Carl Schurz als Bonner Student
Ein Leben für die Freiheit
(Vortrag zur Carl-Schurz-Feier des Landkreises Euskirchen, gehalten am 16. Mai 1966 in Liblar)

Von Univ. Prof. Dr. Max Braubach


Im September 1852 landete ein junger aus dem Rheinland stammender deutscher Patriot in New York und sah sich mit erstaunten, zugleich mißtrauischen und hoffenden Blicken in der neuen Welt um, die ihm, dem aus der alten ausgestoßenen, zur neuen Heimat werden sollte. Erst 23 Jahre seines Lebens lagen hinter ihm, Jahre voll jugendlichem Enthusiasmus und Tätigkeitsdrang, aber auch voll bitterere Enttäuschung. Vor ihm aber lag noch mehr als ein halbes Jahrhundert eines unentwegten kämpferischen Schaffens und Wirkens für Amerika: am 14. Mai 1906, vor nunmehr 60 Jahren, ist er dort in seiner neuen Heimat, der er sich auf das Innigste verbunden fühlte, gestorben.

In seinem Wirken jenseits der Meere liegt in der Tat die eigentliche Bedeutung des Mannes, der schon vier Jahre nach seiner Ankunft in den politischen Kampf eingegriffen hatte, der zum Freund und Berater des großen Präsidenten Lincoln wurde, als General Brigaden und Korps des Nordens im Sezessionskrieg führte und dann als Senator und als Innenminister für Sauberkeit und Ordnung, für Fortschritt und Aufstieg der künftigen Weltmacht unbeirrbar und zielbewußt focht und der auch noch, als er die politischen Posten aufgegeben, eine Macht in der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten darstellt, der, geborene und begeisterter Journalist, die Gegenwart beeinflußte und in geschichtlichen Werken die Vergangenheit zur Lehrmeisterin für die Zukunft werden ließ.


Zwei Wochen stand Liblar im Zeichen der Carl-Schurz-Ausstellung

War nun die kurze Spanne bewußten Lebens in Europa nur eine Art Präludium für Wirken und Werk des amerikanischen Bürgers, der voll Hingabe seine große Fähigkeit und Kraft für das Wohl des neuen Vaterlandes einsetzte? Sie war doch wohl mehr als das, und es dürfte mehr als biographisches Interesse haben, wenn man sich mit ihr beschäftigt. Carl Schurz ist durch die einzige deutsche Revolution gegangen, die diesen Namen wirklich verdient, er hat in ihr die Erkenntnis dessen, was menschliche Freiheit ist und wie sie auf moralischer Grundlage verwirklicht werden kann und soll, bereits in die Tat umzusetzen versucht, die er dann in der neuen Welt Jahrzehnte hindurch in Wort und Handeln vertrat, zugleich aber ist er für jenes tragische und doch unvergeßliche, die Zukunft bis in unsere Tage bestimmende Ereignis der deutschen Geschichte gewissermaßen zum Symbol geworden.

Nicht mit Unrecht hat man von diesem Jüngling vom Rhein sagen können, daß in ihm die deutsche Erhebung von 1848, der deutsche Kampf um Freiheit und Einigung einen reinsten und schönsten Ausdruck gefunden, daß sich in ihm das Heldenhafte dieser Revolution gleichsam verkörpert habe. Es ist so ein bedeutsames Stück deutscher Geschichte, das wir hier betrachten wollen, aber es ist zugleich ein Stück amerikanischer Geschichte, denn es sind immer wieder die Züge des ehemaligen deutschen Studenten, die wir in dem großen amerikanischen Bürger und Politiker erkennen können; wie er selbst schon im August 1849 seinen Eltern prophezeite, war ihm seine Vergangenheit die beste Waffe für seine Zukunft, nur dieser deutsche Kampf, den er in jugendlicher Unreife und doch in männlicher Geradlinigkeit geführt, macht es uns verständlich, daß er zu dem vielleicht schönsten Geschenk werden konnte, das die deutsche Nation Amerika, den Vereinigten Staaten, dargebracht hat. Dem am 2. März 1829 in Burg Gracht bei Liblar geborenen Sohn eines Schulmeisters hat niemand an seiner Wiege singen können, daß er sein Leben als angesehener amerikanischer Staatsmann beschließen würde. Ja, es ist auch nicht so, als ob seine Entwicklung in der Jugend, die ihn von der Liblarer Volksschule über die Brühler Elemantarschule und das Kölner Marzellengymnasium zur Bonner Universität führte, irgend etwas von der Fähigkeit verraten hätte, die er einmal an den Tag legen sollte. Immerhin begabt und aufgeschlossen war er, und als er Anfang 1847, noch keine 18 Jahre alt, die „Alma Mater Bonnensis“ bezog, da gingen seine Hoffnungen dahin, sich dereinst einen Lehrstuhl für Geschichte zu erringen. Ob sie sich wohl erfüllt hätten, wenn ihm eine ruhige Studienzeit vergönnt gewesen wäre und ihn der Sturmwind der Revolution nicht in andere Bahnen geschleudert hätte?

