Vater des Hrn. Steinhausen das Alter von 84 Jahren erreichte, und sein Großvater 80 Jahre gelebt hat.“


Die Datierung

Hier liegt nun aber schon ein wichtiger und folgenschwerer Fehler und Denkfehler Freudenbergs vor, der für die Datierung der Auffindung von großer Wichtigkeit ist. Freudenberg rechnet die Lebensalter der Steinhausenschen Stammväter zusammen und kommt so mit dreimal 80 Jahre schnell in die von ihm angenommene Fundzeit. Nun haben aber die Steinhausen (wie alle anderen) ihre Kinder nicht mit 80 Jahren gezeugt, sondern mit 25-50 Jahren, und es kommt dabei nicht auf ihre übrige Lebenszeit an. Es bleibt die Generationenspanne von 30 bis 40 Jahren, und damit kommt man von dem um 1800 geborenen Anton Steinhausen (bei 40 Jahren) nur zu einem Geburtsjahr des Vaters um 1760, des Großvaters um 1720, der Urgroßvaters um 1680. Erst der Ururgroßvater könnte als Jüngling um 1663 gelebt haben. Dies war zu überprüfen, und es bestätigte sich.

In den alten, jetzt im Personenstandsarchiv in Brühl lagernden Kirchenbüchern von Wißkirchen, in denen die Enzener Daten (leider ohne Register) eingetragen sind, finden sich folgende Angaben:

Der Bruder des Anton Steinhausen, der spätere Kanonikus Joh. Heinrich Steinhausen ist 1802 geboren (20.4.). Sein Vater Andreas Steinhausen ist 1755 geboren († 1838). Dessen Vater Peter Steinhausen ist 1716 geboren († 1793, 10. 4. „77 Jahr alt“).

Das Geburtsjahr von dessen Vater war nicht aufzufinden, und auch das Geburtsjahr des Peter St. nur aus der Sterbeeintragung zu errechnen; denn die Steinhausen erscheinen in Enzen erst seit der Heirat des Peter St. mit Maria Cath. Stolf (oder Stoltz) im Jahr 1742. Dieser hat also offenbar erst nach Enzen eingeheiratet. Bei dem durchschnittlichen Generationenabstand der Steinhausen von 43 Jahren wäre Peters Vater um 1673 geboren, und erst Peters Großvater wäre 1663 Zeitgenossen und etwa 30 Jahre alt gewesen. Das war aber nicht Anton Steinhausens Urgroßvater, sondern sein Ururgroßvater, und dieser lebte nicht in Enzen, konnte also nicht Zeuge der Auffindung sein. Das wäre nur bei einem Ururgroßvater in einer weiblichen Linie möglich gewesen. In keinem Fall konnte ein Steinhausen im Jahre 1663 Zeuge des Grabfundes sein. Entweder stimmt die zeitliche Festsetzung des Fundes nicht, oder es stimmt die Steinhausensche Überlieferung nicht, oder beides nicht.

Wie kam Freudenberg auf das Jahr 1663? Es ist seine Hypothese. Er hatte bei Hennes gelesen und wohl auch mündlich erfahren, daß der Sarg bei der Grundlegung eines Stalles des Wallpottschen Hauses (dem späteren Krewelhof) gefunden worden war. Er hatte über der Tür dieses Hauses den Namen des Erbauers „Gilles“ gelesen und die Jahreszahl 1666 entziffert, und er schloß, vielleicht von den Einwohnern, die er entsprechend befragte, bestätigt, daß die Grundsteinlegung einige Jahre früher, etwa 1663, gewesen sein müsse. Und nun schloß er weiter, auch die Grundlegung des Stalles müßte im Jahre 1663 stattgefunden haben - und das war ein Trug-Schluß!

Die Jahreszahl 1666 für die Fertigstellung des Gilles-Wallpottschen Hauses wird stimmen; denn bei der Umdeckung des Daches im Jahre 1902 fand der Handwerker den Schlußschiefer mit der Jahreszahl 1666 und dem Namen des damaligen Deckers (handschr. Chroni) von Enzen von Pfarrer Blaeser). Aber der Bau des Stalles hatte mit dem Bau des Hauses nichts zu tun. Die von Gilles bearbeiteten Landflächen hatten sich nicht vergrößert, und für die Unterbringung der Feldfrucht mußte genügend Raum vorhanden sein. Gilles führte nur einen Teil des Pachtlandes in eigenen Besitz über.

Auch die Angaben über Gilles dürften stimmen. Seit 1667 taucht der Name Gilles (Geileß) in den Kirchenbüchern auf. 1682 steht, ausführlicher als sonst üblich, die Todeseintragung:

„Joannes Geilleß Bungarts Halffen in Entzen obiit 1682, 19. Julij. Ein Wagen mit Hundert geladener Korngaben mit 2 Reder inmittenn seines Leibes ist über ihm herlauffen im felt.“

„Bungarts Halffen“ heißt Pächter des Bungartshofes. Im gleichen Jahr hatte eine Gilles-Tochter einen Wallpott geheiratet:

„Wilhelmus Walpott duxit Gertrudim Geillig zu Entzen 1682 3ten Febr.“

und 1694 heiratet Maria Geilles den Gerhard Althausen, 1695 Anna Gilles den Joannes Creutz (Creux). Dies werden die drei Gillestöchter sein, von denen Freudenberg schreibt.

Es kann also durchaus richtig sein, daß ein Johann (Peter) Gilles das von ihm 1666 erbaute Haus seinem, damals einzigen, Schwiegersohn Wallpott überließ - oder überlassen mußte, weil er starb -: aber erst Freudenberg hat Gilles zum Finder des Sargschatzes gemacht, weil er Hausbau mit Stallbau zeitgleich setzte. Hennes dagegen hatte deutlich gesagt: Herr Wallpott, in dessen Haus der Sarg ausgegraben wurde“. Das kann erst einige Zeit nach Walpotts Heirat und Gilles Tod gewesen sein; und Hennes setzt denn auch die Fundzeit „gegen das Ende des 17. Jahrhunderts“. Sein Gewährsmann ist Anton Steinhausen.


