Von alten Dörfern und der Krönungsstraße Wüschheim und Borr

Von Dr. Franz Schorn


„Über die Geschichte von Wüschheim läßt sich nicht vieles berichten,“ schreibt Johannes Krudewig in seiner Geschichte der Bürgermeisterei Cuchenheim“ (2. Band, 1921, S. 267) und widmet der kleinen Gemeinde nur zwei Seiten. Wüschheim hat sich allerdings nicht zu einer Pfarrgemeinde entwickeln können. Es besaß auch nie eine Burg. Erst in diesem Jahrhundert hat die einstige Landstraße und heutige Bundesstraße 51 von Köln nach Münstereifel seine Dorfform beeinflußt. Geprägt aber hat sie die Aachen-Frankfurter Heerstraße, die Krönungsstraße des Mittelalters, die westlich des Dorfes die Erft durchquerte heute aber dort und auf weiten Strecken verschwunden ist.

Die Lage nahe der Kreuzung dieser Straße mit der Erft hat Wüschheim schon früh in die Geschichte „eingehen“ lassen. Dabei ist ihm lange Zeit in der Geschichtswissenschaft die Ungerechtigkeit widerfahren, mit Wissersheim bei Gymnich verwechselt worden zu sein (vg. Oedigen, Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, 1. Band, nr. 510 mit weiteren Schrifttumsangaben, berichtigt Seite 42*). Es ist das Verdienst von Heinrich Dittmaier, (in den Rheinischen Vierteljahresblättern 1959, S. 210, 214 f.) klargestellt zu haben, daß es sich bei dm in der Wildbannbestätigung des Kaisers Otto II. aus dem Jahre 973 genannten Ort Uisheim oder Wisheim um das heutige Wüschheim handelt.


Auf obiger Karte ist der Verlauf der heute größtenteils verschwundenen Heer- und Krönungsstraße Aachen - Düren - Sinzig - Frankfurt und auch der Heerstraße Aachen - Düren - Bonn eingezeichnet. Auf der Wiedergabe im Heimatkalender 1960, S. 31, wurde der Verlauf der Krönungsstraße von Sievernich über Vettweis geführt, was bei dieser Gelegenheit berichtigt wird.
Karte: Dr. F. Schorn, Weilerswist

Das Gleiche gilt auch für das im Weistum des Weilerswister Kaulenhofgerichts erwähnte Wußheim, das Hermann Aubin nicht festzustellen wußte (vgl. Aubin, Die Weistümer der Rheinprovinz, 2. Abt., 2. Band: Amt Brühl, 1914, S. 91). Nach diesem Weistum soll der Wassergang der zum Kaulenhof gehörenden Mühle von ihr einerseits „bis zu Wußheim unter die Olligsbank“ und andererseits bis zum Kühlsegger Mühlenteich frei sein; der Müller „mag sich das Wasser suchen“ auf dieser Strecke, wenn er dessen bedarf. Da der den Oberlauf der Erft begleitende Mühlenbach nördlich von Wüschheim in die Erft einmündet, kann in diesem Zusammenhang nur Wüschheim gemeint sein.


Lechenich (um 1650). „Eigentlicher Grundt und Abriß des Stätlein und Schloß Lechnich (sampt den umligenten Örder) wie solches belagert, beschossen, besturmt, und mit schandt verlassen.“
Foto: Kreisbildarchiv