Wohl will er sich in den ersten Semestern eifrig mit der Geschichte Europas zur Zeit der Reformation beschäftigt haben, eine Beschäftigung, die ihn dann zum Entwurf einer Tragödie über Ulrich von Hutten anregte. Viele Vorlesungen hat er aber wohl nicht gehört, und als Anfang 1848 der politische Wirbel sich erhob, scheint sein Interesse am Studium sofort fast ganz geschwunden zu sein. Nach den Angeben des späteren Romanschriftstellers Friedrich Spielhagen, der zu gleicher Zeit in Bonn studierte und ihn gut kannte, ist es zweifelhaft ob er seitdem überhaupt irgendein Kolleg noch belegt hat; jedenfalls hat er sich nur ganz selten in einem Auditorium blicken lassen. Einmal saß er plötzlich zu Spielhagens Überraschung neben diesem: „Es war“, so berichtet der Kommilitone, „in einem Kolleg über Äschylos 'Sieben gegen Theben', und ich hatte mein Kollegienheft vor mir aufgeschlagen. Schurz hatte es zur Hand genommen und eine Minute oder so ernsthaft darin geblättert. Nun legte er es auf den Tisch zurück, blickte mich von seitwärts an und sagte: 'das verstehst du nun alles'. Ich würde die Ironie herausgefühlt haben, auch wenn sie das halb gutmütige, halb spöttische Lächeln, welches die Worte begleitete, und der Ton der Stimme nicht verraten hätte.“

Mehr hat den jungen Studiosus wohl von vornherein eine andere Seite des Studentenlebens angezogen. Seit Beginn der vierziger Jahre hatten die lange Zeit verpönten Burschenschaften ihre Wiederauferstehung erlebt, zu einer von ihnen, der Frankonia, war Schurz bereits während seiner Gymnasiastenzeit durch Vermittlung zweier Schulfreunde in Verbindung getreten, in ihr erschien er dann nach seiner Übersiedlung nach Bonn. Seine anfängliche Schüchternheit legte er bald ab, nachdem ihm die Abfassung einer Kneipzeitung mit einer auf die Mitglieder der Verbindung gemünzten Parodie von Auerbachs Kellerszene deren Beifall eingetragen hatte. Im November 1847 auch in den inneren Kreis aufgenommen, fühlte er sich unter den Frankonen wohl, und wenn dem schwerblütigen Pommern Spielhagen die Kommerse, bei denen man nach seiner Schilderung in einem schauerlichen Unisono immer wieder dieselben Lieder von dem stattlichen Haus, dem kühlen Grunde und den drei Burschen, die übe den Rhein zogen, wenig behagten, wenn ihm „jene fraglos entsetzlichen, aus einem Vorbergswein Schattenseite gebrauten Bowlen Grauen erregten“, so wußte Schurzens heiterer rheinischer Sinn dem Verbindungsleben weit mehr Geschmack abzugewinnen, er hatte Freude an den im Ganzen doch maßvollen Kneipereien, an den üblichen studentischen Zeremonien, an Schabernack und Ulk, er nahm mit Eifer teil an den gemeinsamen Ausflügen nach den Dörfern rings um Bonn, an den Spritztouren weiter den Rhein hinauf und in die Nebentäler des heimatlichen Stroms. Stets ist ihm in seinem späteren Leben eine frohe Erinnerung geblieben an diese „sorglose, sonnige, idealisch schwärmerische Jugendzeit mit ihren Freunden und Freuden“. Indessen durften doch nach seiner Meinung das Kneipen und das Fechten, in dem er übrigens ein Meister war, das Leben eines Burschenschaftlers nicht ausfüllen. „Es gehört“, so hat er damals seinem Freunde Petrasch geschrieben, „nicht gar viel dazu, ein angenehmer Bummler und populärer Student zugleich, auch praktischer Kopf zu sein, wohl aber dazu, ein tüchtiges und ganzes Mitglied der Burschenschaft zu bilden“. Und ein andermal versicherte er, daß er zwar nicht verlange, daß alle Mitglieder Genies sein sollten, wohl aber müßten sie alle ganze Menschen sein.

Schon aus diesen Sätzen geht hervor, daß der junge Schurz von einer oberflächlichen Bevorzugung der leichteren Seiten des Lebens doch ebensoweit entfernt war wie von kopfhängerischer, griesgrämiger Stubenhockerei. Die heitere Aufgeschlossenheit seines Gemütes paarte sich mit ruhigem, festen Ernst des Charakters. Und wenn wir feststellen mußten, daß es mit seinem Studium in diesen kurzen ersten Semestern nicht weit her war, so haben wir Zeugnisse dafür, daß er geistig sehr regsam und fortwährend bestrebt war, sich weiter zu bilden. Schon damals trat er in den Kreis ein, der sich in Bonn um Gottfried Kinkel, den hochgesinnten Pfarrerssohn aus Oberkassel, der von der Theologie zu Dichtung, Literatur und Kunst übergewechselt war, und um seine geistreiche, energische Frau Johanna Mackel gesammelt hatte. Hier fanden wohl seine literarischen, künstlerischen und musikalischen Neigungen Anregung und Förderung. Selbst hat er eine Novelle „Richard Wanderer“ verfaßt, und noch aus der Revolutionszeit sind uns in Kinkels Nachlaß zwei Gedichte erhalten geblieben, die zwar weniger dichterische Betätigung als revolutionäre Gesinnung bezeugen.

Kinkel, dessen warmes Herz von Mitleid für alle Armen überfloß, der, Ästhet, Dichter und Professor, sich doch nicht zu erhaben dünkte, sich der Handwerker in ihren Nöten anzunehmen, mochte auch in ihm, dessen Familie die Schwierigkeiten des Lebens nicht fern geblieben waren, das Gefühl der Verpflichtung gegenüber den leidenden und darbenden Mitmenschen wecken. In persönlichen Studien suchte er sich zugleich Einblicke und Kenntnisse in Disziplinen zu verschaffen, über die kein Kolleg gelesen wurde.