Das früheste Zeugnis

Wir haben nun aber ein noch älteres Zeugnis, das von dem Vater eben dieses Anton, von Andreas Steinhausen, stammt. Er berichtet im Jahre 1818: „Vor 100 Jahr wurde der Sarg gefunden ...“; das wäre um 1718, und Andreas Steinhausen mußte es besser wissen als sein Sohn, der es nur von ihm erfahren hatte. Damit wären wir mit dem Fund im Beginn des 18. Jahrhunderts. Dies ist die älteste Nachricht, die wir über das Königsgrab überhaupt haben. Sie wird mitgeteilt in P(eter) Simons: „Kleine Geschichte von Uelpenich“ (Köln 1921), ohne daß dieser sagt, woher er die Nachricht hat. Sie ist sonst in der Literatur nicht verwendet worden. Ich fand sie durch Zufall, als ich im Kreisarchiv Euskirchen in der Bibiliothek des Geschichtsvereins stöberte. Das Buch beginnt:

„Uelpenich bildet mit dem nahe gelegenen Rittergut Duerffenthal eine Zivil- und Pfarrgemeinde in der Bürgermeisterei Enzen.“

Auf der nächsten Seite bringt Simons dann die Sage von der Schlacht auf der Schievelheide und sagt anschließend: „und Andreas Steinhausen von Enzen berichtet im Jahre 1818, daß in diesem Orte ein merkwürdiger Fund gemacht worden sei: 'Heidnische Särge mit ewigen Lampen; vor 100 Jahr wurde der Sarg gefunden ..., der metallene Inhalt ist nach München kommen'.“

Andreas Steinhausen bezieht sich hierbei nicht auf den Königssarg allein, sondern auch auf den 1811 gefundenen Kinder-Steinsarg mit der siebendochtigen Erzampel.

Die Nachricht ist umso bedeutsamer, als sie die ursprünglichste Enzener Überlieferung wiedergibt und der Datierung Freudenbergs, der sich auf eben diese Überlieferung zu stützen behauptet, direkt widerspricht. Wenn der Fund nicht 1663, sondern um 1718 gemacht wurde, so konnte Andreas Steinhausen noch recht genaue Kunde von den Fundumständen bekommen haben; denn er war 1755 geboren und hatte mit seinem Vater Peter (geb. 1716) fast 40 Jahre zusammengelebt. Sein Zeugnis überwiegt auch das Zeugnis von Hennes.*)

*) Broix, der 1842 als Fundzeit „vor etwa 100 Jahren“ angibt und damit fast bis zur Mitte des 18. Jhs. käme, dürfen wir hier außer Betracht lassen. Diese seine Angabe ist die einzige, die er nicht von Hennes hat, sondern offenbar aus obigem Bericht, nur daß er sie noch 25 Jahre später weitergibt, einzig durch ein „etwa“ gemildert.

Wir haben also eine ganze Reihe von Zeugnissen, von denen keines für, die vielmehr alle gegen Freudenbergs Hypothese sprechen: 1. Die Abstände der Generation; 2. Hennes' Zeugnis, daß der Finder nicht Gilles, sondern Wallpott war; 3. Hennes' Zeitangabe: „Gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts“; 4. Andreas Steinhausens Zeugnis vom Jahre 1818: „vor 100 Jahr“ (bestätigt durch Broix' Wiederholung). Alle diese Zeugnisse machen klar, daß die „Gilles-Legende“ nicht stimmt, daß die Zeit des Fundes um 1700 lag und nach der besten Quelle um 1718-1720. Erst auf dieser Grundlage läßt sich eine Nachforschung nach den Umständen des Fundes und nach zeitgenössischen Quellen darüber aufbauen.


Der Inhalt des „Königssarges“

Wenn Andreas Steinhausen sagt: „Der metallene Inhalt ist nach München kommen“, so ist das sehr summarisch und allgemein; aber es sagt doch aus, daß der wesentliche Inhalt des Sarges aus metallischen Beigaben bestand, und das können - bei einem Rauminhalt des Sarges von 1 ¼ m³ - nicht ganz wenige gewesen sein, jedenfalls weit mehr als die 2 bis 3 erhaltenen Stücke. Was für „Metall“ soll das aber gewesen sein, das eigens nach München überführt wurde? Für Eisen und Buntmetalle konnte sich der Transport nicht lohnen; also muß es Bronze, Silber, Gold oder Vergoldetes gewesen sein; und da von Silber nie die Rede ist, und die erhaltenen Schmuckstücke aus reinstem Gold bestehen, so bleibt als „der metallene Inhalt“ doch Gold das Wahrscheinlichste.

Daß dabei alle für Gold gehaltenen Fundstücke wirklich durchgängig aus Gold gewesen seien, bezweifelt schon Freudenberg, wenn er S. 134 sagt:

„Mag auch der erste Finder ... das eine oder andere für golden angesehen haben, was vielleicht bloß stark vergoldet war, - was ich namentlich von dem ungewöhnlich schweren Panzer zu glauben geneigt bin -, so wird doch der wohlbezeugte Thatbestand an sich durch diesen Umstand in keiner Weise entkräftet.“

Ihm pflichtet Pauls in der Aachener Zschr. VIII S. 297 (1885) bei, wenn er in Bezug auf den Panzer sagt:

