Hungersnöte in unserer Heimat vor 150 und 120 Jahren

Von Carl Brandt


Als im Frühjahr 1816 die rheinischen Landkreise gegründet waren, herrschte im Rheinland eine Witterung, die für die Ernte und das folgende Jahr das Schlimmste befürchten ließ. Der überaus großen Kälte folgte fast beständiger Regen, der den ganzen Sommer über bis in den Herbst anhielt. Kaum ein trockener Tag war zu verzeichnen. Es gab nur wenig Obst und Gemüse. Die Früchte auf dem Felde reiften nicht. Das Gespenst einer drohenden Hungersnot erfüllte die Menschen mit großer Sorge.

So zog das Jahr 1817 ins Land. Das wenige Gemüse und die wenigen Kartoffeln hatten selbst bei stark eingeschränktem Verbrauch kaum bis zum Beginn des Jahres ausgereicht. Brot und Mehl wurden die Hauptnahrungsmittel, aber das mißratene Getreide ging bald zur Neige. Vor den Backhäusern standen die hungernden Menschen Schlange, sie warteten mit Heißhunger auf das aus den Öfen kommende Brot, das sie schon verzehrten, ehe es kalt geworden war. Im Juni 1817 wurde der Preis für das siebenpfündige Schwarzbrot auf 40 Stüber festgesetzt, es war aber keines zu haben. 60 Stüber entsprachen einem Reichstaler mit 24 Silbergroschen. Wie teuer das tägliche Brot vor 150 Jahren geworden war, man man daraus ermessen, daß der damalige durchschnittliche Lohn eines Arbeiters sieben bis acht Silbergroschen betrug, er also zwei Tage arbeiten mußte, um sich den Preis für ein siebenpfündiges Brot verdienen zu müssen.

In der Heimatbeilage des Euskirchener Volksblattes 1924 berichtet Peter Simons in seiner Geschichte „Aus Euskirchens alten Tagen“ über das schreckliche Hungerjahr 1817, das in der Geschichte des 19. Jahrhunderts nur in dem Jahr 1847 seinesgleichen fand. „Infolge unaufhörlichen Regens von Mitte Mai bis in den Herbst hinein verdarb nämlich die ganze Halmfrucht auf dem Felde, und der im November einsetzende ungewöhnliche starke Frost vernichtete auch die noch ausstehende Ernte an Kartoffeln und Futterkräutern vollends. So stiegen die Preise für die notwendigen Lebensmittel bald ins Fabelhafte. Wucher und Schiebertum blühten allerorten. Leider sind uns keine speziellen Nachrichten aus Euskirchen über diese Hungersnot erhalten, doch gestatten uns die Berichte aus den benachbarten Orten einige Rückschlüsse.“

Simons stützt sich auf die periodischen Berichte des Zülpicher Bürgermeisters Wachendorf an den landrätlichen Kommissarius von Baersch, aus denen er einiges wiedergibt:

8. Februar 1817: „Die wirklich Armen erhalten das Brot aus Hospitalsrenten, andere zu ermäßigten Preisen. Der Zeitpunkt, wo mit dem Backen des aus Regierungsfonds bereitgestellten Kornmehls angefangen werden soll, scheint mir noch nicht da zu sein, die künftig mehr oder weniger entstehende Not wird dieses bestimmen. Zu einer kleinen Magazins-Anlegung habe ich schon die Unterschriften der Vermögenden in der Bürgermeisterei gesammelt. Nur der meist begüterte Halbwinner im Amte, Georg Heeb in Bessenich, weigerte sich zur Unterschrift. Es ist indes bekannt, daß kein Einwohner der Bürgermeisterei die Bedürftigen mehr unterstützt wie dieser.“

2. April 1817: „Es werden täglich noch Kartoffeln aus der hiesigen Stadt versandt, welche größtenteils nach der Eifel gehen, und es kommen hin und wieder noch Vorräte an den Tag, wo man dieselben nicht vermutet.“

Man glaubt im folgenden Bricht zu lesen, der zu der Situation paßt, die genau hundert Jahre später, im Hungerwinter 1917, sowie in den Hungerjahren nach dem zweiten Weltkrieg sich wiederholt hat:

1. Juni 1817: „Der Mangel an Korn und die Not steigen wirklich mit jedem Tage, nur tröstet man sich mit der einzigen Hoffnung, daß die von der hohen Regierung verheißenen Früchte ungesäumt eintreffen.“

Die von der preußischen Regierung bereits am 15. November 1816 zugesagte Einfuhr von Roggen aus den Ostprovinzen war also um diese Zeit, kurz vor der neuen Ernte, in unserer Heimat noch nicht wirksam geworden.