Derselbe Spielhagen, dessen Eifer im Hörsaal Schurzens Spott herausgefordert, bezeugt dies; er berichtet, wie er an einem glühend heißen Sommertage zur Mittagsstunde außerhalb Bonns auf der Koblenzer Chaussee auf Schurz traf, der langsam in einem Buche lesend dahinschritt, das ihn so zu fesseln schien, daß er ohne des Freundes Anruf achtlos an ihm vorbeigegangen wäre. Es war Rousseaus Du Contrat social, die Bibel der Demokratie. Hier sollte es nicht beim Studium bleiben. Was er in Werken wie diesem sich erarbeitet hatte, das suchte er in dem Strudel der Revolution, in den er gerissen wurde, in die Tat umzusetzen.


6.000 Besucher kamen zur Carl-Schurz-Ausstellung

Die Nachricht von der Februarrevolution in Paris und von den raschen Erfolgen der Bewegungen in Süddeutschland hatte auch in Bonn, wo man bis dahin nach dem Urteil eines Zeitgenossen im Stande der vollkommensten politischen Unschuld gelebt hatte, zu einer Erregung geführt, bei der man sich zunächst begeistert zur Herstellung der Einheit und Freiheit des deutschen Vaterlandes zu verbrüdern schien. Diese Phase fand ihren Höhepunkt, aber auch ihren Abschluß in einer Feier vor dem Bonner Rathaus am 20. März 1848, bei der man Arndt und Dahlmann als die einst verfolgten Vorkämpfer von Freiheit und Recht ehrte und Kinkel eine große schwarzrotgoldene Fahne nach allen vier Windrichtungen schwenkte und in einer Rede das neue Deutschland ankündigte. Aber, wie allenthalben, so vollzog sich auch hier bald eine Scheidung der Geister. Von den Gemäßigten, den Konstitutionellen, die an en alten monarchistischen Staaten festhalten, sie gewissermaßen nur liberalisieren, die das Neue mit dem Alten versöhnen wollten, trennten sich unter der Führung von Kinkel die Radikalen, die Demokraten. Im Gefolge des bewunderten Kinkel befand sich Schurz; wenn jener Bürger und Handwerker für die demokratischen und nach einigem Zögern auch für sozialistische Ziele zu begeistern suchte, war dieser zunächst unter den Studenten tätig, in denen der politische Umschwung besonders den Wunsch nach einer Universitätsreform, nach der Abschaffung aller die akademische Freiheit einzwängenden Verordnungen und Bestimmungen der Zeit der Restauration und Reaktion auslöste. Und da fand nun der von idealistischer Überzeugung getragene, von Ehrgeiz gewiß nicht freie Tatendrang des jungen Schurz eine ganz andere Befriedigung als es Studium und Wissenschaft ihm gewähren konnten, wurde er sich zugleich eigenartiger Gaben und Fähigkeiten bewußt. In einer zur Beratung der durch die Revolution aufgeworfenen Fragen in der Aula der Universität stattfindenden Studentenversammlung begann Schurzens politische Laufbahn.

„Einem plötzlichen Impuls folgend“, so hat er selbst von seinem ersten Auftreten in der Öffentlichkeit berichtet, „verlangte ich das Wort und fand mich im nächsten Augenblick zur Versammlung sprechend. Ich habe mir später nie wieder genau das zurückrufen können, was ich sagte. Ich erinnere mich nur ,daß ich mich in einem mir bis dahin unbekannten nervösen Zustande befunden, daß ich am ganzen Leibe gebebt, daß mir Gedanken und Worte in einem ununterbrochenen Strome zugeflossen, daß ich mit ungestümer Schnelligkeit gesprochen, und daß der darauf folgende Beifall mich fast wie aus einem Traume aufgeweckt hatte.“ Wie diese erste öffentliche Rede auf die Zuhörer gewirkt, beweist die Tatsache, daß beim Hinausgehen der Leiter der Versammlung, der berühmte Philiologieprofessor Ritschl, den unbekannten Studenten ansprach, ihn nach seinem Alter fragte und dann, wohl halb scherzend halb ernsthaft, sein Bedauern äußerte, daß er sich angesichts seiner Jugend nicht zur bevorstehenden Wahl für das Parlament stellen könnte.