„Den in Bezug hierauf früher schon ausgesprochenen Zweifeln (Bonner Jahrbücher XXV, S. 134) pflichtete ich um so lieber bei, als bis zur Neuzeit bei uns manches Kunstwerk im Volksmund für ein goldenes galt, welches in Wirklichkeit nur aus stark vergoldetem Kupfer bestand. So glaubte man z. B. in Aachen bis zur französischen Revolution fast allgemein, der bekannte große Kronleuchter im Achteck des Münsters bestehe aus reinem Gold. Silber ... war mancherorts auch im 9. Jahrhundert noch so selten, daß die um 831 ... erfolgte testamentarische Schenkung von 2 Pfund Silber als eine Merkwürdigkeit verzeichnet wurde.“

Und das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz (Dr. Gisela Clauß) schreibt:

„Weder aus römischer noch aus fränkischer Zeit sind Rüstungen aus Gold archäologisch belegbar. Es gibt wohl eiserne und broncene Bruchstücke von Rüstungen, die aber ebenso gut zu Panzerstatuen gehört haben können. Außerdem sind die röm. Prunkrüstungen (nach literarischen Berichten) im allgemeinen aus Eisen oder Bronce gefertigt und mit Vergoldung oder Versilberung versehen. Aus fränkischer Zeit kennen wir Reste von eisernen Lamellenharnischen aus Gräbern (z. B. Niederstotzingen, Schretzheim), aber ebenfalls keine goldenen Panzer oder Ähnliches.“

Zum ersten Mal werden goldene Grab-Funde in dem Bericht von Hennes 1837/38 und indem auf Hennes beruhenden Bericht von Broix 1842 aufgeführt. Hennes nennt als seinen Gewährsmann den „Pächter Steinhausen, der mir den Sarg zeigte und alles sehr genau angab“. Aus seinem Bericht geht nicht klar hervor, ob er den Sohn meint oder den Vater, der damals, 83jährig, noch lebte, 1838 starb. Pächter des Wallpott-Krewelschen Hofes war jedenfalls Anton Steinhausen, während der Vater im eigenen Haus gegenüber wohnte.

Anton Steinhausen ist nun aber derselbe, auf den sich 20 Jahre später auch Freudenberg beruft. Freudenberg gibt denn auch als Inhalt des Sarges im Große und Ganzen dieselben Gegenstände an wie Hennes, doch mit einigen Abwandlungen. Freudenberg schreibt:

„Nach Aufhebung des aus einer einzigen Sandsteinplatte bestehenden Deckels von 1 Fuß Dicke fand sich ein Gerippe, welches beim Öffnen in Staub zerfiel. In goldener Rüstung, eine goldene mit 3 Edelsteinen besetzte Krone auf dem Haupte, mit goldenem Zepter, einem 28 Pfund schweren goldenen Panzer und goldenen Beinschienen. Außerdem enthielt der Sarg einen goldenen Schwertgriff, ein von Gold geflochtenes Wehrgehänge und angeblich 28 goldene, dem auf Taf. V abgebildeten ähnliche Kettenringe, endlich einige Münzen.“

Gemeinsam sind beiden Berichten das beim Öffnen des Sarges zerfallende Gerippe, der 28 Pfund schwere Panzer, Krone, Zepter, Beinschienen, 28 große Kettenringe, ein Kettchen bzw. Schwertgehänge, alles angeblich von Gold. Freudenberg fügt hinzu: 3 Edelsteine in der Krone, einen Schwertgriff, einige Münzen. Es fehlt bei ihm der Helm, es fehlt „unter Haupt und Füßen ein goldener Teller“. Woher diese Abweichungen stammen, erklärt Freudenberg nicht. Er fügt aber noch hinzu:

„Eine andere Überlieferung, als deren Gewährsmann mir Hr. Oekonom Gilles in Commern genannt wird, ein Verwandter und Freund des im vorigen Jahr zu Irrenheim verstorbenen Hrn. Wallpott, welcher ein Urenkel von dem obengenannten Schwiegersohne des Finders gewesen sein soll, weiß zwar nichts von einer goldenen Krone oder einem goldenen Helme, welchen letztern Hr. Hennes a. d. a. St. nebst einem goldenen Teller unter Haupt und Füßen anführt; doch nennt sie außer dem 28 Pfd. schweren Panzer, in Betreff dessen sich keine Abweichung in der Überlieferung findet, noch mehrere goldene Ketten, Spangen und Ringe.“

Der zweite Sohn des Andreas Steinhausen, der Kanonikus Johann Heinrich Steinhausen aus Enzen, faßt dann 1863 in seiner „Geschichte von Enzen“ die verschiedenen Überlieferungen samt den Hypothesen Freudenbergs in einem kurzen Bericht zusammen, der all dies bereits als gesicherte Tatsache erscheinen läßt. Sein Bericht lautet:

„Im Jahre 1662 stieß Gilles, ein Enzener, bei Legung der Fundamente eines Stalles auf eine große, schwere Steinplatte, die einen großen, rauh behauenen 8 Fuß langen Sarg von Sandstein deckte. (Der Sarg steht noch im Gehöfte zu Enzen, das jetzt der Familie Krewel zu Haus Zievel gehört.) Und siehe, in dem Sarge lag eine vollständige königliche Kriegsausrüstung von massivem Golde, nämlich Helm, Panzer, Schienen, Schwert nebst Krone und Zepter. (Der goldene Harnisch wog 28 Pfund. Der Kopf des Begrabenen ruhte in einer massiv-goldenen Schüssel. An der Rüstung befestigt, hing ein Gewebe von Golddraht, ½ Zoll breit und 6 Zoll lang, mit geköppelter Aufschrift „utere felix“. Dieses Gewebe nebst einem großen Goldring besitzt Herr Rittergutsbesitzer und Kreisdeputierter Krewel zu Haus Zievel.) Die Leiche des Eingesargten war in Staub zerfallen. Die schwere goldene Rüstung kam nach Mannheim und dann nach München.“

Hier fehlt weder Helm noch Krone, aus dem „Schwertgriff“ ist ein Schwert geworden, das gewebte Goldband war jetzt an der Rüstung befestigt, der Teller unter Haupt und Füßen wird zur massivgoldenen Schüssel, und „von massivem Golde“ soll auch die „vollständige Königliche Kriegsausrüstung“ gewesen sein. (Das Wort vom „massiven Golde“ kommt hier zum ersten Male vor. Die Überlieferung steigert sich so von „metallen“ zu „golden“ zu „massiv-golden“.)

