Karl Schurz
Der große Sohn Liblars

Von Josef Bauer

Im politischen Kampf um die Freiheit Berlins und um die Wiedervereinigung Ost- und Westdeutschlands gelten z. Zt. als gewichtigste Wortführer die regierenden Männer Amerikas. Vor genau hundert Jahren, also im Jahre 1860, stand ein Deutscher drüben in den Staaten an hervorragender Stelle im Kampf, um die Nord- und Südstaaten zu einigen und versklavten Negern ihr Menschenrecht zu gewinnen: Carl Schurz aus Liblar im Kreise Euskirchen.

Hundertfältig spendeten seither berufene Männer der alten und neuen Welt diesem Manne unserer Heimat ihr Lob. Von ihm sagt z.B. Carl Russel Fish, Historiker an der Staatsuniversität zu Madison, in seiner Festrede zum 100. Geburtstage: „In mehr als einem Entscheidungskampf bewies er sich als unleugbarer Machtfaktor, und wiederholt fehlte ihm nur eine Haaresbreite zur vollen Machtübernahme. In der Spannweite der ihm zu Gebot stehenden Sachkenntnis ... und in der Leichtigkeit, mit der er die schwierigste Materie bemeisterte, war er vielleicht allen anderen Männern des öffentlichen Lebens im damaligen Amerika überlegen ...“ Andere rühmen die Schlagkraft seiner Rede und ihre unbedingte Wahrhaftigkeit, in der das Geheimnis seines politischen Erfolges wurzelte.

Schurz sagt von sich selbst: „Ich werde niemals etwas sagen, für das ich nicht mit vollem Gewissen einstehen kann. Wo die Freiheit ist, da liegt mein Vaterland. Wenn ich nicht der Bürger eines freien Deutschland sein kann, so möchte ich wenigstens Bürger des freien Amerika sein. Ich verspreche mir auch dort keine goldenen Berge. Ich weiß im Gegenteil, daß man sich anstrengen muß, um sich dort durchzusetzen. Ich bin zu arbeiten, viel zu arbeiten gewöhnt. Aber ich möchte, daß das Ziel meiner Tätigkeit in etwas mehr bestünde, als nur im Brot allein!“ So sah der junge, der kaum der Schule entwachsene Schurz die Freiheit im Sinne freier, opfervoller Verpflichtung und im persönlichen, vom Gewissen befohlenen Einsatz für die großen Menschheitszeile, nicht im Widersinn liberalistischen Entbundenseins, um von Verantwortungen unbehelligt zu bleiben.

Am Geburtshause auf Schloß Gracht zu Liblar stehen unter bronzenem Relief die ehrenden Worte:

Carl
Schurz
wurde am 2. März 1829 hier geboren.
Er war ein Kämpfer für
Einheit und Freiheit
in Deutschland und in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Geschenkt
von der Vereinigung Carl Schurz-Berlin.


Gelegentlich der Feier seines 100. Geburtstages am 2. März 1929 errichtete die Gemeinde Liblar ihm in Anwesenheit von Mitgliedern der „Gesellschaft Carl Schurz“ ein Denkmal, das heute vor dem Amtsgebäude die Heimat mahnt, ihren großen Sohn und vor allem dessen ideales Streben nicht zu vergessen, wie es die Festredner, u.a. Geheimrat Professor Dr. Oncken von der Deutschen Akademie und der amerikanische Botschafter Schurmann, als notwendig erachteten.

Aus gleichem Anlaß wurde damals im Reichstagsgebäude zu Berlin eine Büste dieses deutsch-amerikanischen Staatsmannes aufgestellt als ein Anruf an jene, denen die Geschicke des Volkes zu treuen Händen überantwortet sind.

Und 7000 km westwärts, jenseits des Atlantik, hält ein anderes Denkmal im Morningside-Park zu New York das Andenken an den Rheinländer wach. In metallener Schrift leuchten darauf die Worte:

VERTEIDIGER DER FREIHEIT
UND FREUND DES RECHTS


Was sicherte Carl Schurz bis heute den weltweiten Klang seines Namens und die Hochachtung des deutschen und des amerikanischen Volkes nun schon über ein volles Jahrhundert hinweg?