Das 1623 erneuerte Weistum spiegelt in den angeführten Punkten 8 und 9 ein sehr altes Wasser- und Mühlenrecht wider. Es muß zu einer Zeit erteilt worden sein, als die Herren des längst untergegangenen Kaulenhofs, der nahe der Weilerswister Kirche gelegen war, über den Wasserlauf innerhalb der Herrlichkeit Weilerswist, Vernich und Lommersum frei verfügen konnten. Die Einschränkung „bis zum Kühlseggener Mühlenteich“ dürfte freilich jüngeren Datums sein; sie berücksichtigt, daß die Burgherren von Kühlseggen 1488 den Kaulenhof zu Eigentum erworben und danach wohl eine eigene Mühle vor ihrer Burg angelegt hatten. Möglicherweise ist die Kühlseggener Mühle aber auch älter oder genau so alt wie das Kaulenhofer Mühlenprivileg; der Bereich von Kühlseggen ist der ehemaligen Swister Herrlichkeit zuzurechnen, die wohl stets zum Swistgau gehörte, so daß der Mühlenbann hier mit der Gaugrenze zwischen dem Swist- (Ahr-)gau und Zülpichgau übereinstimmte. Dagegen weiß das Weistum nichts von der Bannmühlen in Ottenheim und Vernich, deren Bestehen urkundlich 1306 und 1342 nachweisbar ist, aber schon für das 13. Jahrhundert angenommen werden darf. Das genannte Wasser- und Mühlenrecht des Kaulenhofs scheint mithin auf die Zeit um 1100 zurückzugehen, als die herzöge von Limburg sowie die Grafen von Are und Saffenberg das Gebiet von Weilerswist, Vernich und Lommersum noch nicht unter sich und ihre Verwandten aufgeteilt hatten.


An der alten Heerstraße bei Weilerswist
Foto: Kreisbildarchiv

Die in der Urkunde von 973 beschriebene südliche Grenze des Wildbanns erbringt auf der Strecke Wüschheim - Mariaweiler - Haaren gleichzeitig eine Bestätigung für das Bestehen der Aachen - Frankfurter Heerstraße um diese Zeit; denn sie bildet diese Grenze.

Das Alter dieser Straße ist noch immer ungewiß. Im Heimatkalender 1963 (Seite 25) bezweifelt Werner Sieper, daß diese Straße zur Zeit der Normanneneinfälle in den Jahre 881 und 892 überhaupt schon vorhanden war. Dies dürfte jedoch nicht berechtigt sein.

Für ein höheres Alter dieser Straße spricht weniger die Tatsache, daß die Urkunde von 973 eine Schenkung König Ludwigs bestätigte. Eugen Ewig zeigt in seiner Untersuchung „Das Bistum Köln im Frühmittelalter“ (Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 155/156, 1954, S. 205, 217) eine Anzahl von Land- und Güterschenkungen im heutigen Kreise Ahrweiler auf, die seitens der Könige und des Adels an entfernt liegende Klöster wie St. Martin von Metz, das Doppelkloster Stablo-Malmedy und das Kloster Nivelles/Belgien erfolgten.

„Die starke Ballung kirchlichen Fernbesitzes im Fiskus Remagen vom Drachenfelser Ländchen bis zur Ahr und von Remagen bis Ahrweiler-Altenahr war wohl zum Teil durch den Weinbau bedingt“ (Ewig, S. 221). Diese Schenkungen stammen teils von König Sigibert (633-659), teils aus dem 8. Jahrhundert.


Am Siechenhaus bei Rövenich
Foto: Karl Otermann

Sie sind nur dann recht verständlich, wenn es außer den in dieser Zeit weiterbenutzten, ungefähr von Südwest nach Nordost gerichteten großen Römerstraßen eine direkte Querverbindung zwischen diesem Weinbaugebiet und dem Raum Aachen - Lüttich - Maastricht gegeben hat, auf der sich der Güter- und Personenverkehr abspielen konnte. Zwar mag dieser Verkehr anfangs die Heerstraße Aachen - Düren - Lechenich - Swisterberg - Bonn und rheinaufwärts die Uferstraße benutzt haben; auf die Dauer drängte er jedoch auf die Abkürzung dieses wegen der Überquerung des Vorgebirges mühevollen und am Rhein leicht versperrbaren Umweges.