Anton und Johann Heinrich Steinhausen haben ihren Großvater, der 1793 starb, nicht mehr erlebt. Was sie wußten, konnten sie nur von ihrem Vater wissen. Er war der einzige Quelle. Was Anton Steinhausen Ende 1837 an Hennes mitteilte, wußte Andreas also auch. Er sagte es nur nicht nach draußen. Vor allem sagte er nichts von dem, was für die Späteren das Wichtigste war, vom Gold. Er wählte einen Ausdruck, der Gold zwar nicht ausschloß - „der metallene Inhalt“ - der aber gar keinen Anreiz für Neugier und Aufregung bot.

Im übrigen widersprechen sich die Berichte von Vater und Sohn nicht. „der metallene Inhalt“ konnte durchaus all das meinen, was Anton Steinhausen an Hennes wie an Freudenberg mitteilte. Der Kanonikus schmückte das dann noch etwas aus. Andreas Steinhausen wollte nur die öffentliche Aufmerksamkeit nicht auf die goldenen Fundstücke lenken. Warum? Die Obrigkeit hatte den Finger offenbar übel mitgespielt, hatte sie mindestens hart verhört (und die Nachbarn wohl auch), und hatte sie anscheinend in Beugehaft genommen, um sie - zu Recht oder zu Unrecht - zur Herausgabe des Schatzes zu zwingen. (Die Aussagen von Hennes und Freudenberg sind hierin nicht einheitlich.) Jedenfalls scheint Andreas Steinhausen das Verlangen gehabt zu haben, in dieser Sache nicht mit der Obrigkeit in Berührung zu kommen, obwohl seine Familie nicht unmittelbar an dem Fund beteiligt war.

Andreas Steinhausen war unter dem Feudalismus aufgewachsen und mochte 1818 noch fürchten, daß die Pfalz-Neuburger Herzöge von Jülich, welche Napoleon abgesetzt hatte, noch einmal an die Regierung kommen und die nicht ganz geklärte Angelegenheit nochmals aufgreifen könnten, wenn sie von Gold hörten. Seine Söhne, unter ganz anderen Verhältnissen aufgewachsen, brauchten 1838 und erst recht 1857 solche Befürchtungen nicht mehr zu hegen. Rechtsansprüche aus der Vergangenheit konnte nun niemand mehr geltend machen.


Geheimnisse

Bis zum Besuch von Hennes in Enzen war aus dem Munde der Enzener Einwohner und ihrer außerhalb lebenden Verwandten offenbar nichts über goldene Schätze aus dem „Königsgrab“ an die Öffentlichkeit gedrungen. Andreas Steinhausen hatte in seinem Bericht von 1818 das Geheimnis bewahrt. Jetzt wurde das Schweigen gebrochen. Ob der Tod des Andreas 1838 mit der Aufregung um die Aufdeckung dieses Geheimnisses in Zusammenhang stand, ist schwer zu sagen. Er war immerhin 84 Jahre alt.

Geheimnisse aber waren vorhanden. Aus dem über hundertjährigen Schweigen der beteiligten Familien, drei Generationen hindurch, und aus der pauschalen Mitteilung des Andreas St. von metallenen Inhalt, der nach München gekommen sei, ist zu schließen, daß seinerzeit die obrigkeitliche Gewalt die Herausgabe des gesamten Schatzes gefordert hatte, daß die Ablieferung aber nicht vollständig geschehen war. Jetzt, da das Geheimnis sich lüftete, wurde bekannt, daß einerseits ein reicher, angeblich goldener, Sarginhalt abgeliefert worden war; daß aber außerdem noch wenigstens drei Schmuckstücke im Besitz der Finderfamilien verblieben waren, von denen zwei noch vorhanden sind und aus reinstem, 23 karätigem Gold bestehen. „Über ein drittes Fundstück, welches auf dem Hofe zu Erp bei Lechenich aufbewahrt werden soll, konnte nichts Näheres ermittelt werden“ schreibt Freudenberg S. 125/6. Die beiden auf Burg Zievel noch verwahrten Stücke wiegen zusammen 90 g, der gewundene Ring 55 g, das goldgewebte Schmuckband 35 g (wie Herr Krewel so freundlich war, mitzuteilen). Schätzt man das verschollene dritte Stück auf 50 g, so hätten diese drei Stücke, die 1838 noch im Besitz der Finderfamilien waren, 140 g gewogen.