1860 griff Schurz in den Kampf um die Wahl des amerikanischen Präsidenten ein und verhalf dem Republikaner Abraham Lincoln zum Siege, in dessen Folge die Einigung Amerikas und die Sklavenbefreiung in den Südstaaten erkämpft werden konnte. Carl Schurz war damals 30 Jahre alt.


EIN LEBEN FÜR FREIHEIT UND RECHT

Seit seinem 19. Lebensjahr stand Schurz als geachteter wie auch gefürchteter Mitstreiter in vorderster Front der um Recht und Freiheit ringenden Länder der westlichen Welt. Als Sohn eines Lehrers geboren, studierte er 1847 in Bonn. Vom Führer der Frankonen stieg er als Verfechter studentischer Ideale zum Führer der Bonner Studenten überhaupt auf und als solcher zum unerschrockenen Vorkämpfer für die politischen Forderungen der Zeit, für Freiheit und Einheit. Mit dem Professor für Geschichte Gottfried Kinkel, einem der rheinischen Freiheitshelden befreundet, standen beide in den stürmischen Märztagen 1848 auf den Rednertribünen, und der zwanzigjährige Schurz lenkte die Aufmerksamkeit von Freund und Feind auf sich und seine weitgesteckten Ziele für eine neue volksnahe Staatsverfassung. Die damalige königliche Regierung zu Berlin sah sich bedroht, und der Bonner Student galt als verfemt; er zählte zu den Liberalen, zu den Demagogen.

Die anfänglichen Erfolge und die folgenden bitteren Rückschläge prägen aus dem rheinischen Liberalen den zielbewußten Republikaner, aus dem schwärmerischen „48er“ den verwegenen, unnachgiebigen Revolutionär. Hart trat er den weichgewordenen Reaktionären entgegen und peitschte u.a. dem Professor Rietschl in der Diskussion die Antwort entgegen: „Rebellen? - Ja, Rebellen für die Freiheit! Revolutionäre? - Ja, Revolutionäre für die Rechte des Volkes! Aufwiegler? - Ja, Aufwiegler zur Einheit unseres zerrissen Landes!“ Damit war der kaum dem Elternhause entwachsene Bursche mit an die Spitze der 48er Kämpfer gerückt, aber auch auf die Liste der Verfolgten gesetzt. Schurz verschwor sich der Politik. Vom Gerede der Paulskirche angewidert, zog er mit Studenten aus vierzig Ländern zur Wartburg und diktierte dort seinen Aufruf an die Nationalversammlung, in dem er die Republik, das Volksrecht und die Freiheit forderte, da sie sonst, nicht gutwillig gegeben, mit Blut erkauft werden müßten. Da blieben keine Redensarten. Schurz trat in die pfälzische Armee ein, wurde Leutnant der Artillerie, bei Bruchsal verwundet und von den Preußen bei Rastatt eingeschlossen. Militärgewalt sollte den Freiheitssturm ersticken. Flüchtlinge retteten sich über die Grenzen, andere verfielen der Haft.

Kinkel büßte sein Freiheitsstreben im Spandauer Gefängnis und Schurz sollte in der Festung Rastatt seinen Träumen und Plänen abschwören. Aber Schurz in Ketten? Der zur Befreiung Erwählte nun selbst seiner Freiheit beraubt? Schurz wagte eine abenteuerliche Flucht durch die Abwässerkanäle der Festung und floh über Elsaß in die Schweiz. Das geschah 1848. Von der Heimat zum Tode verurteilt, blieb er ihr treu, und unerbittliche Gegnerschaft gegen Unfreiheit und Gewalt wuchs zu gewagten Entschlüssen auf.

