Braunkohle am Rande der Römerstadt Zülpich

Von Otto Becker, Euenheim

Vom frühen Morgen bis zum späten Abend, ja selbst noch bei Nacht, durchfahren täglich viele Lastkraftwagen, hochbeladen mit Briketts, Zülpichs Straßen. Auf dem Bahnhof stehen lange Güterzüge, ebenfalls mit Briketts beladen. Die vor Jahren vom ersten bis zum letzten Stein neuerbaute Brikettfabrik zwischen Zülpich und Geich ist auch bei Nacht hellerleuchtet und in Betrieb. Es wird in mehreren Schichten gearbeitet. Vom nahen Grubengelände hallen Tag und Nacht die Hupsignale der schweren Bagger herüber. Auch das Knirschen und Rollen der Bandstraßen ist bis auf den Zülpicher Marktplatz zu hören. Die Zülpicher haben sich daran gewöhnt und achten schon nicht mehr darauf. Rings um die Stadt muß die Landwirtschaft, die seit Jahrhunderten auf fruchtbaren Böden betrieben wird, immer mehr dem Braunkohlenabbau weichen. Im Zülpicher Land hat mit der Industrialisierung eine Entwicklung begonnen, die jetzt noch nicht abzusehen ist.

Es regnete, als am 28. September 1953 Frau Elisabeth Rolff, ihr Sohn, Bergwerksdirektor Joachim Rolff, die Enkelkinder der Witwe sowie Herren der Betriebsleitung den ersten Spatenstich im Zülpicher Braunkohlegebiet taten. Joachim Rolff sagte damals, daß es sein und seiner Mutter Wunsch sei, im Raum Zülpich im Sinne des verstorbenen Vaters ein Werk zu beginnen, das allen daran Beteiligten zum Segen gereichen möge. Sodann wurde der erste Kippwagen voll Braunkohle mit dem Seil die Rampe hinaufgezogen und in die Auffangkammer gekippt. Die in der Grube beschäftigten Arbeiter - es waren damals knapp 50 Mann - hatten für kurze Zeit ihre Arbeitsgeräte beiseite gestellt. Das war vor fünf Jahren. Wie sieht es heute im Zülpicher Braunkohlengebiet aus?


Bis an den Stadtrand

Nach vorbereitenden Entwässerungsarbeiten wurde vor fünf Jahren rechts der Straße Zülpich-Juntersdorf mit dem Grubenaufschluß begonnen. Die gewonnene Rohkohle wurde mit Lastwagen zur Brikettierung nach Fürstenberg gebracht. Heute ist das nicht mehr notwendig. Die Straße Zülpich - Juntersdorf ist schon lange weggebaggert, das Grubenaufschlußgelände hat sich erheblich vergrößert und reicht bis dicht an den Stadtrand von Zülpich und Zülpich-Hoven heran. Bei Geich (Kr. Düren) wurde eine neue Brikettfabrik gebaut. Am 12. 10. 1955 konnte das Werk in Betrieb genommen werden. In den Abendstunden jenes Tages purzelten die ersten Briketts auf ein Förderband, und die Familie Victor Rolff sowie Vertreter der Industrie, der Lieferfirmen und die Belegschaftsmitglieder nahmen sich zur Erinnerung ein noch warmes Brikett mit nach Hause. Kein Mensch im Werk schaut sich heute die Briketts noch näher an. Sieben Pressen arbeiten unentwegt in drei Schichten. In 24 Stunden werden 1.300 Tonnen (= 26.000 Ztr.) Briketts gepreßt, ausgestoßen und in Güterzügen oder von Lastkraftwagen im Landabsatz abtransportiert. Das Werk arbeitet auf vollen Touren. Die Belegschaft (ohne die Angestellten) ist inzwischen auf rund 700 Mann angewachsen. Damit sind alle Arbeitsplätze besetzt.