In der Überlieferung über die noch erhaltenen Fundstücke gibt es einen Zwiespalt. 1837/38, als Schmuckband und Ring noch nicht auf Burg Zievel vereinigt waren, schreibt Hennes: „Der Urenkel des Finders, Herr Wallpott zu Irresheim, hat noch davon ein kleines goldnes Kettchen. Bei einem Verwandten desselben, Herrn Krewel zu Zievel, habe ich einen goldnen Kettenring von 1 ½ Zoll Durchmesser gesehen ...“ Freudenberg (1857) schreibt das Gegenteil: „die aus Golddraht geflochtene Kette war schon seit längerer Zeit im Besitze des Herrn Krewel ... der Armring blieb in den Händen des oben erwähnten Wallpott von Irresheim ... Als nach dessen im vorigen Jahre erfolgten Tode seine Mobilien einer öffentlichen Versteigerung unterzogen wurden, fanden sich für das angebotene Kleinod so viele Liebhaber ein, daß Hr. Krewel dasselbe für die Summe von 100 Pr. Thlr., einen den Goldwerth mehr als dreifach übersteigenden Preis, erstehen mußte. Herr Karl Krewel, den ich darüber befragte, sagte, er könne mir keine Auskunft geben. Hier muß Freudenberg sich abermals irren. Er hat die beiden Fundstücke nur vereint auf Zievel gesehen. Hennes aber hat einzig den Goldring gesehen, und zwar auf Zievel, er hat dies noch am gleichen Abend in sein Tagebuch geschrieben, und er kann sich hierin nicht irren, wenn er sich auch im Durchmesser des Ringes irrt (1 ½ Zoll statt tatsächlich 2 ½ Zoll). Das angegebene Gewicht stimmt so ziemlich (5 Carolin = 48,218 g statt 55 g). Das goldgewebte Gehänge hat Hennes nicht auf Zievel gesehen, es war damals also nicht im Krewelschen Besitz. Für dieses Goldband wird gelten, was Freudenberg vom Armreif sagt, daß es bei einer öffentlichen Versteigerung mit vielen Bewerbern von Herrn Krewel erworben wurde. Kaufurkunden darüber scheint es nicht mehr zu geben.

140 g aber sind 1 v. H. des in allen Fundberichten angegebenen Gewichts der goldenen Rüstung, die abgeliefert wurde und stets mit 28 Pfund oder 14 kg angegeben wird. Meist ist dies allein auf den Harnisch bezogen; aber wahrscheinlich meint es die gesamte Rüstung (hier samt Krone und Zepter), wie es auch der ursprüngliche Sinn des Wortes „Harnisch“ ist. Die genaue Gewichtsangabe deutet darauf, daß der angelieferte Inhalt gewogen wurde, doch wohl von der einziehenden Behörde.

1 v. H. des abgelieferten Fundgoldes könnte also den Findern als Finderlohn belassen worden sein, wie es auch sonst bei größeren Funden zum Teil üblich war und ist. Dann wären diese drei Stücke rechtmäßiges Eigentum der Finder geworden. Voraussetzung für solchen Finderlohn ist aber, daß der abgelieferte und seitdem verschwundene Schatz tatsächlich vorhanden war, daß er das angegebene Gewicht besaß und aus Gold bestand oder für Gold gehalten wurde.

Damit sind die Geheimnisse um den Schatzfund allerdings noch nicht erschöpft; denn es bestehen Abweichungen in den Angaben über den Schatzumfang schon bei den verschiedenen Familienmitgliedern. Hennes, der sich auf die Aussagen des „Pächters Steinhausen“ stützt, nennt außer der Rüstung noch: „unter Haupt und Füßen ein goldener Teller -; der Kanonikus Steinhausen schreibt: „Der Kopf des Begrabenen ruhte in einer massiv-goldenen Schüssel“ - das wäre eine Schüssel bzw. ein Teller.

Freudenberg stützt sich nun gleichfalls auf die Aussagen „des jetzigen Besitzers des Wallpottschen Hauses, Hrn. Anton Steinhausen“; aber in dieser, 20 Jahre späteren, Aufzählung fehlen Schüssel und Teller, dagegen sind angegeben (wie schon bei Hennes)

„28 goldene, der auf Tafel V abgebildeten ähnliche Kettenringe, endlich einige Münzen“.

Die Überlieferung eines anderen Zweiges der Familie Wallpott führt statt der 28 goldenen Kettenringe und statt Teller und Schüssel noch „mehrere goldene Ketten, Spangen und ringe“ an. Alle Überlieferungen sind sich jedenfalls darin einig, daß außer der 28 Pfund schweren goldenen Rüstung und den im Besitz der Finderfamilien verbliebenen Schmuckstücke noch ein gewichtiger Schatz nicht gewogenen Goldes vorhanden gewesen sei. Die verschwundenen 27 Kettenringe allein hätten fast 1 ½ kg gewogen und wären aus reinem Gold gewesen! Was ist mit diesem - nicht gewogenen und also auch wohl nicht abgelieferten - Gold geschehen?


Enzener Schatzsage

Von einer Enzener Überlieferung weiß Studiendirektor Tüttenberg in Euskirchen zu berichten, dessen Familie aus Enzen stammt. Er hat in seiner Jugend von der Großmutter in Enzen die folgende Geschichte als eine wahre Begebenheit erzählt bekommen und nie an ihrer Wirklichkeit gezweifelt:

Der Bauer sieht draußen ein Feuer brennen und Männer am Feuer. Er schickt die Magd aus, glühende Kohlen zu holen. Die Magd geht hin, findet die Männer am Feuer hantieren, erbittet Kohlen und bekommt sie. Als sie die aber heimbringt, ist da pures Gold. Der Bauer schickt die Magd zum zweitenmal hin. Sie geht auch und bringt zum andernmal Kohlen, und wieder ist da pures Gold. Aber um keinen Preis will sie zum drittenmal gehen; denn die Männer am Feuer hätten sie furchtbar bedroht, und bei einem sah sie, als sie sich bückte, einen Pferdefuß.

Solche Schatzsagen sind allgemein bekannt und verbreitet. Man sieht sie als Spukgeschichten und als Aberglauben an. Aber sie könnten auch einen ganz handfesten Sinn haben. Schatzfunde sind nicht selten gewesen; und man grub gern an Fernstraßen und Kreuzwegen, weil dort reiche Gräber der Vorzeit sich fanden. Beim Schmelzen von Fundgold erschien oft eine blaue Flamme, wenn das Feuer durch Blasebalg oder „Schmelzsalz“ zu großer Hitze gebracht wurde. Die Holz- oder Schmiedekohlen konnten dann zwar nicht zu Gold werden, aber es konnte noch Gold an ihnen haften. Das dürfte der Wahrheitsgehalt dieser „Schatzsagen“ sein.

