Vor 120 Jahren

Von Karl Otermann

Gottfried Kinkel und Carl Schurz, das große Freundespaar aus der Zeit der 48er.


Der Geburtsort von Carl Schurz, Liblar, jetzt Erftstadt-Liblar, hält die Erinnerung und Verpflichtung an die beiden führenden rheinischen Revolutionäre der Jahre 1848/49 in den Namen „Carl-Schurz-Schule“ und „Gottfried-Kinkel-Realschule“ wach.

Wenn wir uns heute in Deutschland zur demokratischen Staats- und Gesellschaftsordnung bekennen, dann können uns Gottfried Kinkel und Carl Schurz leuchtende Vorbilder sein. Alljährlich spricht der Heimatkalender in irgendeiner Form diese beiden Männer an, zwei Rheinländer, die in jenen Jahren entscheidend in die deutsche Geschichte eingegriffen haben. - wenn es auch kaum direkte Ergebnisse, da Kinkel und Schurz ihrer Zeit weit voraus waren. Sich schon 1848 zu einer Republik in Deutschland zu bekennen, war mehr als vermessen.

Im Mai 1849 war der Zusammenbruch der 48er erkennbar geworden.

Gottfried Kinke., der Bonner Professor, war bereit, „für die sinkende Sache der Revolution - mit der Waffe in der Hand - mit seiner Person, mit Leib und Leben bis zum letzten einzustehen“ (E. Kessel, Die Briefe von Carl Schurz an Gottfried Kinkel, 1965). Er wurde bei einem Gefecht an der Murg verwundet und gefangen genommen. Ein Kriegsgericht verurteilte ihn zu lebenslänglicher Festung. Seine Leidenszeit im Spandauer Zuchthaus begann.


Gottfried Kinkel (l) und Carl Schurz
Foto: P. Fischer

Carl Schurz konnte sich aus dem belagerten Rastatt bei der Kapitulation nur durch eine tolle Flucht durch einen Abwässerkanal vor dem Kriegsgericht retten. Er floh in die Schweiz.

Von dort aus galten dann in Zusammenarbeit mit Frau Kinkel all seine Pläne der Befreiung seines Lehrers und Freundes Gottfried Kinkel. Im August 1850 waren die sehr geheim gehaltenen Vorbereitungen so getroffen, daß Carl Schurz mit dem Paß seines Liblarer Vetters Heribert Jüssen nach Berlin reiste, um dort mit seinem wichtigsten Helfer, dem Gefängniswärter Brune, Gottfried Kinkel aus dem Zuchthaus zu holen. Am 6. November 1850 - es sind nun 120 Jahre her - gelang diese Befreiungstat und dann die abenteuerliche Flucht von Berlin nach Warnemünde und weiter auf deinem privaten Schiff in England. In den „Lebenserinnerungen“ hat Carl Schurz diese Geschichte in ihrer ganzen Spannung festgehalten.

Wir geben hier den Brief wieder, den Gottfried Kinkel dann von Warnemünde aus an den Vater von Carl Schurz schrieb:

An der See, im November 1850

Lieber und geehrter Bürger Schurz!

Wenn Ihr diesen Brief erhaltet, sind Ihr Carl und ich auf der See und so gut wie in vollkommener Sicherheit. Ich halte es für meine Pflicht, an meine Frau zuerst, dann aber an Sie als den Vater meines Retters, meines getreuesten Freundes, zu schreiben; denn ich habe damals, als Sie mich, um Ihren Sohn trauernd, in der Kasematte zu Rastatt besuchten, es recht gesehen, wie Ihr Herz an ihm hängt, und so kann ich mir wohl vorstellen, daß auch Sie und Ihr ganzes Haus in diesen Monaten durch mich soviel Sorgen ausgestanden hatten, weil Er, die Stütze Ihres Alters, um meinetwillen in so große Gefahr sich begeben hat.

Ja, es ist wahr: Carl hat eine Treue Bewiesen an mir, die ich ihm selber schwerlich jemals abverdienen kann; sein Muth, seine Ausdauer und Klugheit haben ein Wunderwerk vollendet, und ich verdanke ihm im vollsten Sinne die Rettung meines Lebens, das bei einer so harten Behandlung täglich mehr in Gefahr kam. Auf was für Art das alles geschehen und bisher gelungen ist, das kann und darf ich Ihnen heute noch nicht schriftlich erzählen: ich hoffe aber, und ein Einblick in die Zeitungen, die ich so lange entbehren mußte, giebt mir davon Gewißheit, daß Carl und ich nach nicht zu langer Zeit ins Vaterland zurückkehren werden, und dann läßt sich, unter veränderten Zeitumständen, alles bei einem Schoppen Wein ruhiger und gefahrloser erzählen.