Die Aachen-Frankfurter Straße war nicht nur die kürzeste Verbindung zwischen diesen Städten, sondern auch zwischen den fränkischen Königsvillen Aachen, Düren und Sinzig und führte zwischen den beiden letztgenannten Villen ein gutes Stück durch das Gebiet der Königsvilla Flamersheim-Hockebur, die in einer Urkunde König Heinrichs I. aus dem Jahre 930 lediglich mit „Heim“ bezeichnet ist (Lacolmblet, Urkunnenbuch für die Geschichte des Niederrheins, Band 1, Nr. 89). Das Gebiet jener Königsvilla ist im 8. bis 10. Jahrhundert durch Schenkungen der Könige immer mehr zusammengeschrumpft. So kam beispielsweise Rheinbach 762 an das Kloster Prüm, erhielt der Vasall Otbert 856 Ländereien bei Oberdrees, Essig, Kessenich und Ottenheim sowie ein Gut mit Kapelle in Büllesheim und in Straßfeld; Ländereien zu Sievernich gehörten 893 vermutlich auf Grund königlicher Schenkung zu Prüm, ebenso wohl auch Besitz in Wichterich, wo dieses Kloster schon 866 aus adliger Hand Land empfangen hatte, das zur Dotation der Kirche von Bachem (im Drachenfelser Ländchen) diente (Beyer, Urkundenbuch zur Geschichte ... der mittelrheinischen Territorien, Band 1, Nr. 93, 105, 106, 108 u.a.). Es ist kaum vorstellbar, daß die Aachen-Frankfurter Straße erst entstanden ist, nachdem die Könige das Reichsgut in diesem Bereich zersplittert haben. Die nachträgliche Anlegung der Straße hätte wieder die Rechte der neuen berührt und wäre nicht ohne Folgen geblieben. Aus diesen rechtlichen und den oben erwähnten wirtschaftlichen Gründen erscheint es gerechtfertigt, die Entstehung der Aachen-Frankfurter Heerstraße auf dem Teilstück Düren - Sinzig spätestens in der Zeit Karls des Großen anzusetzen, wie es Johannes Nottebrock in seiner Studie „Die Aachen-Frankfurter Heerstraße in ihrem Verlauf von Aachen bis Sinzig“ in „Bonner Jahrbücher“ Band 131 (1926), S. 245, 265 ff., ebenfalls mit guten Gründen getan hat.


Am alten Kloster Essig
Foto: Kreisbildarchiv

Eine Etappenstation in der Nähe dieser Heerstraße war der ort „Barna“, den die Wissenschaft bisher auch noch nicht mit Sicherheit bestimmt hat. Kaiser Ludwig der Fromme bestätigte im Jahre 814 dem Kloster Stablo-Malmedy, das König Sigibert 648 gegründet hat, den von seinen Vorgängern geschenkten Zehnten samt Kapellen in „Duira (Düren), Clodonna (Klotten/Mosel), Barna, Sintiaco (Sinzig), Andernaico (Andernach)“ und anderen Orten (Halkin-Roland, Recueil des chartres de l'abbaye des Stavelot-Malmedy, 1909, Nr. 25). Der Name „Barna“ erscheint in jüngeren Abschriften der Abtei angeblich als „Bonna“. Ewig (aaO., S. 218, Anm. 67) setzt jedoch hinter Bonn mit Recht ein Fragezeichen und zieht Barmen bei Jülich in Betracht - wohl deshalb, weil der Name in der Wiedergabe der Urkunde, mit der Kaiser Otto I. im Jahre 950 erneut diese Besitzungen bestätigte, als „Barma“ aufgeführt ist (Halkin-Roland, aaO., Nr. 70). Für Barmen spricht das St. Martins-Patrozinium seiner Kirche, gegen diesen Ort streiten die späteren Auflösungen des Namens nach „Bonna“. Hier zeigen sich die Schwierigkeiten, die die Entzifferung alter Handschriften bereiten. Sprachgeschichtlich ist das völlige Verschwinden des „r“ und seine Ersetzung durch „n“ ungewöhnlich. Es liegt daher näher, statt „Bonna“ „Borna“ zu lesen. Drei Orte, deren heutige Namen sich aus „Borna“ entwickelt haben dürften, kämen sodann in Betracht: Born im Gebiet von Malmedy - es scheidet jedoch aus, weil es (nach freundlicher Mitteilung des Kath. Pfarramtes in Recht) erst 1698 eine der hl. Luzia geweihte Kapelle erhalten hat -, Born bei Brüggen im Landkreis Kempen-Krefeld und Borr bei Friesheim. In „Borno“ bei Brüggen besaß schon 1136 das Nonnenkloster Groß-Königsdorf den halben Zehnten der Kirche (Knipping, Regesten der Kölner Erzbischöfe, Bd. 2, Nr. 322; 1158 hatte es den ganzen Zehnten, vgl. Lacomblet, Urkundenbuch, Band 1, Nr. 395). Wenngleich das St. Peters-Patrozinium auf eine frühe Gründung der dortigen Kirche hinweist, liegt Born zu weit nördlich und zu sehr abseits der großen Straßen von Aachen zum Niederrhein, um für das Doppelkloster Stablo-Malmedy von Interesse zu sein.