Die Enzener Schatzsage läßt solche Vorgänge auch in Enzen als möglich und als wahrscheinlich erscheinen. Die fehlenden 1 ½ kg des goldenen Schatzes, die nicht zur abgelieferten Rüstung gehörten, die aber außer dem erhaltenen Schmuck noch vorhanden gewesen sein sollen, doch nirgends mehr aufgetaucht sind, dürften eingeschmolzen worden sein.

Darin muß das Geheimnis bestanden haben, das so lange und sorgfältig verborgen gehalten wurde. Wenn auch dem Dr. Hennes bei seinem Besuch in Enzen von solchem Goldeinschmelzen nichts erzählt wurde, und die Söhne des Andreas Steinhausen vielleicht auch nichts mehr davon wußten, wo wurden doch nun die ausführlichen Angaben über den Grabfund gemacht, aus denen sich die Tatsache der Einschmelzung fast denknotwendig ergibt.

Die Möglichkeit, daß die Schätze nicht aus einem einzigen Sargfund stammten, sondern aus mehreren, muß im Bewußtsein bleiben; doch findet sich dafür bisher kein greifbarer Hinweis.


Römische Spuren?

Nun ist aber noch über eine - bisher übergangene - Bemerkung des Andreas Steinhausen zu berichten, die neue Rätsel aufzugeben scheint. Der Kurzbericht des Andreas St. heißt nämlich vollständig:

„Heidnische Särge mit ewigen Lampen; vor 100 Jahr wurde der Sarg gefunden, worauf stand: MUTIO SCAEVOLA UXOR ET CONIUNX, der metallene Inhalt ist nach München kommen.“

Die Grabplatte, auf der diese Aufschrift gestanden haben soll, hat sich bisher nicht wieder angefunden. Andere Platten von 5 ausgemauerten fränkischen Gräbern auf dem Schievelberg

„sind bald nach der Auffindung öffentlich verkauft worden. Sie waren ohne Inschriften und figürliche Darstellungen“ (Pfarrer Blaesen, Enzen: „Ortsgeschichte“, handschriftlich 1902, S. 44).


Das neueste Enzener Grab in Zülpich
Foto: O. Becker

Es ist aber nicht unmöglich, daß die Deckplatte des Königssarges noch im früheren Hofraum des „Krewelhofes“ unter der Erde liegt. Der jetzige Besitzer des Enzener Burghofs, Herr Bieger, zu dem der „Krewelhof“ jetzt gehört, will das prüfen.

Die (angebliche) Inschrift ist nicht in das „Corpus Inscriptionum Rhenanarum“ aufgenommen worden, sie wird auch sonst nicht erwähnt. Korrekt müßte sie hießen: „Mutio Scaevolae ...“ Der Grund für den Wegfall des „e“ könnte, wenn die Nachricht stimmt, in Beschädigung oder Schwerlesbarkeit liegen. Bei zweizeiliger Schrift sünde das „e“ am Ende, und beide Zeilen wären dann gleichlang:

MUTIO SCAEVOLAE
UXOR ET CONIUNX

übersetzt: „Dem Mutius Scaevola die Gattin und Geliebte“. Zunächst wird man denken, es müßte hier also ein vornehmer Römer begraben sein, etwa ein Feldherr. Damit stimmt zusammen, daß es eine Sage gibt, die diesen Namen SCAEVOLA mit dem Enzener Schievelberg in Verbindung bringt. Davon berichtet P. Simons „Ülpenich“ S. 4 unmittelbar vor der Steinhausenschen Nachricht:

„Alt scheint auch die Sage von einer fürchterlichen Römerschlacht zu sein, die unter einem Anführer Scaevola auf der Schievelheide geliefert worden sei. So bemerkt zuerst Bürgermeister J. Brauweiler von Linzenich-Lövenich in einem Schreiben vom 11. Januar 1817: „Das in dieser Gemeinde befindliche Schlachtfeld des Mutius Scaevola heißt noch zu jetzigen Zeiten Scaevols Heide“.

Und Broix „Tlbiacum“ S. 16 erwähnt römische Überreste und einen großen Fund römischer

„Münzen von verschiedenen Kaisern, insbesondere des ältern und jüngern Tetricus. Hieran reiht sich die Sage von einer bedeutenden Römerschlacht, die unter einem Anführer Scaevola auf der von ihm also genannten Schevelshaide (Schivelhaide), unweit Zülpich, geliefert worden sei.“

Broix fügt in der Anmerkung hinzu:

„Den Stamm des Wortes Scaevola haben noch: Die Zievelerburg bei Satzvei und das Dorf Dürscheven.“

Broix setzt sich dann mit einer ablehnenden Kritik in „Brewer's Chronik der K. Pr. Rheinprov.“ auseinander und sagt zum Schluß:

„Zu Cicero's Zeiten erscheinen: Q. Muc. Scaevola augur und Q. Scaevola pontifex. - Warum sollte es nun nicht auch einen Feldherrn Saevola gegeben haben, dem der Schivelberg bei Zülpich seinen Namen verdankt?“