Was mich betrifft, so ist Carl gerade noch zur rechten Zeit gekommen, denn noch befinde ich mich ganz gesund, und meine Getreuen aus Bonn würden auch bald merken, wenn sie mich mit Carl reden und spaßen hörten, daß ich das fröhliche rheinische Herz in der harten Einsamkeit noch immer nicht verloren habe.

Sagen Sie das alles denen, die in Bonn und der Umgebung unserer alten schönen Fahne treu geblieben sind; sagen Sie es ihnen, daß ich noch der Alte bin und es zu bleiben gedenke, bis ich für all die Liebe und Teilnahme und Treue, welche so viele wackere Männer auf mich während meines Leidens gewandt haben, dadurch danken kann, daß ich alle meine Kräfte in den Dienst des Vaterlandes stelle.

Denn ob ich auch in der tiefen Gefängnisnacht niemals auch nur einen Augenblick am Siege unserer Bestrebungen verzagt bin, sehe ich doch nunmehr mit besonders gewisser Hoffnung in die Zukunft. Dabei wird unser Carl durch seinen Charakter und Geist sowohl als auch durch ein unerhörtes und infames Glück eine Stellung gewinnen, die es auch Sie noch gerne vergessen läßt, daß Sie ihn jetzt so lange haben entbehren müssen. Obwohl es noch von mehreren Umständen abhängen wird, wo ich künftig meine Wohnung aufschlage, so werden wir beide zunächst auf jeden Fall noch einige Zeit zusammen bleiben und uns der herzlichen Freundschaft erfreuen, welche durch gemeinschaftliches Parteiarbeiten geschlossen nun durch Carls Treue und meine Dankbarkeit unaufhörlich geworden ist.

Es war eine im Leben einzigartige Bewegung, als nun alles gelungen war, als er zuerst auf der freien Straße mich umarmte, als ich dann nach anderthalb Jahren der Qual an seine Brust gelehnt in die rettende Nacht hineinfuhr, und zwischen den dunklen märkischen Fichtenwipfeln der Morgen uns Glücklichen heraufleuchtete!

Der Freiheit, der Tätigkeit, meiner geliebten Frau und den lebhaften Kindern wiedergeschenkt, grenzenlosem Elende entflohn, werde ich erst, wenn volle Sicherheit mich in England umgibt, vollständig durchempfinden, wieviel ich der Treue meiner Partei und vor allem meines Freundes schuldig geworden bin.

Ich glaube auch, daß er damit gar vielen Menschen außerdem Freunde gemacht hat, denn außer den Demokraten haben doch viele ihr Herz mir innig zugewendet, welche von meiner so harten und unbilligen Behandlung empört waren: und diese alle werden es Carl nicht vergessen, was er an mir getan hat.

Ich habe diesen Ausdruck meines lebendigen Gefühls gegen Sie und Ihre Familie nicht unterdrücken können, und bitte Sie, auch allen meinen übrigen Parteigenossen und Freunden es in meinem Namen zu sagen, wem ich meine Errettung zuschreibe. Grüßen Sie mir alle, die Muth behalten haben in dieser schweren Zeit und noch freudig an unseren feurigen Sommer von 1848 denken, halten Sie sich gesund und pflegen Sie Ihres Alters, bis der frohe Tag kommt, an welchem ich Ihren Sohn in Ihre Arme führen kann. Ich grüße Sie mit Hochachtung und brüderlichem Gruße

Gottfried Kinkel

Prof. Dr. E. Kessel hat 1965 „Die Briefe von Carl Schurz an Gottfried Kinkel“ in Buchform herausgegeben. Diese Briefe sind „das lebendige Denkmal einer aus der Revolution entstandenen und die Kontinente verbindenden Freundschaft“. In der Einleitung gibt E. Kessel auch Hinweise auf die Schicksale der Spandauer Mitwisser und Fluchthelfer von 1850. Der Gefängniswärter Brune verlor seine Stellung und mußte eine längere Zuchthausstrafe verbüßen. Der Gastwirt Krüger wurde zwar freigesprochen, doch büßte er seine Schankkonzession und seinen Stadtratssitz in Spandau ein. Aus Briefen geht hervor, daß Schurz und Kinkel gerade diesen beiden Männern auf der Suche nach einer neuen Existenz immer wieder geholfen haben.

Schließen wir diesen Beitrag mit einem Wort von Carl Schurz - inzwischen Amerikaner geworden - an Gottfried Kinkel am 25. März 1865:

„Ich finde, daß die Frage der Freiheit,
wenn auch noch so verschieden in der Form,
doch im Wesen überall dieselbe ist.“

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1971

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