Carl Schurz - der große Sohn Liblars und des Kreises Euskirchen

Von Karl Otermann

Immer wieder ist festzustellen, wie wenig die großen Männer, deren Geburtsort und Heimat des Kreis Euskirchen ist, als Menschen und in ihrem Wirken in unserem Kreise bekannt sind.


„1848er“ Der Bonner Univ. Prof. Gottfried Kinkel (links) und sein junger Freund und Befreier Carl Schurz aus Liblar

Diesmal wollen wir erneut - wie schon im Heimatkalender 1960 - auf Carl Schurz hinweisen und ihn selbst mit Jugenderinnerungen zu Wort kommen lassen. Sehr erfreulich ist die Tatsache, daß Liblar seine neue große Schule „Carl-Schurz-Schule“ nennen wird. Damit dürfte verbürgt sein, daß dort und von dort aus die Erinnerung an Carl Schurz lebendig bleiben wird. Sein Leben gehörte von früh an der Freiheit und Einheit Deutschlands, eines Deutschlands jedoch, daß ihn, den Freiheitskämpfer von 1848 als Revolutionär und Aufwiegler verfolgte und ihn schließlich um seines Lebens willen zwang, ins Ausland zu fliehen. Ja, Aufwiegler wollte er sein: „Aufwiegler zur Einheit unseres zerrissenen Landes!“ Die Freiheit, die er in Deutschland nicht finden konnte und sollte, fand er dann in Amerika, wo sein Denkmal die Worte trägt:

VERTEIDIGER DER FREIHEIT
UND FREUND DES RECHTS

Der Name Carl Schurz ist in Amerika auf immer verbunden mit dem Kampf um die Sklavenbefreiung, mit der Erhaltung der amerikanischen Einheit und mit dem Namen, der unsterblich in die Geschichte Amerikas eingegangen ist und dessen Vermächtnis Carl Schurz Zeit seines Lebens hochgehalten hat: Abe Lincoln. Anderthalb Jahrzehnte nach dem Tode Lincolns gab Carl Schurz seinem Erstgeborenen den Namen: Carl Lincoln Schurz. Als Carl Schurz im Mai 1906 im Alter von 77 Jahren in Tarrytown, New York, starb, hatte er in seinem unermüdlichen Kampf um die menschliche Freiheit eine Fülle der äußeren Ehren erreicht: Gesandter, Senator und Innenminister der USA war er geworden. Bei der Gedächtnisfeier waren die Hauptredner: Grover Cleveland, ehemaliger Präsident der USA, Charles W. Eliot, Präsident der Harvard-Universität, die Carl Schurz im Jahre 1876 zum Ehrendoktor ernannt hatte, und der Negerführer Dr. Booker T. Washington, der hervorhob: „Meine Rasse und die Indianerrasse und das amerikanische Leben als Ganzes sind ärmer geworden ... Weil er lebte, ist meine Rasse reicher, vertrauender und ermutigter geworden. Die Indianerrasse und miene Rasse sind beide stolz, daß sie den Vorzug hatten, einen so großen Mann wie Carl Schurz ihren Freund nennen zu dürfen.“

In drei international bedeutsamen Gesellschaften lebt der Name Carl Schurz fort: die Carl-Schurz-Gesellschaft in Philadelphia (seit 1930), die Carl-Schurz-Gesellschaft in Frankfurt a.M. (seit 1948) - beide dienen dem deutsch-amerikanischen Kulturaustausch - und die Steuben-Schurz-Gesellschaft (seit 1949, mit dem Hauptsitz in Wiesbaden), deren Hauptprogrammpunkt bei der Gründung war: Pflege und Förderung kultureller und wirtschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschland und den anderen Nationen.