Wir halten hier einen Augenblick inne, um uns den jugendlichen Redner auf Grund der wenigen erhaltenen Zeichnungen seines Äußeren aus jener Zeit und der Schilderungen von Freunden und Bekannten vorzustellen. Nach Spielhagens Bericht, der durch jene Bilder bestätigt wird, war er gewiß kein Adonis. Groß, schlank und hager, gab er nichts auf Haltung, sondern saß, stand und ging, wie es ihm bequem war. Im Verhältnis zu dem prächtigen, von reichem, lockig langem Haar bedeckten Schädel erscheint das Gesicht klein, fast gekniffen, besonders in der unteren Partie, welche durch die breite, feste Stirn wie von einem Felsen überragt wurde. Die hellen lebhaften Augen waren stets von einer Brille bedeckt, welche die Neigung hatte, auf der etwas eingebogenen Nase nach unten zu rutschen, und dann mit einem energischen Ruck des Zeigefingers hinaufgeschoben wurde. Aber, so versicherte Spielhagen, das alles war nur sozusagen für den ersten Blick und verschwand, vielmehr wurde ein ganz anderes, bei näherer und längerer Betrachtung. Dann zeigte sich, daß jene scheinbar saloppe Haltung die eines Menschen war, der sich gibt, wie er ist, und sich so geben darf, weil nichts Unschönes, Unedles in ihm, und jede Gebärde nur der Ausdruck der inneren Freiheit und seelischen Anmut, die dann wundersam das unschöne Gesicht durchglühten, sobald er zu sprechen begann mit einer Stimme, die wieder an sich nicht wohllautend war, aber, je länger er sprach, einen Klang gewann, der, wie er aus dem Herzen des Redners kam, den Hörer unmittelbar und unwiderstehlich zu Herzen ging. Wenn so Hermann Hüffer, der spätere bedeutende Bonner Kirchenrechtler und Historiker, der im Herbst 1848 zu seinem ersten Studiensemester nach Bonn kam, in der Erinnerung von dem schönen, ausdrucksvollen Kopf mit langen schwarzen Haaren spricht, so wirkte auch dabei der Eindruck des gesamten Auftretens, der sich darin spiegelnden Persönlichkeit nach. In der Tat muß die mitreißende Kraft seiner aus dem Stegreif gehaltenen Reden groß gewesen sein. Einer seiner Gegner, der Korpsbursche von Ernsthausen, der ihm oft in den Studentenversammlungen entgegentrat, hat das rückhaltlos anerkannt. Anfangs habe er zwar viel in abstrakten, zuweilen die Heiterkeit erregenden Wendungen gesprochen, aber bald sei seine Kraft gewachsen: „Er sprach sachlich und treffend und ließ wohl erkennen, daß etwas Ungewöhnliches in ihm steckte.“ Spielhagen bezeichnet Schurz so als das größte rednerische Genie, das ihm in seinem Leben begegnet sei, er stellt ihn, übrigens auch was Klarheit des Blicks und Festigkeit des Charakters betrifft, hoch über den weicheren Kinkel, höher auch als Lasalle, dessen fulminante Kassettenrede vor den Assisen in Köln er im selben Jahr 1848 hörte: „Es war in seiner Rede“, so schreibt dieser kühle Beobachter, „ein geradezu himmlisches Feuer, im Vergleich zu welchem das Pathos der anderen hohl und nichtssagend erschien. Denn das war das Charakteristische seiner Art zu reden, daß darin so gar nichts Gemachtes war, so absolut nichts, was auf eine Effekt berechnet schien, selbst in den Augenblicken nicht, wo er, die langen Locken nach hinten schüttelnd, einen Moment schwieg, bevor er dem Gegner einen besonders gewichtigen Satz entgegenschleuderte. Man fühlte, es war keine Kunstpause gewesen, nur das Niederducken des Löwen vor einem gewaltigen Sprunge.“


Gedenken an Präsident Kennedy

Kein Wunder, daß ein Mensch mit solcher rednerischen Begabung rasch die Herrschaft über seine Hörer gewann. Jenem ersten Triumph in der Studentenversammlung folgen bald weitere, und das Ergebnis war, daß Schurz die Führung der Bonner Studentenschaft beanspruchen konnte. Nicht ohne Hintergedanken ließ er zu einem vorbereitenden Studentenkongreß, der in den Pfingsttagen 1848 in Eisenach stattfand, als Vertreter Bonns neben einigen Gesinnungsgenossen gerade seine Hauptgegner entsenden, denn inzwischen vermochte er vollends das Heft an sich zu reißen, konnte er sich zum provisorischen Präsidenten der allgemeinen Studentenschaft Bonns aufwerfen. Wie eine Macht trat er den Universitätsbehörden gegenüber auf. Er war es, der eine auf Abschaffung des verhaßten Amtes des Regierungsbevollmächtigten bei der Universität dringende Adresse verfaßte, die dem Rektor überreicht wurde. Die Abreise des Inhabers dieses Postens wurde als Erfolg gebucht und bestärkte die Studenten in ihrem Selbstbewußtsein. „Überhaupt“, so charakterisierte Schurz in einem Schreiben an seinen Freund Petrasch das Verhältnis zum akademischen Senat, „gehen wir gebieterisch mit ihm um, als ob wir Armeen aus der Erde stampfen könnten, und all' unsere Adressen, nur vom Präsidium unterzeichnet, erhalten durch die Hunderte der Überbringer ein absonderliches Gewicht.“ An dem am 25. September zusammentretenden Eisenacher Studentenkongreß, der die nationale Organisation der gesamten deutschen Studenten regeln sollte, nahm er dann selbst teil, er gehörte dem Ausschuß für Ausarbeitung einer Universitätsverfassung an und erstattete dem Kongreß über dessen Beschlüsse Bericht.

Von den ersten Revolutionstagen an hat indessen Karl Schurzens Arbeit nicht nur den Studentenangelegenheiten gegolten. Wenn sein ganz anders gearteter Bundesbruder Overbeck warnend meinte, daß Studenten die politische Reife fehle, um das Geschick des Vaterlandes zu bestimmen, so war er entschlossen, seine Stimme auch politisch zur Geltung zu bringen, fühlte er sich verpflichtet, seine Talente nicht in der Bearbeitung von Dingen sekundärer Natur zu erschöpfen, sondern sie in die Waagschalen des großen Kampfes um Freiheit und Einheit zu werfen. Der Student, das war seine Meinung, hatte mitten im Volk zu stehen; energisch lehnte er die zunächst geplante Errichtung einer besonderen Studentenwehr neben der allgemeinen Bürgerwehr ab, forderte er eine rückhaltlose innige und offene Vereinigung mit allen Mitbürgern.