Grube Victor „Glück-Auf“
Der Gedenktag des 28. September 1953


60 Millionen Tonnen Kohlen

Die im Zülpicher Raum lagernden Braunkohlenvorräte, so versicherte der Leiter des Zülpicher Unternehmens, Direktor Burdach, würden mit rund 60 Millionen Tonnen angegeben. Die noch in größerer Tiefe liegenden, heute noch nicht erreichbaren Flöze, sind dabei noch nicht berücksichtigt. Wenn man weiter hört, daß in der Geicher Brikettfabrik jährlich rund 1,5 Millionen Tonnen Braunkohle verarbeitet werden, kann man sich also leicht ausrechnen, daß mindestens noch 40 - 50 Jahre in der Brikettfabrik bei Zülpich gearbeitet werden kann. Vielleicht ist auch darin der Grund zu suchen, warum so viele junge Menschen aus dem Zülpicher Raum und dem nördlichen Gebiet des Kreises Euskirchen bei sich bei der Grube Victor um einen Arbeitsplatz bewarben. Sie rechneten sich aus, daß sie hier zeitlebens Arbeit und damit eine feste Existenz gefunden haben.

Dem neuen Werk kommt auch eine große Bedeutung als Stromlieferant für das RWE zu. Die im Werk erzeugte Energie wird in der Fabrik nicht ganz benötigt. Es können noch erhebliche Mengen Strom an das Versorgungsnetz der Umgebung abgegeben werden. Die erste Turbine liefert rund 13.000 Kilowattstunden, die zweite turbine erzeugt rund 24.000 Kilowattstunden.


Abbau unter ungünstigen Verhältnissen

Die Zeiten, da man nur einige Meter Erde wegzuräumen brauchte, um auf Braunkohlenflöze von 70 und mehr Metern Mächtigkeit zu stoßen, sind im Braunkohlenabbau heute vorüber. Um die Kapazität halten oder gar noch steigern zu können, ist man jetzt auch gezwungen, die weniger ergiebigen Vorkommen abzubauen. Dazu zählt das neue Zülpicher Braunkohlengebiet. Unter denkbar ungünstigen Verhältnissen wird dort das „braune Gold“ aus dem Boden geholt.

Als im Jahre 1952 ernsthaft mit den vorbereitenden Arbeiten zum Grubenaufschluß begonnen wurde, lagen der Grubenverwaltung zwar die Ergebnisse der Probebohrungen vor, aber sie erlaubten noch keinen exakten, planvollen Abbau. Die Wirklichkeit sieht immer anders aus. Nur darüber waren sich die Experten völlig im klaren, daß große Mengen Abraum zu beseitigen sein würden, um an die Kohlenflöze zu gelangen.

Wie vollzieht sich der Abbau und wie ist das Verhältnis Kohle zum Abraum? Darüber erzählt Dipl-Bergingenieur Proff: „Der Abbau vollzieht sich in unserem Tagebau in zwei Trassen. Auf der oberen steht ein 417 t schwerer Schaufelradbagger und auf der unteren ein kleiner Schaufelradbagger und ein Eimerkettenbagger. Der Tagebau bewegt sich im Schwenkbetrieb fort, also um einen Drehpunkt. Im gleichen Sinne erfolgt auch der Abbau der Kohle. Das schnelle Abbautempo ist in erster Linie auf das ungünstige Verhältnis Kohle zum Abraum zurückzuführen. Während im rheinischen Braunkohlengebiet nur etwa 50 - 40 m Deckgebirge beseitigt werden mußten, um an ein Kohlenflöz von bis zu 80 - 90 m Mächtigkeit zu gelangen, liegt das Verhältnis von Abraum zu Kohle in den neueren Grubenaufschlüssen, wozu auch der Zülpicher zählt, wesentlich ungünstiger. Daher muß man immer mehr zum Tieftagebau übergehen.“