Borr, am Kirchplatz
Foto: Landeskonservator

So bleibt nur Borr, etwas abseits, aber nahe der Kreuzung der alten Römerstraße Reims - Zülplich - Köln und der Heerstraße Aachen - Düren - Sinzig - Frankfurt gelegen. Nicht allein seine Lage, sondern auch das St. Martins-Patrozinium seiner Kirche sprechen dafür, daß es sich bei dem „Barna“ von 814 nur um das heutige Borr handeln kann (St. Martin war der beliebteste Heilige im fränkischen Königshaus). Sehr viel später, nämlich 1245, wird Borr als „Burne prope (nahe) Vrisheim“ in einer Urkunde des Klosters Bürvenich, und zwar als Pfarrei genannt. So heißt es auch in einer Urkunde aus dem Jahre 1313, aus der hervorgeht, daß damals Erzbischof Heinrich von Köln, Inhaber von 60 Morgen Land und des anklebenden Patronatsrechtes an der Borrer Kirche war; er belehnte Heinrich von der Hoven mit diesen Rechten, die jener von Richard von Birgel angekauft hatte. Wann das Kloster Stablo-Malmedy seine Rechte in Borr aufgegeben oder verloren hat, ist aus den gedruckten Quellen nicht ersichtlich. In der 1931 erschienenen Geschichte von Borr weiß Peter Simons außer dem Inhalt der beiden Urkunden kaum etwas von der mittelalterlichen Geschichte des Ortes zu berichten. Wenn wir einer gegen Ende des 13. Jahrhunderts von Pawin von Heymberg (Hemberg = Hemmerich am Vorgebirge) besiegelten Urkunde Glauben schenken dürfen, besaß im Jahre 1208 Graf Heinrich von Sayn das Patronatsrecht zu „Burne“; er übertrug es damals dem Payno von Saffenberg zu Lehen (Stadtarchiv Köln, Kur-Köln. Urkundenverzeichnis Nr. 8). Demnach dürften die Vorfahren des Grafen spätestens um die Mitte des 12. Jahrhunderts dieses Recht an sich gebracht haben, zu einer Zeit, als Abt Wibald von Stablo-Malmedy über die Beraubung des Klosterbesitzes klagte und Erzbischof Arnold von Köln sich anschickte, Burg Sayn bei Neuwied zu belagern (Jaffé, Bibliotheca Rerum Germanicarum, Bd. 1, Nr. 385). Der Kölner Erzbischof hat das Land mit dem Patronatsrecht zu Borr offenbar aber erst später (1247?) von den Nachfahren jenes Grafen Heinrich von Sayn erworben.

Wenn auch die Besitzerfolge im Zehnt- und Patronatsrecht der Borrer Kirche immer noch große Lücken aufweist, so bietet sie keinen Anhaltspunkt für die Begründung dieser Kirche durch den Bischof. Die Urkunde von 814 legt vielmehr eine königliche Gründung nahe. Darüber hinaus unterstützt sie die von Simons aufgestellte und ins Handbuch des Erzbistums Köln übernommene Behauptung, Borr sei eine fränkische Siedlung der Landnahmezeit, eine Behauptung, die sich bisher recht kühn ausnahm. Bei der Identität mit dem Ort Barna von 814 kann Borr sich sogar rühmen, den ältesten schriftlichen Nachweis für das Bestehen einer Kirche im heutigen Gebiet des Kreises Euskirchen zu besitzen.

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1968

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