Zwei Liblarer Bürger (im Vordergrund) hüteten für 14 Tage die Ausstellung

Auf welcher Seite er innerhalb des Volkes zu treten hatte, dafür brauchte der Jünger Rousseaus keine lange Überlegung. Er war Kinkel bei der Begründung eines besonderen demokratischen Klubs behilflich, der im Gegensatz zu dem gemäßigten konstitutionellen Verein sich nach einigem Zögern zu republikanischen Zielen bekannte, er spielte in diesem Klub als Sekretär und Mitglied eines Exekutivausschusses eine Rolle, er war auch Mitredakteur an der von Kinkel ins Leben gerufenen Bonner Zeitung, die im Gegensatz zu dem farblosen Bonner Wochenblatt die Anschauungen der Radikalen vortrug. Er hat sich in dem damit auf ihn einstürmenden Schwall von Geschäften, Versammlungen, Wahlen usw. unzweifelhaft wohl gefühlt, sich nach eigenem Bekenntnis darin berauscht. Daß man in diesem Getriebe mitunter Vernunft und Überlegung beiseite ließ, ist gewiß, es sollen da wohl im demokratischen Klub die merkwürdigsten Projekte vorgelegt worden sein, so etwa den bei Bonn gelegenen Kottenforst abzuholzen, das Holz zum Bau einer deutschen Flotte zu verwenden und das Land ohne Kosten an Siedler zu geben. Aber wenn auch Schurz in späteren Tagen zugab, daß der 19jährige Journalist und Volksredner sehr viel unverdautes Zeug zutage förderte, so durfte er doch zugleich mit Recht von sich sagen, daß er damals aufrichtig und heiß an seine Sache glaubte und jeden Augenblick bereit gewesen wäre, für das, was er sagte und schrieb, sein Herzblut einzusetzen.


Auch die Verfassung der Vereinigten Staaten fand einen Ehrenplatz in der Ausstellung

Er hat diese Bereitschaft gezeigt, als sich gegen die in sich gespaltene Revolution die zunächst eingeschüchterten Kräfte des Alten sammelten, als die Ereignisse in Wien und Berlin und auch in Frankfurt, an dem Sitz der zur Schaffung des neuen Reichs berufenen Nationalversammlung, eine Wendung nahmen, die besonders die Demokraten mit tiefer Erbitterung erfüllen mußte. Schurz hatte schon auf jener Fahrt nach Eisenach bei einem Abstecher nach Frankfurt erkannt, daß die Reaktion zum Gegenstoße ausholte. Die Nachrichten, die dann nach seiner Rückkehr nach Bonn von der blutigen Niederwerfung des revolutionären Wien und von der Verlegung der Berliner Konstituierenden Versammlung nach Brandenburg durch ein vom König eingesetztes reaktionäres Ministerium eintrafen, gaben ihm und seinen Gesinnungsgenossen die Überzeugung, daß es hohe Zeit zum Handeln, zur Tat sei. Er hätte wohl gewünscht, daß die Berliner Versammlung ihre Vergewaltigung mit dem Aufruf zu bewaffneter Volkserhebung beantwortet hätte; wenigstens galt es nun, den von deren Linken gefaßten Beschluß der Steuerverweigerung wenn nötig mit Gewalt zur Durchführung zu bringen.

Den entsprechenden Plänen kam in Bonn die Entblößung von Militär zustatten. Geführt von Kinkel und Schurz brachten es Studenten, Handwerker und die von den Demokraten eifrig bearbeiteten Bauern der nächsten Umgebung zuwege, daß am 18. November 1848 die Zollbeamten, die am Sterntor die Schlacht- und Mahlsteuer zu erheben hatten, vertrieben wurden und die Landbewohner die Waren ohne Entrichtung der vorgeschriebenen Abgaben in die Stadt führten. Am folgenden Tage wurde in einer von den Demokraten zusammengerufenen Volksversammlung ein Sicherheitsausschuß gewühlt, dem neben Kinkel auch Schurz angehörte, offenbar mit der Bestimmung, bei Widerspenstigkeit des Oberbürgermeisters an dessen Stelle zu treten. Voll Bestürzung berichtete der Oberpräsident der Rheinprovinz nach Berlin von dem völlig rebellischen Zustand der Stadt Bonn, der insbesondere auf 200 Studenten zurückzuführen sei. Indessen die Herrlichkeit war von kurzer Dauer. In diesem Augenblick, als jener Ausschuß auf dem Rathaus dem Oberbürgermeister drohend seine Forderungen stellte, erschien ein von den Behörden herbeigerufenes Bataillon. Wohl gab es unter den sich eiligst im nahen Gasthaus zum Römer zusammenströmenden Demokraten Hitzköpfe, die nicht übel Lust hatten, das Militär anzugreifen. Der führende Offizier meldete am 21. November dem Major von Roon, dem späteren Kriegsminister, nach Koblenz, daß ein Teil der Studenten höchst aufgeregt, einige auf die Dörfer des rechten Rheinufers geritten seien, um Sukkurs vom Lande zu holen, und Kugeln gegossen würden. Indessen gegenüber den Heißspornen, zu denen Schurz gehört haben wird, setzten sich andere durch, die freilich darauf hinweisen konnten, daß nur eine Minderheit der Bevölkerung hinter den Demokraten stand; man beschloß, die Erhebung in anderen Städten, vor allem in Köln, abzuwarten, und da diese ausblieb, hielt man sich auch in Bonn ruhig. Dem Spott der politischen Gegner über den mißlungenen Versuch bot nichts einen besseren Vorwurf, als die maßgebende Beteiligung eines Studentleins von Schurzens Jungend. „Unser Gesetzbuch“, so lesen wir in einer Zuschrift an das Bonner Wochenblatt, „bestimmt, daß die Großjährigkeit erst mit dem vollendeten 21. Lebensjahre erreicht wird. Der Bürger Schurz, Mitglied des Sicherheitsausschusses von Bonn, befindet sich im blühenden Alter von 18 Jahren, ist zwar nicht befähigt, in eigenen Angelegenheiten eine irgend rechtsverbindliche Handlung vorzunehmen - aber nach den jetzt geltenden Prinzipien wohl desto mehr qualifiziert, die höheren Interessen der Stadt und des Staates zu wahren.“