Diese wenigen Zeilen über Carl Schurz sollen wieder einmal den Blick auf einen großen Deutschen lenken, der in unserem Kreise, an der Erft, jung gewesen ist, aber erst in Amerika den Weg der Vollendung seiner Jugendträume gehen konnte. Carl Schurz ist die „Geschichte eines Mannes, der für den Geist der Freiheit in einem fremden Lande kämpfte, da er's im eigenen nicht vermochte“, so Joachim Maass in seiner Schrift über Carl Schurz „Der unermüdliche Rebell - Leben, Taten und Vermächtnis des Carl Schurz“, Hamburg 1949.

Als Carl Schurz 1899 zur Vollendung seines 70. Lebensjahres auch von der Columbia Universität zum Ehrendoktor ernannt wurde, hörte man in der Festrede die Worte: „Er hat geschrieben und gesprochen und gekämpft, in der alten Welt und in der neuen, für die großen Ideen unseres Jahrhunderts ... und wovon seine Jugend geträumt hat, das hat sein Alter erfüllt gesehen.

Am 10. Mai 1910 wurde in New York das Carl-Schurz-Denkmal enthüllt. Der Dank Nordamerikas an Carl Schurz fand in folgenden Worten seinen Ausdruck: „Zu den wertvollsten Kräften im amerikanischen Nationalleben gehört die Tätigkeit der Männer, die auf der anderen Seite des Ozeans geboren wurden, die Amerika zu ihrem dauernden Heim wählten, den wahren Geist der amerikanischen Einrichtungen erfaßt und sich ganz in den patriotischen Dienst der Förderung der Gerechtigkeit und Freiheit stellten. Solch ein Mann ist Schurz gewesen.“

„Auf den dringenden Wunsch meiner Kinder“, so lesen wir im Vorwort zu seinen Lebenserinnerungen, 1) hatte Carl Schurz im hohen Alter begonnen, seine Erinnerungen niederzuschreiben. Im November 1905 wurde der 1. Band veröffentlicht, obwohl Carl Schurz zunächst nur daran gedacht hatte, seine Erinnerungen „als bleibendes Familiengut“ darzustellen. Doch nun blättern wir in seinen Jugenderinnerungen an Liblar ...

S.1: „Ich bin in einer Burg geboren. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß ich von einem adligen Geschlecht abgestammt sei. Mein Vater war zur Zeit meiner Geburt Schulmeister in Liblar, einem Dorfe von ungefähr 800 Einwohnern, auf der linken Rheinseite, drei Stunden Wegs von Köln gelegen. Sein Geburtsort war Duisdorf bei Bonn. In frühester Kindheit hatte er seine Eltern verloren und war der Sorge seines Großvaters anheimgefallen, der dem Bauernstande angehörte und auf einem kleinen Ackergütchen Getreide, Kartoffeln und ein wenig Wein zog. So wuchs mein Vater als ein eigentliches Bauernkind auf.“ (Carl Schurz erzählt dann, wie sein Vater 1815 als 18jähriger mit gegen Napoleon in den Krieg ziehen mußte, nach seiner Rückkehr das Lehrerseminar in Brühl besuchte und anfangs der zwanziger Jahre Lehrer in Liblar wurde.)


Im Pächterhaus des Schlosses Gracht wurde Carl Schurz geboren. An der Türe rechts ist die Gedenktafel angebracht

S.3: „Im Seminar hatte er etwas Musikunterricht erhalten und die Flöte spielen lernen. So war er befähigt, seine Schulkinder einfache Lieder singen zu lehren und gar einen kleinen Gesangverein zu gründen, an welchem die jungen Männer und die erwachsenen Mädchen des Dorfes und der unmittelbaren Umgegend teilnahmen. In diesem Gesangverein machte er die Bekanntschaft von Marianne Jüssen, die er im Jahre 1827 heiratete. Sie war die Tochter des Pächters Heribert Jüssen 2), der einen Teil einer dicht bei Liblar gelegenen Burg, „die Gracht“ genannt, bewohnte. Mehrere Jahre nach ihrer Verheiratung lebten mein Vater und meine Mutter bei meinen Großeltern; und so ereignete es sich, daß ich als ihr erstgeborener Sohn am 2. März 1829 in einer Burg das Licht der Welt erblickte.“ (Im Jahre 1850 ist Carl Schurz, der wegen seiner republikanischen Gesinnung und Haltung in die Schweiz hatte fliehen müssen, als „Heribert Jüssen“ in Berlin aufgetaucht, um die Befreiung des Bonner Universitätsprofessors Gottfried Kinkel aus dem Spandauer Zuchthaus vorzubereiten.)

