Düngerfabrik Euskirchen und Agrarwirtschaft

Von Rolf P. Stüsser

Die Gründung der Düngerfabrik in Euskirchen fällt in eine Zeit, in der die bahnbrechenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der Agrochemie erstmalig in größeren Maßstäben industriell ausgewertet wurden.

Die Möglichkeit der künstlichen Düngung, der intensiven Nutzung des Bodens, brachte das Ende der Drei-Felder-Wirtschaft und schuf einen Industriezweig, ohne den die heutige Agrarwirtschaft schlechthin undenkbar wäre.

Die Unternehmer der Gründerzeit erkannten sehr früh die industriellen Möglichkeiten, die die Agrochemie bot. Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 wurden eine ganze Reihe Düngerfabriken in Deutschland gegründet; in Köln, Trier, Mannheim, Biebrich, Magdeburg, Leipzig und Hannover entstanden größere und kleinere chemische Unternehmen, die den wachsenden Bedarf der Landwirtschaft an künstlichen Düngemitteln befriedigten.


Düngerfabrik Euskirchen (Luftfoto)

Der Unternehmer Josef Lückerath gründete in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Düngemittelfabrik in Euskirchen, der er eine Kohlenhandlung anschloß. Zunächst beschäftigte sich Lückerath mit dem Vermahlen von Thomasschlacken, die er von den Stahlwerken an der Ruhr aufkaufte. Die vermahlenen Thomasschlacken verkaufte er als Thomasphosphat an die Bauern der Umgebung.

Der steigende Bedarf der Landwirtschaft an Phosphaten konnte allein nicht durch die nur begrenzt als Nebenprodukt der Stahlindustrie anfallenden Thomasschlacken befriedigt werden. Die in der Natur vorhandenen Vorkommen von Phosphaten wurden alsbald in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts mit Hilfe von Schwefelsäure zu Superphosphat aufgeschlossen. Lückerath stellte im Jahre 1883 beim zuständigen Gewerbeamt in Euskirchen den Antrag auf Errichtung einer Superphosphatfabrik auf dem Gelände des heutigen Werkes, um seinem Unternehmen eine breitere Basis zu geben.

Einige Euskirchener Textilunternehmer widersprachen jedoch der Errichtung, weil sie fürchteten, daß ihre Häuser einer unangenehmen Geruchsbelästigung ausgesetzt seien, und daß Arbeitskräfte, die in der Kreisstadt der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wohn nicht ausreichend vorhanden waren, aus ihren Betrieben in die neue Superphosphatfabrik abwandern würden. Der Widerspruch weitete sich zum Verwaltungsstreit aus, der vom Preußischen Ministerium für Handel und Gewerbe zu Ungunsten des Kaufmanns Lückerath entschieden wurde.

Der Bau der Superphosphatfabrik war verhindert, gleichzeitig war damit auch verhindert, daß die Kreisstadt hoffen durfte, eine größere chemische Fabrik in ihren Mauern zu beherbergen. Ein Vergleich der Entwicklung anderer Düngerfabriken in Deutschland zeigt sehr deutlich, daß die Mehrzahl in der Regel andere Erzeugnisse der Agrochemie in ihr Produktionsprogramm aufnahmen und sich erfolgreich entwickelten.

Der Unternehmer Lückerath war wohl durch das Verbot entmutigt - keine Chronik berichtet darüber -, verlegte seinen Wohnsitz nach Berlin und verkaufte 1894 das Werk an die früheren Gesellschafter der Chemischen Fabrik Kalk in Köln. Um die Jahrhundertwende gelangte der Chemieunternehmer Scheibler, einer der Gesellschafter der Chemischen Fabrik Kalk, zu einiger Bedeutung auf den Düngermärkten Deutschlands. Unter seiner Leitung nahm das Werk in Euskirchen die Produktion von Mischdüngern auf, deren Basis Superphosphat, Kali und schwefelsaures Ammoniak war. Das Werk kam rasch zur Blüte und kann heute auf eine mehr als achtzigjährige Entwicklung zurückschauen. Dem Produktionsbetrieb wurde eine Düngemittelgroßhandlung angegliedert, die alle auf dem deutschen Düngermarkt vorhandenen Düngersorten vertreibt.