Wie sehe es in jenen unruhigen Tagen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, das zeigt die Einsicht in neuerdings aufgefundene Universitätsakten. Da wird mitgeteilt, daß unmittelbar nach dem Einmarsch der Truppen das Gerücht, Schurz soll als Hauptanstifter der Unruhen und einer der Führer der republikanisch Gesinnten verhaftet werden, Proteste der Studenten bei Senat und Universitätsrichter auslösten, die sich dabei auf die Behauptung beabsichtigter Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen beriefen. Die Universitätsbehörden erklärten zwar, daß ihnen von der Absicht nichts bekannt sei, sie haben sich dann aber damit beschäftigt, ob man nicht auf gerichtlichem Wege gegen ihn vorgehen könnte. Ihnen bereitete vor allem die damals von Schurz vorgenommene Begründung eines besonderen demokratischen Studentenvereins Sorge, als dessen Zweck in dem ersten Paragraphen der Statuten bezeichnet worden war, die Interessen der reinen Demokratie nach Kräften zu unterstützen und soviel wie möglich zur Geltung zu bringen. Dies, so heißt es in einem Bericht von Rektor und Senat an die Regierung, sei um so verfänglicher, da der unterzeichnete Präsident eben Schurz sei, der ebenso wie der Schriftführer Winkelmann in dem allgemeinen demokratischen Verein eine große Rolle spiele und die aufregendsten Reden halte. Was sich hier, wo war hinzugefügt, mit vorsichtiger Bemäntelung reine Demokratie nenne, sei in Wirklichkeit nichts als Republik, und zwar rote, d. h. auf gewaltsamen Umsturz alles Bestehenden gerichtete Republik. Von einem disziplinarischen Vorgehen versprach man sich indessen nichts, vielmehr trug man auf Einschreiten des Staatsprokurators an, dem das Material zugeleitet werden sollte. Auch von dieser Seite geschah indessen nichts, wie man auch Kinkel trotz des Drängens einiger seiner Kollegen ungeschoren ließ.

Gerade dies mußte den beiden Freunden neuen Auftrieb geben. Noch sahen sie den Kampf um die Macht nicht für beendet an, noch hofften sie auf den endlichen Sieg der Demokratie. Im Zusammenhang mit den auf Grund der vom König oktroyierten Verfassung angesetzten Wahlen für ein preußisches Abgeordnetenhaus setzten sie ihre Agitation mit verstärktem Eifer fort. In einem Bericht der Kölner Regierung vom 12. Dezember wird sorgenvoll festgestellt, daß Kinkel und seine Jünger statt Vorlesungen in der Universität Reden in Volksversammlungen in Bonn und auf dem Lande hielten und hörten, in denen zur Steuerverweigerung und zur Verlassung des stehenden Heeres aufgefordert, die Behörden und Beamten beschimpft und die Unzufriedenheit zu verewigen gesucht würde. Nun, diese Propaganda hatte in der Tat den überraschenden Erfolg, daß im Wahlkreis Bonn Kinkel gewählt wurde. Nach seiner Abreise nach Berlin trat Schurz an die Spitze der demokratischen Bewegung, er übernahm auch die Redaktion der Bonner Zeitung, der er ein neues Gesicht zu geben wußte. Kinkel hat in ihr noch stark die lokalen Interessen berücksichtigt, sie ließ Schurz fast ganz zurücktreten, er legte den Hauptwert auf die politische Betrachtung und nahm persönlich in scharf formulierten Leitartikeln zu den großen politischen Ereignissen Stellung.

„Wir müssen“, so schrieb er dem Lehrer und Freund nach Berlin, „unsere eigentümliche stärke darin suchen, daß wir alle Tatsachen und Verhältnisse von einem konsequent beibehaltenen Standpunkt aus betrachten und beleuchten.“ Es soll ihm gelungen sein, die Zahl der Abonnenten zu verdoppeln. Voll Stolz stellt er fest, daß das ganze Treiben unbedingt in seiner Hand liege. „Die Aufregung ist hier permanent und Bonn die unruhigste Stadt am Rhein“, so umschreibt er selbstbewußt einmal das Ergebnis seiner Wirksamkeit. Zweifellos war er die treibende Kraft bei studentischen Banketten und Umzügen aus Anlaß der ersten Wiederkehr der Februar- und Märztage, die den Charakter politischer Demonstrationen gegen die Behörden trugen. Auf Grund der Tatsache, daß dabei einige Vorschriften nicht beachtet worden waren, beschloß der Senat der Universität zwar gegen einige Studenten einzuschreiten, aber während der Mediziner Nathan Pappenheim relegiert und zwei weitere Studenten mit dem consilium abeundi und Karzer bestraft wurden, blieb Schurz selbst unbehelligt, obwohl er wieder an der Spitze einer Deputation Protest erhob und von Terrorismus sprach, auf die man die Antwort wisse. „Dem akademischen Senat“, so meinte er in einem Brief an Kinkel, „bin ich eine fürchterliche Person geworden, besonders seit ich ihm bei der Bankettangelegenheit den Hauptspaß verdorben und mich wie eine Schlange durchgewunden habe. Rektor und Universitätsrichter setzen eigenen Aussprüchen gemäß bei mir außerordentliche juristische Kenntnisse voraus, was mir um so lieber ist, als man eine sehr gefährliche Anklage gegen mich fallen ließ, welche man nicht ausreichend stützen zu können glaubte.“