Ein prächtiges Bild gibt Carl Schurz von seinem Großvater, dem Burghalfen Heribert Jüssen. S.5: „Er war ein Mann von gewaltigen Proportionen, über sechs Fuß groß, von mächtiger Breite in Brust und Schultern. Seine Muskelstärke war erstaunlich. Bei einer Kirmes, als er mehrere andere Halfen zu Gast hatte, wurde eine Kraftprobe vorgeschlagen, und mein Großvater ging die Wette ein, daß er den großen Amboß, der jenseits des Burggrabens in der Schmiede stand, in seinen Armen über die Brücke, durch das Tor, ins Haus und alle Treppen hinauf bis zum höchsten Söller und wieder zurück in die Schmiede tragen werde; und ich sehe ihn noch einherschreitend mit dem gewichtigen Eisenblock in seinen mächtigen Armen, treppauf und treppab, als trüge er ein kleines Kind.“

S.13: „Das Dorf bestand aus einer einzigen Straße; an dieser lag auch, etwa mittwegs, auf erhöhtem Platze die Pfarrkirche mit spitzem Turm. Die Häuser, meist sehr klein, waren fast alle aus Fachwerk gebaut und mit Dachziegeln gedeckt. Backsteingebäude gabs vielleicht nur ein halbes Dutzend, von denen die meisten dem Grafen gehörten. Die Bewohner von Liblar, kleine Bauern, Tagelöhner, Handwerker mit einigen Wirten und Krämern, fanden in einer Eigentümlichkeit des Dorfes Grund zum Stolz: ihre Straße war gepflastert.“

S.17: „Ehe ich sechs Jahre alt war, nahm mein Vater mich in die Dorfschule. Ich erinnere mich, daß ich früh lesen und schreiben konnte, aber nicht, wie ich diese Künste gelernt habe. Viel habe ich dem Unterricht zu danken, den ich außer der Schule zu Hause empfing. Ich hatte kaum ein Jahr lang die Dorfschule besucht, als mein Vater sein Schulmeisteramt aufgab. Dasselbe war elend bezahlt und konnte die Familie, die unterdessen um zwei Mitglieder, meine Schwestern Anna und Antoinette gewachsen war, nicht mehr ernähren. Mein Vater fing nun eine Eisenwarenhandlung an, für die ein Teil unseres Hauses, der früher als Kuhstall gedient hatte, den Ladenraum lieferte. Es war nur ein kleines Geschäft, aber mein Vater hoffte doch, daß dessen Ertrag hinreichen werde, die Ausführung gewisser ehrgeiziger Zukunftspläne zu ermöglichen. Mich bestimmte er schon frühzeitig zum „Studieren“ - das heißt, ich sollte, sobald ich das erforderliche Alter erreicht, das Gymnasium und später die Universität besuchen und mit einem gelehrten Fachstudium widmen.“

Wie Carl Schurz zum erstenmal von Amerika hörte: S. 25/26: „Eine Bauernfamilie von Liblar, namens Trimborn, entschloß sich, nach den Vereinigten Staaten auszuwandern. Noch steht mir das Bild lebhaft vor Augen, wie eines nachmittags ein mit Kisten und Hausgerät beladener Wagen sich von Trimborns Hause in Bewegung setzte, wie die Familie von den Dorfleuten Abschied nahm, wie eine große Schar den Auswanderern bis vor das Dorf Geleit gab, und wie dann der Wagen auf dem Wege nach Köln im Walde verschwand. Eine andere uns befreundete Familie namens Kribben, aus einem benachbarten Dorf, folgte bald den Trimborns, um sich in Missouri niederzulassen, wo ich sie viele Jahre später wiedersah, und wo einer der Söhne ein hervorragender Mann wurde.


