Nun ist die FLUTSCH futsch
65 Jahre fuhr sie durch den Kreis
Von Otto Becker
Der Kreis Euskirchen hatte im August 1895 einen Festtag. Nur die ältesten Einwohner unseres Kreises werden sich noch daran erinnern. Landrat Freiherr von Ayx hatte an diesem Tag - es war übrigens ein Samstag - die Bevölkerung durch Bekanntmachung darauf hingewiesen, daß jedermann zur feierlichen Eröffnung der Euskirchener Kreisbahnen, verbunden mit einem Festessen, eingeladen sei. Die Eröffnungsfeier war in Liblar. Wer von Euskirchen nach Liblar wollte, konnte den ersten Sonderzug der EKB, der um 10.51 Uhr vom Bahnhof Frauenberger Straße abfuhr, benutzen.
Wer heute annimmt, die gesamte Bevölkerung des Kreises Euskirchen hätte diesen Tag mit Freunde begrüßt, der irrt. Nicht alle Verhandlungen um die Gründung der EKB gingen glatt über die Bühne. Von vielen Seiten wurden Einsprüche erhoben. Die Anwohner der Euskirchener Wilhelmstraße waren zum Beispiel der Meinung, die Schmalspurbahn müsse in die Wilhelmstraße einmünden. Es hagelte Beschwerden und Einsprüche wegen der notwendigen Landenteignungen. Zu den Beschwerdeführern gehörten vor allem die Anwohner der heutigen Kuchenheimer Straße.
Als die Schmalspurbahn zwischen Station Liblar und Station Euskirchen polizeilich und eisenbahntechnisch abgenommen wurde, mußten die Kommissionsmitglieder an vielen Prüfungsorten flüchten. Sogar gezielte Steinwürfe auf die repräsentativen Zylinder gab es, wie berichtet ist.
Aber das war vor 65 Jahren. Inzwischen haben die Euskirchener Kreisbahnen auf Beschluß des Kreistages vom Dezember 1958 ihren Betrieb bis auf eine kleine Reststrecke zwischen Satzvey und Antweiler eingestellt. Die Gründe sind der Öffentlichkeit bekannt. 25 Jahre lang tat die EKB treu und brav ihre Pflicht. Sie war volkstümlich geworden. Sie war ein Stück Leben für die Menschen, die für sie arbeiteten und es heute noch bedauern, daß sie Abschied von ihrer Bahn nehmen mußten.
Nicht von der geschichtlichen Entwicklung der EKB, nicht von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung soll in diesem Bericht gesprochen werden. Vielmehr sollen noch einmal ein paar EKB-Veterane mit ihren Erinnerungen an die Flutsch zu Wort kommen.
EKB-Veteranen erzählen von
der FLUTSCH
Lokführer Matthias
Hoven |
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Lokführer Johann
Scheffen |
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Und erinnern sich
gerne vergangener Tage
Da ist zum Beispiel die
nette Geschichte von einer Kegelpartie in Satzvey, erzählt von
Albert Kloster (Frauenberg), der - heute 65 Jahre alt - es bei der
EKB vom Rottenarbeiter bis zum Zugführer brachte. Die Geschichte
liegt über zwanzig Jahre zurück, aber Kloster erinnert sich
noch gut: Wieder einmal hatte das Zugpersonal bis zum späten
Abend gearbeitet. Es war zur Zeit der Rübenkampagne, da wurde
jeder Mann gebraucht. Wir machen eine Kegelpartie in Satzvey,
schlug einer der Männer nach Feierabend vor. Alle waren
einverstanden. In Satzvey angekommen, warf der Heizer noch ein paar
Schaufeln Kohlen auf, und gut gelaunt ging die Zugbesatzung hinüber
zur Gastwirtschaft. Der Wirt kannte die Männer, heizte den Ofen
tüchtig ein, und schon tat man den ersten Schluck. Nach kurzer
Zeit herrschte Hochstimmung.
Mehr als einmal wurden alle neun geworfen. Bei einer Runde Bier blieb es natürlich nicht. Die Zeit verstrich. Die Stimmung hatte ihren Höhepunkt erreicht, als im Schein der Morgendämmerung einer aus der fröhlichen Runde zur Heimfahrt mahnte. Die Männer bezahlten und schwankten auf das Bähnchen zu. Aber siehe da, der Heizer hatte vor lauter Freude am Kegeln vergessen, zwischendurch nach dem Feuer zu sehen. Es war ausgegangen. Es dauerte einige Stunden, bis die Maschine wieder unter Dampf stand und fahrbereit war. Das passierte bei der nächsten Kegelpartie natürlich nicht mehr.
Die
Flutsch im Gründungsjahr 1895. Bahnhof Mülheim
Wichterich
Ich könnte über ernste und heitere Tage bei der EKB soviel erzählen, daß man ein ganzes Buch darüber schreiben könnte, lacht Pensionär Kloster und denkt gerne an seine Arbeitsjahre bei der EKB.