Da natürliche Absatzgebiet der Fabrik war und ist noch heute der landwirtschaftlich intensiv genutzte Raum der Kölner Bucht, die mehr extensiv genutzten Höhen der Eifel bis zur Grenze des Saargebietes, Teile des Hunsrücks und einige Gebiete des Niederrheins. Eine in den fünfziger Jahren übernommene Lohnproduktion für die Chemische Fabrik Kalk in Köln hat den Aktionsradius des Euskirchener Werkes bis weit nach Süddeutschland erweitert. Beträchtliche Mengen der Jahresproduktion werden insbesondere nach Bayern verschickt.

Das Prinzip der Produktion beruht auf der Vermischung von vier Grundkomponenten des Stickstoffes in fester und flüssiger Form, des Superphosphates und des Kalisalzes zu einer Reihe von Mehrnährstoffdüngern, deren Zusammensetzung den Nährstoffbedürfnissen der einzelnen Absatzgebiete angepaßt ist. Die Grundkomponenten werden von den Kalibergwerken in Niedersachsen, der Stickstoffindustrie an der Ruhr und verschiedenen Werke der Superphosphat-Industrie bezogen und zu den beschriebenen Mehrnährstoffdüngern verarbeitet.

Die ständig steigende Verbreitung von Düngerstreumaschinen im letzten Jahrzehnt machte es notwendig, die Düngemittel in gekörnter Form auf den Markt zu bringen.

Die Körnung des Düngers erfolgt in großen, schnell rotierenden Stahltellern (siehe Abbildung). Die zentripetal wirkenden Kräfte lassen das Düngerpulver unter Einwirkung von Wasser und flüssigem Stickstoff eine starke Adhäsion entwickeln, die den Körnungsvorgang auslöst. Von der manuellen Fähigkeit des „Granuleurs“, des an den Tellern beschäftigten Arbeiters, hängt es ab, welche Kornqualitäten erzielt werden. Absiebvorrichtungen korrigieren die Fehler des Granuleurs und liefern im Endstadium der Produktion ein homogenes, im Schnitt größengleiches Korn, das den Bedürfnissen der Düngerstreuer angepaßt ist.


Mischanlage mit Granulierteller

Im Laufe der Jahre gelang es, die Produktion der Düngemittel so weit zu automatisieren, daß heute nur noch sechs bis sieben Arbeitskräfte erforderlich sind, die den Produktionsprozeß steuern. Die kontinuierlich fließende Produktion wird von großen Lagerhallen aufgenommen, die es ermöglichen, etwa drei Viertel der anfallenden Jahresproduktion aufzunehmen.

Eine schnelle Verladung des erzeugten Gutes ist durch moderne Verladeeinrichtungen und durch sehr mobile Hubladerfahrzeuge gewährleistet, die ein langes Warten an den Verladerampen erübrigen. Dennoch kommt es zuweilen in den Frühjahrsmonaten zu einigen Friktionserscheinungen, weil der Ansturm der Abholer und die Waggonverladungen sich auf einen relativ kurzen Zeitraum erstrecken. Eine ständig zu verbessernde Technik ist jedoch in der Lage, auch diese saisonale Spitze zu bewältigen.

Die Verbreitung der Mehrnährstoffdünger hat in den zwei Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg eine außerordentliche Ausdehnung erfahren. Die Verwendung dieser Düngemittel erübrigt ein häufiges Begehen der Anbauflächen in der Landwirtschaft. Sie trägt dazu bei, den Arbeitseinsatz pro Hektar bebauter Fläche zu verringern und damit die Rationalisierung in der Landwirtschaft voranzutreiben. Die Fabrik in Euskirchen hat an dieser Arbeit für die Landwirtschaft ihren Anteil.

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1962

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