Ein Jahr lang sann er zunächst auf die Befreiung seines Lehrers und Freundes Kinkel. Er sammelte Geld, wagte sich dann nach Berlin, in die Höhle des Widerstandes, fand durch einen Kneipenwirt Zugang zu den Gefängniswärtern, ließ sie vom Wirte gastlich traktieren und fand so sein geeignetes Werkzeug heraus. Er bestach den Komplizen, der den Professor am Seil über Brüstungen und Dächer hinab auf die Straße und in die Arme des jungen Rebellen niederließ. Kinkel, zwar äußerlich ziemlich zerschunden, war frei, und in tollkühner Flucht kamen beide über Hamburg außer Gefahr. Schurz setzte die alten preußischen Tugenden der Treue, der Tapferkeit, des Mutes und der Eigenverantwortung gegen die preußische Zeitfremdheit und starre rückständige konservative Bevormundung ein und schlug ihr mehr als ein augenblickliches Schnippchen, er gewann die entscheidende Schlacht. 1850 war das.

Schurz floh über Hamburg nach England. Emigranten aus allen Ländern Europas traf er in London; Louis Blanc, den Franzosen; Mazzini, den Italiener, und Kossuth, den Ungar. Alle warteten auf die Heimkehr und die Verwirklichung ihrer republikanischen Hoffnungen. Schurz, der Realist, begnügt sich nicht mit vagen Zukunftserwartungen, er will die Tat.

Da stürzt Napoleon III. die französische Republik und ernennt sich zum Kaiser. Schurz sieht das Ende der europäischen Freiheit nahen, und mit seiner jungen Frau, der Hamburgerin Margarete Meyer, segelt er nach Amerika.


DER PALADIN LINCOLNS

Der Dreiundzwanzigjährige reist durch die Vereinigten Staaten, gewinnt Anschluß an die vielen geflüchteten Deutschen, studiert, beobachtet, beherrscht in kurzer Zeit die Sprache des Landes vollkommen und führt und vertritt die Deutsch-Amerikaner im vielgelobten Lande der Freiheit, wo die Wirklichkeit allerdings auch nicht den ausgegebenen Parolen entspricht. Vor allem in den Südstaaten werden versklavte Menschen noch wie Tiere gehalten und ausgebeutet.

Schurz sieht Aufgaben, und er reifte in steter Selbstbildung und unter Verzicht auf Experimente langsam und in konsequenter Klärung der Wege und Ziele zum tätigen Manne heran. Festen Fuß faßte er als Rechtsanwalt in Watertown, und politisch stand er bei den Republikanern.

Die Neuwahl des Präsidenten stand bevor. Der Wahlkampf entbrannte in aller Schärfe. Die von Schurz vertretenen 700.000 zwischen 1854 und 1859 eingewanderten Deutschen konnten unter Umständen im Wahlkampf den Ausschlag da- oder dorthin bringen. Schurz, von Demokraten wie von Republikanern umworben, blieb entschiedener Republikaner. Sein Wort blieb unbezwingbare Macht im weiten Lande zwischen Atlantik und der Sierra Nevada. Er reiste, redete, schrieb, begeisterte, und in einem Satz gipfelte sein Denken und Fordern: „Nur der ist wahrhaftig frei, der keine Sklaven neben sich duldet!“

Auf einer dieser Wahlreisen stieg zu ihm ein großer, hagerer Mann in den Zug. Abe Lincoln, der Kandidat der Republikaner. Der 28jährige Schurz und der 20 Jahre ältere Lincoln wußten genug voneinander, um gleich Bekannte, Freunde, Kampfgenossen zu sein.

Seltsam waren auch die Wege dieses Amerikaners gelaufen. Er stammte aus einer der ärmsten Familien aus der Wildnis von Kentucki, zählt zu den „armen Weißen“, die in sozialer Anerkennung eben über den Negern rangierten. Fast ohne Schulbildung hatte Lincoln sich durch Lesen mit unerhörtem Ehrgeiz als Landarbeiter, Schlosser, und Krämer zum Anwalt, dann zum politischen Führer und schließlich zum Mitglied des Kongresses emporgearbeitet. 1860 stellten die Republikaner der Nordstaaten Lincoln als Präsidentschaftskandidaten auf.