Liblar lenkt die Rekultivierung des einstigen Braunkohlengebietes
Bei einer Besichtigungsfahrt des Kreisausschusses (Okt. 1961) erläutert Bürgermeister Jastrzembski (Mitte) Situation und Planung

Unterdessen wurde von meinem Vater und meinen Oheimen Amerika eifrig besprochen. Da hörte ich denn zum ersten Male von dem unermeßlichen Lande jenseits des Ozeans, seinen ungeheuren Wäldern, seinen großartigen Seen und Strömen, von der jungen Republik, wo es nur freie Menschen gäbe, keine Könige, keine Grafen, keinen Militärdienst und, wie man in Liblar glaubte, keine Steuern. Alles, was über Amerika Gedrucktes aufgetrieben werden konnte, wurde mit Begierde gelesen, und so sah ich im Pfennigmagazin zum erstenmal das Bildnis Washingtons, den mein Vater den edelsten aller Menschen in der Geschichte der Welt nannte, da er als Feldherr im Kriege für die Befreiung seines Volkes große Heere kommandiert und dann, statt sich zum König zu machen, all seine Gewalt freiwillig niedergelegt und wieder als einfacher Landwirt den Pflug in die Hand genommen habe. An diesem Beispiel erklärte mein Vater mir, was ein „Freiheitsheld“ sei.“


Die Gartenanlagen von Schloß Gracht sind heute Volkspark geworden

Stark waren die Eindrücke, die der junge Carl Schurz im Hause der Großeltern Jüssen empfing. Etwa zwei Dutzend Knechte und Mägde waren auf dem Hofe beschäftigt. Wie ging es da bei den Mahlzeiten zu? S.8: „Das Gesinde, gewöhnlich 'das Volk' genannt, versammelte sich zu den Mahlzeiten in einer zu ebener Erde gelegenen Halle, deren gewölbte Decke auf dicken steinernen Säulen ruhte. An der einen Seite befand sich der Herd mit großem Rauchfang. Mächtige Kessel hingen an eisernen Ketten und Haken über dem offenen Feuer. Dies war die allgemeine Küche des Hauses. Auf der einen Seite der Halle stand ein langer Tisch, an welchem, auf hölzernen Bänken sitzend, 'das Volk' seine Mahlzeiten nahm

Ehe sie sich niedersetzten, sagten die Knechte und Mägde, mit dem Rücken gegen den Tisch gewandt, ihre Gebete her. Dann brachte der Meisterknecht das Heft seines Messers mit lautem Schlag auf den Tisch, und das war das Zeichen zum Sitzen. Ihre Suppe oder ihren Mehlbrei aßen die Leute mit hölzernen Löffeln aus großen hölzernen Schüsseln. Fleisch und Gemüse wurden vorgelegt auf langen, schmalen, weiß gescheuerten Brettern, die den Tisch entlang lagen. Teller gab es nicht. Eiserne Gabeln lieferte das Haus, zum Schneiden gebrauchten die Leute ihre Taschenmesser. Der Meisterknecht schnitt das Schwarzbrot vor, welches dann in großen Stücken herumgereicht wurde. Weißes Brot gab es nur an Festtagen. Während der Mahlzeit wurde kein Wort gesprochen. Sobald der Meisterknecht Messer und Gabel neiderlegte, war die Mahlzeit zu Ende. Es versand sich von selbst, daß er den Leuten Zeit ließ, sich zu sättigen. Nach diesem Signal standen alle auf, wendeten sich wieder mit dem Rücken gegen den Tisch, sprachen noch ein Gebet und gingen dann auseinander, jedes an seine Arbeit.“

1) Carl Schurz, Lebenserinnerungen, Bd. 1 (bis 1852), Berlin 1906.
2) Nachkommen dieses Großvaters von Carl Schurz sind u.a. die Familien Jüssen in Erp

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1962

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