Aber inzwischen näherte sich die deutsche Revolution ihrem kläglichen Ende. Die Kräfte der Reaktion schritten von Sieg zu Sieg, in der Paulskirche haderte man, und als schließlich eine knappe Mehrheit den König von Preußen zum Kaiser des neuen Reiches wählte, stürzte das ganze Werk durch dessen Ablehnung zusammen. Jetzt riefen Demokraten und Republikaner zu neuer Erhebung auf, in der Pfalz, in Baden, in Sachsen folgte man dem Ruf, während in Preußen die Regierung die für die Anerkennung der in Frankfurt ausgearbeiteten Reichsverfassung eintretende zweite Kammer auflöste und die Mobilmachung zur Bekämpfung der Unruhen anordnete. Gerade seine letzten Erfolge mochten Schurz in der Überzeugung bestärken, daß, wenn das Volk nur mit Entschlossenheit für seine Rechte eintrete, der Sieg ihm auch zufallen müßte.

Als man erfuhr, daß die Landwehrmänner in Elberfeld, Düsseldorf und Iserlohn dem Stellungsbefehl keine Folge leisten wollten, hielten er und die übrigen Führer der Bonner Demokraten, zu denen sich auch der von Berlin zurückgekehrte Kinkel wieder gesellte, den Augenblick für gekommen ,um auch im Rheinland zur Tat zu schreiten. Die Agitation wurde besonders unter den Landwehrpflichtigen verstärkt, aus einer späteren Anklageschrift können wir entnehmen, daß Schurz u. a. am 6. Mai in Neunkirchen aus dem Fenster eines Wirtshauses zu den Bauern gesprochen hat. Für den 10. mai 1849 berief man eine Versammlung nach Bonn, und obwohl sie weit weniger besucht war, als man erwartet hatte, und eine Verbindung mit den Unzufriedenen in anderen Städten nicht hergestellt wurde, beschloß ein Komitee, dem Kinkel und Schurz angehörten, in der Nacht sich des Zeughauses in Siegburg zu bemächtigen und damit das Signal zur Revolution in Rheinpreußen zu geben. Weit mehr als der zögernde Kinkel hat Schurz vorangetrieben, unbekümmert darum, daß die Maßnahmen der Gegner und die Stimmung der Bevölkerung keine Aussicht auf Erfolg gaben. Er war, wie er selbst später berichtete, „zu der desperaten Fassung gekommen ,die zu dem Äußersten bereit ist“. Natürlich machte er die Expediton über den Rhein mit, bewaffnet mit einer Büchse, der allerdings die passende Munition fehlte.

Aber nun begann der Sturz des Jünglings aus allen Illusionen, begann der Weg der großen Enttäuschung und Not. Kaum 100 Mann hatten sich bereitgefunden, dem Ruf zu folgen. Und sie lösten sich rasch auf, als auf dem Weg nach Siegburg hinter ihnen ein Trupp Dragoner auftauchte. Mit dem Gastwirt Kamm aus Bonn und seinem Freunde Ludwig Meyer zog Schurz trotzdem weiter nach Siegburg, aber alle Versuche, die dortigen Demokraten zum Sturm auf das Zeughaus zu bewegen, schlugen fehl. Er wandte sich nach Elberfeld, das als ein Zentrum revolutionärer Gesinnung alt, doch hier erwartete ihn die gleiche Enttäuschung. Im Rheinland, das mußte er erkennen, war nichts zu hoffen, nach Bonn zurück konnte er nicht mehr, da entschloß er sich, nach der Pfalz sich zu wenden und sich der dort zunächst erfolgreichen Revolution anzuschließen. So wurde er zum „Sturmvogel auf den Wellen der Revolution“. Dem Studenten begegnen wir in der Pfalz und dann in Baden, schließlich in dem letzen ohne Hoffnung verteidigten Bollwerk der Demokratie, in der Festung Rastatt, als Leutnant der Armee der Freiheit. Im Kampf bei Bruchsal war er leicht verwundet worden, aber Schlimmeres stand ihm, dem preußischen Untertanen, bevor, wenn ihn die Kapitulation in die Hände der aus preußischen Truppen bestehenden Belagerer brachte.