Im „Königssarg von Enzen“ könnte also ein römischer Feldherr prunkvoll beigesetzt worden sein. Aber die Inschrift darauf, auch wenn sie so existierte, würde nur beweisen, daß hier einmal des toten Mutius Scaevola von seiner Frau gedacht worden ist. Das Gerippe, das bei Öffnen des Sarges durch Wallpott und seine Helfer zu Staub zerfiel, kann auch das eines ganz andern, nachträglich in diesem Sarg Bestatteten gewesen sein, eines fürstlich Bestatteten, wie die reingoldenen Beigaben zeigen, (und warum nicht) eines Frankenkönigs oder –fürsten? Ich glaube zwar nicht, daß dies Theudebert II. Gewesen sein kann, weil alle christlichen Merkmale fehlen, und „möchte mich lieber für einen Ripuarischen König, und zwar für einen der dem Namen nach uns unbekannten Vorgänger des hinkenden Sigbert erklären“,

wie Freudenberg (S. 134) sagt. Aber ich will eine Merkwürdigkeit nicht verschweigen, die meiner Frau auffiel: In der Enzener Überlieferung, wie Hennes und Freudenberg sie uns bewahrten, werden stets 28 goldene Kettenringe von der Art des auf Zievel bewahrten gewundenen Ringes genannt, d. h. jeder aus reinem Gold, jeder ca. 55 g schwer. Es könnte sein, daß der hier Begrabene einen solchen Ring als Geburtsgeschenk erhielt und zu jedem Geburtstag einen weiteren, die so zusammen eine goldene Schatzkette von wachsendem Wert bildeten, zuletzt 1540 g Gold. Dann wäre dieser Fürst bei seinem Tode 27 Jahre alt gewesen. 26 Jahre war aber das Alter jedes der beiden Brüder Theudebert II. Wie Theuderich II.; so daß sie jeder eine Lebenskette mit 27 Ringen hätten haben müssen, falls nicht ein Todesring die Lebenskette beschloß und zu 28 aufrundete.

(Daß die Zahl 28 nochmals im Gewicht des Panzers auftaucht, ist ohne Bedeutung, da das Pfund = ½ kg ein neues Gewicht ist. Alte Maße hätten eine ganz andere Zahl ergeben.)


Folgerungen

  1. Der mächtige Sarg von ursprünglich über 1 m Höhe, über 2,40 m Länge und über 0,90 m Breite ist vorhanden, ein Sandsteinmonolith von mehr als 2 Raummetern Inhalt; außerdem zwei Schmuckstücke von hohem Wert, 90 g reinsten Goldes. Hieraus ergibt sich, daß es sich um eine sehr reiche und vornehme Bestattung gehandelt hat.

  2. Die Überlieferung spricht aber einhellig von einem weit größeren Schatz, der abgegeben werden mußte oder verloren ging. Selbst „der metallene Inhalt“ des ersten Berichtes weist nicht auf gewöhnliche Metalle hin, sondern auf ablieferungswürdige, also auf Gold, Bronze, stark vergoldetes Kupfer.

  3. Die weitere Überlieferung spricht einstimmig von einer, angeblich goldenen, Rüstung und Herrscher-Utensilien. Dazu steht nicht in Widerspruch, daß im Sarg auch Frauenschmuck war, denn solcher fand sich im Grabe Childerichts I. in Tournai auch. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, daß in dem Sarg ein Fürst oder König beigesetzt war.

  4. Die Tatsache, daß eines der erhaltenen Schmuckstücke sicher römischen Ursprungs ist, bezeugt nicht, daß hier ein Römer (oder eine Römerin) beigesetzt war. In vielen fränkischen Gräbern hat sich Römerschmuck befunden. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, daß hier ein Frankenfürst oder Frankenkönig begraben wurde. Auch die angebliche Inschrift auf der Deckplatte des Sarges schließt eine Wiederbenutzung in fränkischer Zeit nicht aus.

  5. Es fanden sich keinerlei Hinweise dafür, daß das Begräbnis ein christliches war. Dem frühesten Zeugen erschien es als „heidnisch“. Das weist auf die Zeit vor der allgemeinen Christianisierung dieser Gegend hin. Der etwa hier begrabene Fürst scheint kein Christ gewesen zu sein.

  6. Die Zeit der Entdeckung des Grabes wurde seit Freudenberg (1857) um 1663) angenommen. Diese Annahme ist mit großer Wahrscheinlichkeit falsch. Die wahre Fundzeit ist zwischen 1710 und 1725 anzunehmen. Auf dieser Grundlage müßte man weiter forschen. Die Nachforschungen nach den abgelieferten Kostbarkeiten in Mannheim, München und Wien durch Freudenberg, Blaesen und Winter auf der Grundlage von 1663 waren vergeblich gewesen.

  7. Enzen, am Treffpunkt von 6 römerzeitlichen Straßen gelegen, darunter der Heer- oder Königsstraße, welche die Römerstraße Trier - Köln unter Umgehung Zülpichs verkürzte - Enzen, das die weithin zuständige Gerichtsstätte auf dem Schievelberg zu seiner Seite hatte; in dessen Raum und Umkreis viele geklärte und ungeklärte Funde zutage gekommen sind und bei jeder Erdbewegung zutage kommen, muß in spätrömischer und frühfränkischer Zeit ein Mittelpunktsort gewesen sein, in dem die Entwicklung möglicherweise ohne Bruch vom Keltisch-Römischen ins Fränkische überging. All dies ist aber noch zu wenig erforscht.

Die vorliegende Untersuchung wollte das Rätsel um das „Königsgrab von Enzen“ nicht lösten, aber sie wollte Voraussetzungen für seine Lösung schaffen. Nachdem sich im vorigen Jahrhundert eine fast einhellige Meinung gebildet hatte, daß hier das Grab des jungen Frankenkönigs Theudebert II. gefunden sei; und nachdem, besonders im dritten Viertel dieses Jahrhunderts, sich die Gegenmeinung beinahe durchgesetzt hatte, daß es sich um ein spätrömisches Frauengrab handeln müsse, alles andere aber ungegründete Vermutungen seien; sollte hier noch einmal die ganze Überlieferung vor Augen gestellt, gesichtet, geprüft werden, um die Grundlage für ein tragfähiges Urteil zu schaffen, damit der Fund des „Königsgrabes“ wieder zu einer offenen Frage werden.