Nun saßen sie also nebeneinander im Abteil des Zuges auf der Fahrt durch das unermeßliche Land mit seinen wogenden Feldern. Sie sprachen sich aus und wußten, nichts würde sie je wieder trennen können. Seit diesem Tage sprach Schurz in den Riesenhallen von New York oder Chikago wie in Schenken einsamer Dörfer, der Prärie oder der Berge, in Wisconsin, in Indiania, in Illionois, in Missuri, in Ohio, in Pensilvanien, immer für den neuen Freund, und so fünf Monate lang, oft zwei- und dreimal am Tage. Und immer wieder, besonders in den Hochburgen der Demokraten, klang der Satz beschwörend zum Schluß: „Nur der ist wirklich frei, der keine Sklaven mehr duldet. Wählt Abe Lincoln!“ Stürme oder Begeisterung umtobten den Redner, und die Gegner vermochten nicht, gegen seine Sachkenntnis und Überzeugungskraft anzukommen.

Mehr als 35.000 Kilometer war Schurz kreuz und quer durch die Staaten gereist; und im Frühjahr des Jahres 1860 endete sein Weg mit dem Lincolns zusammen in Washington am erstrebten Ziel. Im Kapitol leistete dieser den Eid auf das Präsidentenamt. In vorderster Reihe der Anwesenden stand Schurz und hörte Lincolns Worte, die zumeist an die unterlegenen Demokraten gerichtet waren: „Wir sind nicht Feinde, wir wollen Freunde sein!“

Hundert Jahre sind seitdem vergangen; und das ist wohl Anlaß genug, daß die Heimat hinüberdenkt auf den Sleepy-Hollow-Friedhof bei Tarrytown an ihren großen Sohn, dessen Leben auch nach dem großen Wahlsieg von 1860 bis 1906 Kampf und Opfer blieb mit Erfolg, Triumpf und auch nicht ohne Enttäuschungen aller Art. Sei es in der Stellung als Gesandter in Madrid, als Generalmajor während des amerikanischen Bürgerkrieges, als Stabschef in der Armee Shermanns, als Herausgeber der „Westlichen Post“ und der „New-York-Evening-Post“, als Senator und als Inhaber des höchsten Amtes, daß jemand in den Vereinigten Staaten erreichen kann, der nicht von Geburt Amerikaner ist: als Secretary of the Interior, als Minister des Inneren. Sein schwärzester Tag war wohl der, als Lincoln durch Mörderhand fiel.

Unter den vielfältigen Aufträgen leuchtete ihm der eine, alle andern in sich begreifenden, wegweisend voran: „Verteidiger der Freiheit und Freund des menschlichen Rechtes“ zu sein.

Was er sprach, wurde Tal und lebt fort in der Welt, die ihn zu den Großen zählt, zu den Menschen, die Geschichte machten. Schurz gilt mit weingen anderen Amerikafahrern als „Bürger zweier Welten“; wesentlich zum Segen Amerikas einten sich in ihm die Ideen der alten und der neuen Welt. Bei aller Genugtuung darüber bleibt für uns der Schmerz, daß ein Mann wie Schurz sich in zu engen Netz der deutschen Heimat und in deren kurzsichtiger Politik verfing und ihr verlorenging. Auch die Einladung Bismarcks, gelegentlich eines Besuches von Carl Schurz in Berlin, zum Ende seines Lebens Preußen-Deutschland zu dienen, schlug er aus. Die Treue zu Lincoln, dem 16. Präsidenten, übertrug er nach dessen Ermordung auf zehn seiner Nachfolger bis zu Theodor Roosevelt, der das Wort prägte: „Jedes Einwanderungselement hat zu unserem Nationalcharakter beigetragen. Keinem aber schulden wir mehr als dem deutschen.“

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1960

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