Auch im „Gemeinde-Nachbarbuch“ von Palmersheim, das der Schöffe Stefmacher geführt hat, findet sich folgende, das Hungerjahr 1817 betreffende Notiz: „Es war eine Hungersnot, daß man an einem Tage über 300 Bettler an der Tür zählte. Sieben Pfund Brot kosten 42 Stüber.“ Das von der preußischen Regierung für die Bedürftigen herbeigeschaffte Korn konnte in Zülpich erst Anfang Juli 1817 verteilt werden. Nach Anweisung des Bürgermeisters Wachendorf kamen auf Zülpich 45, Kommern 35, Nemmenich 37, Sinzenich und Enzen ja 51 zwölfpfündige Brote, die für 40 Stüber das Stück bei den Zülpicher Bäckern in Empfang zu nehmen waren. Am 16. Juli verzichteten die Zülpicher auf weitere Zuwendungen, „weil die Notzeit beinahe überstanden, die Ernte vor der Tür steht und jeder sein eigenes Wachstum angreift“. Obwohl die Ernte nur mittelmäßig ausfiel, ordnete ein bischöfliches Rundschreiben vom 3. September 1817 eine allgemeine kirchliche Dankfeier für die Rettung aus großer Not an, die aber erst nach der sehr reichen Ernte des Jahres 1818 als überwunden gelten konnte.

Dreißig Jahre später wiederholte sich diese furchtbare Heimsuchung, die sich in unserer engeren Heimat fast noch härter auswirkte als die Katastrophe von 1817. Seit dem Jahre 1839 hatten die Viehbestände im Kreise Euskirchen durch Seuchen große Einbußen erlitten. Allein in den Jahren 1844 und 1845 erlagen in der Bürgermeisterei Euskirchen, zu der außer der Stadt und dem Weiler Kessenich noch das Dorf Billig und das Hofgut Augenbroich gehörten, 165 Stück Vieh der Lungenseuche. 1845 litt die Kartoffelernte unter stärkster Fäulnis, das Jahr 1846 brachte eine völlige Mißernte an Getreide und Kartoffeln. Der ungewöhnlich strenge Winter - im Januar 1847 fror der Rhein zu und konnte wochenlang mit schwersten Lastwagen befahren werden - machte das Leben für die ärmere Bevölkerung fast unerträglich.

In einem Bericht vor den Kreisständen erklärte Landrat Schroeder: „Zwei Mißernten folgten unmittelbar nacheinander, und so groß und allgemein war der Mangel an Brotfrucht und an jenem Erzeugnis, das dem Armen oft das Brot ersetzen muß, an Kartoffeln, daß eine schreckliche Hungersnot nicht ausgeblieben sein würde, wenn nicht ungeheure Quantitäten Roggen aus anderen Ländern und Weltteilen herbeigeschafft worden wären. Aus königlichen Magazinen hat der Kreis Euskirchen 1800 Scheffel (rund 100.000 Liter) Roggen gegen mäßigen Preis und unter sehr günstigen Zahlungsbedingungen erhalten.“ diesmal hatte die Staatshilfe rechtzeitig eingesetzt. Auch die Stadt Euskirchen ergriff eine Reihe von Maßnahmen zur Linderung der allgemeinen Not, Herbeischaffung von Briketts, Brotspenden, Bereitstellung von Saatkartoffeln usw., die den städtischen Haushalt noch jahrelang belasteten.

Das Hungerjahr 1847 war auch in politischer Beziehung von verhängnisvoller Wirkung. Das Hungergespenst bereitete der Unzufriedenheit, namentlich des werktätigen Volkes, den Boden. Die in bester Absicht geleiteten behördlichen Hilfsmaßnahmen begegneten schärfster Kritik. So wurde z.B. mit allem Nachdruck bemängelt, daß das gelieferte Getreide vom langen Lagern total stickig gewesen sei, so daß das daraus gebackene Brot nur mit Widerwillen gegessen wurde.

Manch gutgemeinte Anregung, des Hungers Herr zu werden, goß geradezu Öl ins Feuer. Als das Schleidener Wochenblatt den Vorschlag veröffentlichte, Frösche in den Seen und Sümpfen zu fangen und deren Schenkel zu essen, also Froschschenkel statt Brot, da hat das ausgehungerte Volk im folgenden Frühjahr, als die Revolution ausbrach, die Antwort auf diese Zumutung gegeben.

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1967

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