Am Stadteingang von Zülpich, auf der Münsterstraße, passierte das Unglück. Unser Zug fuhr einen Lastkraftwagen um, der mit Mehlsäcken beladen war. Das Mehl lag auf der Straße. Der Fahrer de Kraftwagens war eingeklemmt und mußte mit einem Schweißapparat aus seiner mißlichen Lage befreit werden. Er war jedoch nur leicht verletzt, erzählt Lokführer Karl Koch aus Wachendorf. Koch war damals Heizer. Sein Lockführer war ein ehemaliger Offizier, der nach dem ersten Weltkrieg bei der EKB eingestellt worden war. Es sei erwähnt, daß dieser Offizier von der Kleinbahn so gut wie nichts verstand. Mit unechten Papieren war er Lokführer geworden. Sein Gastspiel bei der EKB war nur von kurzer Dauer. Nach dem Unfall in Zülpich folgte ein zweiter. Der Offiziers-Lokführer wurde entlassen. Karl Koch erinnert sich:
Wir fuhren von Euskirchen nach Wichterich. In Höhe der Ortschaft Oberwichterich fuhr neben uns auf der Straße ein Radfahrer. Der Radler fuhr schneller als unser Bähnchen. Das schien dem Lokführer nicht zu gefallen. Er erhöhte das Tempo, um den Radfahrer zu überholen. Fahren Sie langsamer, warnte ich, sonst entgleisen wir. Knapp 50 Meter weiter, genau vor der Anhöhe, wo der Schienenstrang die Straße überquert, passierte es dann. Die Lokomotive sprang aus den Gleisen, drehte sich in umgekehrte Fahrtrichtung und kippte um. Die nachfolgenden Wagen sprangen ebenfalls aus den Schienen und legten sich auf die Seite. Der Personenwagen, in dem nur ein Fahrgast saß, blieb stehen.
Der Lokführer und der Heizer Koch kletterten unversehrt aus der umgekippten Lokomotive. Ein Gerätewagen aus Mülheim-Wichterich kam, um das Bähnchen wieder flottzumachen. Der Lokführer aber kam nicht mehr dazu, noch einen dritten Unfall zu verursachen.
Zu den Erinnerungen an die Flutsch gehört auch die nette Episode, als das Euskirchener Familienbähnchen nach dem ersten Weltkrieg den Engländern so gut gefiel, daß sie es sogar filmten. Einzug nach Berlin nannte sich der Dokumentarbericht, den die Engländer drehten. Aber nicht in und um Berlin, sondern im freien Gelände zwischen Kommern und Firmenich. Darüber weiß Lokführer Matthias Hoven aus Antweiler zu berichten:
Der erste Weltkrieg war einige Monate zu Ende, da erschienen plötzlich einige englische Filmleute bei uns auf dem Bahnhof in Antweiler und erzählten uns, daß sie zwischen Kommern und Firmenich einige Filmszenen zu dem Dokumentarfilm Der Einzug nach Berlin drehen wollten. Mir fiel der Auftrag zu, auf Winkzeichen der Kameramänner hin den Zug auf der genannten Strecke in Bewegung zu setzen. Ich selbst durfte mich aber am Fenster nicht blicken lassen. Bei mir auf der Lokomotive stand ein englischer Major, der sich aus dem Fenster hinauslehnte und den Filmleuten lachend zuwinkte. Die Szene wurde so oft wiederholt, bis die Kameramänner zufrieden waren. Zur Belohnung bekam ich zehn Mark in die Hand gedrückt.
Der
letzte Waggon der Flutsch brachte aus dem nördl.
Kreisgebiet Klütte zum Abfertigungsbahnhof
Frauenberger Straße
Der 8. April 1944 ist als Tag der Trauer in die Geschichte der EKB eingegangen. Der Zug Euskirchen - Mülheim-Wichterich - Liblar wurde nachmittags von Tieffliegern angegriffen. 23 Tote, darunter Frauen und Kinder, viele Schwer- und Leichtverletzte waren zu beklagen. Von den Überlebenden des Fahrpersonals erinnern sich die Lokführer Johann Scheffen und Karl Koch, Wachendorf, trotz dabei erlittner Verwundungen an die Einzelheiten dieses grausamen Angriffs auf das friedliche Kleinbähnchen im Euskirchener Land. Wehrlos war es den MG-Garben ausgeliefert.
Mehr als ein halbes Jahrhundert hat die Flutsch ihre Aufgabe im Kreise Euskirchen erfüllt. Sie war schließlich der modernen Verkehrsentwicklung, die nach Rentabilität rechnet, nicht mehr gewachsen. Nicht nur das Personal der EKB fühlt sich mit seiner Bahn eng verbunden und hält sie in guter Erinnerung. Wenn schon der Volksmund von Familien-Bähnchen sprach, so kündet dieser Name von einer breiten Anteilnahme in Freud und Leid. Mögen daher auch die Akten über die EKB des Kreises Euskirchen verwaltungsmäßig geschlossen sein, die Bahn wird in der Bevölkerung weiterleben als Flutsch, Knollebähnchen oder Familien-Bähnchen.
Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1960
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