In 60 Meter Tiefe

Auch Direktor Burdach wies darauf hin, daß die Abbauverhältnisse bei Zülpich sehr ungünstig liegen. Er stellte fest: „Im Grubenaufschluß des Zülpicher Raumes sind die geologischen und hydrologischen Voraussetzungen zur Braunkohlengewinnung äußerst ungünstig. Bisher war - vor allem in den westlichen Ausläufern - eine nur geringe Kohlenmächtigkeit festzustellen; in rund 60 m Tiefe acht Meter. Diese Angaben beleuchten die schwierige Situation des neuen Werkes deutlich. Kohlenflöze von 40 m Mächtigkeit kennen wir hier nicht. Wir wären sehr glücklich darüber. Wir brauchten dann nur zwei Monate lang Abraum zur Kippe zu transportieren und während der übrigen zehn Monate des Jahres hätten wir nur noch die Kohle abzubauen.“

Die Feinkörnigkeit des Bodens bereitet auch beim Verkippen des Abraums und der Anlage und Gestaltung der Kippen erhebliche Schwierigkeiten. Dazu sagt Direktor Burdach: „Bei der Anlage der Kippen wurden wir vor ganz neue Probleme gestellt. Der Abraum besteht hauptsächlich aus Lehm, Löß und Tonsand. Die Erdmassen laufen auf der Kippe bei Juntersdorf weg wie Schlamm. Die fachgerechte Abböschung macht uns viele Sorgen.“


Grubenbahn fährt nicht mehr

Wer vom Rande des Aufschlußgeländes der Grube Victor Rolff dem emsigen Treiben in der Tiefe zuschaut, wird feststellen, daß die Abraumbahn ihren Betrieb eingestellt hat. Die gewonnene Rohkohle wandert über starke Gummibänder in Richtung Fabrik, ebenso seit einiger Zeit auch der Abraum in Richtung Kippe. Die Bandstraßen haben zusammen schon eine Länge von über 10 km.

Die Grube Victor Rolff hat, was die Bandstraßen anbelangt, wirklich Pionierarbeit geleistet, und nicht ohne Grund kommen immer wieder Braunkohlenexperten aus dem In- und Ausland, um die Bandstraßen, die als die modernsten im europäischen Braunkohlenbergbau bezeichnet werden, zu besichtigen und ihre Technik zu studieren. Die 1 m breiten Spezial-Gummibänder haben eine Länge von jeweils rund 800 m. Nach je 800 m kommt eine Übergabestelle, falls sich die Förderrichtung ändert und auch, um die Bänder leichter kontrollieren zu können; denn mit Störungen muß immer gerechnet werden. Über diese Bänder gelangt die Rohkohle in den Bunker, der rund 4500 cbm Fördergut aufnehmen kann. Wenn aus irgend einem Grunde die Kohlenbandstraße stillsteht, ist im Bunker soviel Reserve vorhanden, daß in der Fabrik noch lange Zeit weitergearbeitet werden kann. Und kommt es inder Fabrik selbst zu einer Störung, kann in der Grube weiter gefördert werden. Nachdem heute auch die Abraummassen in der gleichen Weise über Bänder bis zu den Kippen laufen, gibt es im Aufschlußgelände kaum mehr Störungsquellen.


Genaue Kontrolle

Das Abraumband bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 4 m i.d. Sek. und kann in 24 Stunden theoretisch zwischen 25.000 und 40.000 cbm Fördergut transportieren. Das Kohlenband kann in 24 Stunden bis zu 14.000 cbm Rohkohle aufnehmen und bis zum Bestimmungsort befördern. Eine genaue Kontrolle der geförderten Menge ist, ähnlich wie beim Zugbetrieb, möglich. Alles Fördergut läuft über eine automatische Waage, die das Resultat auf dem Leitstand (Kontrollturm) anzeigt. Die Abraum-Bandanlage wurde von einer Münchener Firma konstruiert. Diese Firma, die beim Bau von Bandanlagen führend im Westdeutschen Braunkohlenbergbau ist, hat inzwischen in Mechernich im Kreise Schleiden, einen Zweigbetrieb eröffnet.