Das Geburtshaus von Carl Schurz im Schloß Gracht zu Liblar

Wenn ihm selbst die Vorgänge der letzten Wochen nun wohl als eine Donquichotteri erschienen: das Bewußtsein, aus reinem Herzen einer großen Idee angehangen zu haben und ihr treu geblieben zu sein, war in ihm lebendig. Sie ließ ihn in Rastatt unmittelbar vor dem Ende der Belagerung Worte an die Eltern und Geschwister schreiben, die Zeugnis ablegen für seine Lauterkeit und seinen Mut; „Seht, jetzt stehe ich am Tage der Entscheidung, jetzt ist ja die Zeit gekommen, wo ich für meine Grundsätze werde sterben müssen oder in eine endlose Gefangenschaft mich schmieden lasse. Dieser Augenblick trifft mich mutig und gefaßt wie einen Mann. In diesem Augenblick, welcher in seiner derben Realität jede romantische Einbildung verscheucht, geht mir doppelt klar das schöne Bewußtsein auf, daß ich meine Pflicht getan mit Mut und Ehre. Ich bin nie stolzer gewesen als jetzt, denn ich weiß, das ich niemals mehr dazu berechtigt war.“

Aber auch in dieser Stunde war er nicht gewillt, das Schicksal ohne Gegenwehr hinzunehmen. Im letzten Augenblick gelang es ihm, aus Rastatt in abenteuerlicher Weise durch einen unterirdischen Gang nach dem Rhein zu zu entweichen und sich auf französischen Boden zu retten. Die Revolution war gescheitert, aber ihn hatte seine Entschlossenheit und Energie dem Zugriff der Schergen entzogen.

Freilich, nun lag er an einem fremden Strand, mittel- und heimatlos. Noch waren seine Augen auf Deutschland gerichtet, zog ihn sein Herz dorthin. Er brachte es fertig, insgeheim wieder nach dort zu kommen, er ist auch wieder in Bonn gewesen bei Eltern und Geschwistern. Und dann war sein Name in aller munde, als er das Unmögliche möglich machte und den zu ewigem Gefängnis verurteilten Kinkel aus dem preußischen Zuchthaus in Spandau herausholte und mit ihm wohlbehalten nach England gelangte. Welch' unvergeßlicher kühner Streich, durch den nicht nur der Freund gerettet wurde, sondern auch der deutschen Ehre gedient. Seitdem konnte er es allerdings nicht mehr wagen, nach Deutschlang zu kommen, wo allenthalben die Polizei nach ihm fahndete und das Signalelement auf den 5 Fuß 9 Zoll großen, schlanken und blonden Menschen mit de freien Stirn und dem noch schwachen Schnurrbart aufmerksam machte, von dem man befürchtete, daß er unter falschem Namen und mit falscher Maske sich einschleichen könnte. Es gab kein Zurück mehr, und er, der dies erkannte, hat daraus entschlossen die Konsequenz gezogen. Ihm war es unerträglich, in einem Schlamm fauler Untätigkeit zu versinken, kurz entschlossen warf er das Steuer seines Lebens herum:

„Ich habe das wesenlose Treiben der Emigranten satt; große Hoffnungen sind uns in Nichts zergangen oder haben sich in eine unbestimmt Ferne gerückt; ich mag nicht länger mehr mit gezwungener Untätigkeit meinen Blick auf einen Punkt in der Zukunft heften, für dessen Erreichen uns die selbsttägige Mitwirkung fast ganz versagt ist. Ich bedarf naher, bestimmter Ziele und Zwecke, und ich gehe dahin, wo ich sie finden werde. Ich gedenke mir die Zeit meines Exils fruchtbar zu machen.“

Er hat sie sich wahrhaftig fruchtbar zu machen gewußt. Er ging nach Amerika, und der Erfolg, der ihm in Deutschland versagt war, ist ihm dort in hohem Maße zuteil geworden.

Carl Schurz ist ein ganzer Amerikaner geworden, aber er ist dabei ein Deutscher geblieben. Wie innigen Anteil er an allem nahm, was in der alten Heimat geschah, das zeigen uns eine Briefe, Aufsätze und Reden bis an das Ende seines Lebens. Er hat als einer der sichtbaren Führer der zahlreichen deutschen Amerikaner deutschem Wesen, deutscher Hingabe an eine Idee und deutscher Vielseitigkeit im amerikanischen Leben Eingang verschafft, er hat den Kampf für die Freiheit, den er in Deutschland gefochten, in Amerika in dem Feldzug gegen die Sklaverei fortgesetzt.

Niemand, so hat ein französischer Nachruf auf ihn festgestellt, hat mehr dazu beigetragen, den moralische, wissenschaftlichen und literarischen Einfluß Deutschlands auf die Vereinigten Staaten zu übertragen wie er. Er war aber andererseits aufs tiefste davon überzeugt, wieviel Deutschland von Amerika und von den Amerikanern lernen konnte. Und darüber stand diesem Deutschen und Amerikaner, wohl dem besten Mittler, den es zwischen den beiden Völkern gegeben hat, noch etwas anderes, die Humanität.

„Was immer für die freundschaftliche Sympathie zwischen Nationen geschieht“, so hat er einmal gesagt, „geschieht für das Wohl der Menschheit“. So hat er denen, die er seine deutschen Landsleute in Amerika nannte, ebenso aber den übrigen Amerikanern und den Menschen des alten Erdteils gewissermaßen als sein Vermächtnis hinterlassen, daß sie das Gestirn unverrückt im Auge behalten möchten, das ihm von Jugend auf geleuchtet:
Das Ideal der Freiheit und der unveräußerlichen Menschenrechte.

Fotos: S. Rick

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1960

© Copyright 2003 Kreisarchiv - Der Landrat
©
Copyright wisoveg.de 2003
Zu den Euskirchener Wisoveg-Seiten
Zur Homepage