*

Für Hilfe, Unterstützung und Anregung bei meinen Nachforschungen danke ich den Herren Dr. Schorn/Weilerswist, Studiendirektor Tüttenberg/Euskirchen, Oberstudiendirektor Dr. Rohr/Zülpich, Dr. Irmen/Virnich, der Familie Bieger auf dem Burghof in Enzen, auf dessen Grund und Boden die Steinsärge gefunden wurden, Herrn Karl Krewel auf Burg Zievel, in dessen Besitz die erhaltenen Schmuckstücke sich befinden, den Pastoren Dahmen/Obergartzem, Körfer/Lövenich, Pay/Enzen, Graf und Dehlen/Wißkirchen, den Herren Metternich und Quadflieg in Enzen, dem Heimatmuseum und dem Stadtarchiv in Zülpich, den Mitarbeitern am Rhein. Landesmuseum in Bonn, dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz und den Herren von der Kreisverwaltung in Euskirchen, vor allem dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, das meine Forschung fördert. Ich bedaure, daß ich wegen der Ferienzeit nicht noch weitere Begegnungen haben konnte.


12. April 1977: Bei Ausschachtungsarbeiten wird wieder ein Steinsarg geborgen
Foto: O. Becker

Dr. Heinz Ritter aus Schaumburg, geb. 3. Juni 1902, wohnhaft in Rinteln, arbeitet an der „Erforschung der geographischen Vorstellung der „Thidrekssaga“, ein Studium, das vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes NW gefördert wird. Er geht den Spuren dieser alten Sammlung niederdeutscher Sagen nach, die um den fränkischen Dietrich kreisen, König zu Bonn, das einst den Beinamen „Bern“ oder „Verona“ führte. Dr. Ritter ist auf der Suche nach der ursprünglichen Heimat der Nibelungen, er vermutet diese Heimat in der Landschaft zwischen Zülpich, Euskirchen und Mechernich, wo er sich jetzt mehrere Wochen zu Studien an Ort und Stelle aufhielt.

Am 2. April 1977 hatte er zum zweiten Mal Enzen besucht. Drei Tage später wurde der dritte Enzener Steinsarg entdeckt.

Literatur







1818
1837
1842
1852
1856
1857

Andreas Steinhausen von Enzen, in: P. Simons „Kleine Geschichte von Uelpenich bei Zülpich“, Köln 1921
Hennes. Dr. „Ferienreise“, 6. Folge, Beilage zur Kölnischen Zeitung vom 11. Februar 1838
Broix, J. Gottfried. „Erinnerungen an das alte berühmte Tolbiacum“, Neuss 1842, S. 15 f., 36 f., 52, 56
Eiflia Illustrata III, 1 von Joh. Fr. Schannat u. Georg Baersch, S. 205
Braun „Die Trojaner am Rheine“, Bonner Winckelmannprogramm
Freudenberg, E. „Der alte Goldfund in dem sogenannten Königsgrabe zu Enzen unweit Zülpich“. Bonn. Jb. XXXV S. 122-139

1867
1863
1885

Brambach, Guilelm. „Corpus Inscriptionum Rhenanarum“ Nr. 536 S 122, Elberfeld 1867
Steinhausen, Joh. Heinrich, „Geschichte von Enzen“
Pauls/Bedburg: Besprechung des Buches von Heinr. Hub. Koch „Über Handel und Industrie in den Rheinlanden ...“ Aachener Zschr. VIII S. 297

1900
1902

Clemen, Paul, „Kunstdenkmäler des Neiderrheins“. Kreis Euskirchen S. 31 (579) und 201/2 (749 f.)
Winter, Peter, „Das Königsgrab in Enzen“, in: Beiträge z. Gesch. der Stadt Euskirchen und Umgebung, Nr. 7 und 8 („Erfa“, Unterhaltungsblatt der Euskirchener Zeitung)

1903
1906

Blaesen, Pfarrer in Enzen, „Ortsgeschichte“ von Enzen, Manuskript
Blaesen, Pfarrer, „Das Königsgrab zu Enzen“, Vortrag im Zülpicher Geschichtsverein. Zülp. Ztg. v. 14. und 17. Nov. 1906

1912

„Zülpicher Vergangenheit und Gegenwart (Führer durch Zülpich und Umgebung), Zülpich 1912. S. 8 Anm.
Adams, Überrest aus dem Goldbuch von Enzen“

1950

Neu, Heinrich. „Der Grabfund von Enzen“. Aus: Zwischen Eifel und Ville. Heimatblätter f. d. Kreis Euskirchen. Beilage der Kölnischen Rundschau Nr. 3, 4. Februar 1950

1952

Böhner, Kurt, „Aus der Vor- und Frühgeschichte des Euskirchener Landes“ in: 650 Jahre Stadt Euskirchen, Festschrift Bd. I S. 23-32 (29-32)

1958

Heusgen, Paul, „Das Dekanat Zülpich“ (Geschichte der Pfarreien der Erzdiözese Köln, 2. Folge Bd. III S 23) Siegburg 1858

1962

Haberey, Waldemar. „Der Goldschatz von Enzen, Ein Fund aus der Völkerwanderungszeit. Heimatkalender f. d. Landkr. Eusk. 10. Jg.

1968

van der Broeck, Heribert, „Die Schlacht bei Zülpich und das sogenannte Königsgrab in Enzen“, in: „2000 Jahre Zülpich“

1968
1970
1974

Decker, Josef, Enzen, „Es ist ein Frankengrab“. Köln. Rundschau 22. 8.
Handbuch der histor. Stätten Deutschlands, NRW. „Enzen“ S. 206 (Josef Franke)
Boehme, H.W., „Das sogenannte Königsgrab von Enzen“, in: Führer zu vor- u. Frühgesch. Denkmälern Bd. 26/1974, S. 70 ff.

1976

Firmenich, Heinz, „Stadt Zülpich“. Rhein. Kunststätten Heft 192. Neuss 1976, S. 17









Entnommen: Kreis Euskirchen - Jahrbuch 1978

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