Es wird schon rekultiviert

„Die Grube Victor Wolff hatte bisher kaum Gelegenheit zum Rekultivieren. Sie ist noch zu jung. Aber auf der Abraumhalde bei Juntersdorf (Kreis Düren) ist bereits gute Arbeit geleistet worden. Das muß anerkannt werden“, sagte Dr. von Meer, der Experte für Braunkohlenfragen bei de Bonner Landwirtschaftskammer. Auf der Abraumhalde weiden schon Schafe, das erste Heu wurde in diesem Sommer gemäht, und entlang den Böschungen wurden 3.000 Pappeln und etwa 7.000 Erlen gepflanzt.

Bei Rekultivierungsarbeiten - sie folgen später ja auch in unmittelbarer Nähe der Stadt Zülpich - können nicht nur Wünsche der Landwirtschaft berücksichtigt werden. Auch die Forstwirtschaft, die Landesplanungsbehörde, die Naturschutzbehörde, die Wasserwirtschaft und andere Dienststellen tragen der Grube ihre Wünsche, die oft sehr gegensätzlich sind, vor.

Ein Teil der Kippe (etwa 12 ha) ist schon vor zwei Jahren mit Klee und Gras eingesät worden. Es bildet sich zum Teil eine geschlossene Grasnarbe. Schafe sind willkommen, weil sie nicht nur Dung liefern, sondern auch das noch lockere Erdreich festigen. Die Abraumbandstraße wird in kurzem um weiter 500 m verlängert, um in den kommenden Jahren noch weitere Mengen Abraum im Gelände verkippen zu können. Die Halde wird terrassenförmig aufgestockt. Die horizontal liegenden Flächen werden jeweils der landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt, die Böschungen dagegen, um den Boden zu halten, forstwirtschaftlich rekultiviert. Schon jetzt wird unter den jungen Bäumchen der karge Boden teilweise beschattet. Dadurch wird ein schnellerer Vegetationsschluß erreicht. Bei der Rekultivierung wird darauf geachtet, daß die Böden im Vergleich zu früher noch besser werden. Deshalb werden beim Grubenaufschluß wertvolle Lößböden gesondert abgelagert. Gerade Löß ist hervorragendes Ausgangsmaterial zur Rekultivierung. Sobald es möglich ist, wird auch inder Zülpicher Gemarkung mit der Rekultivierung begonnen, damit die ausgekohlten Flächen möglichst bald wieder zur landwirtschaftlichen Nutzung den Bauern zurückgegeben werden können.


Braunkohlenbagger im Angesicht der Römerstadt Zülpich. Im Hintergrund Burg Zülpich


Harte Arbeit unter Tage

Auch im Braunkohlentagebau gibt es Bergleute, die unter Tage arbeiten. In nahezu 40 m Tiefe werken sie unter schweren Bedingungen im Schein ihrer Grubenlampen vor Ort. Sie bauen Entwässerungsstrecken in den Boden, ohne die man auch in einem Tagebau schwerlich auskommt. Täglich sind die Männer viele Stunden unten, genau wie der Bergmann im Steinkohlenbergbau. Wenn sie wieder ans Tageslicht kommen, sind ihre Gesichter und Hände schwarz, sie selbst müde und abgespannt.

Insgesamt arbeiten inder Grube Victor 27 Männer unter Tage in mehreren Schichten. Das Auffahren der Entwässerungsstrecken erfolgt von Hand. Die dort lagernde Kohle wird vom hauer gelöst, in Grubenwagen verladen und mit der elektrischen Haspel über den Bremsberg zu Tage gebracht. Den Entwässerungsstrecken fällt die Aufgabe zu, das Wasser aus der anstehenden Kohle zu ziehen und, in Verbindung mit den Filterbrunnen, die von oben bis zur Kohle hinuntergeführt werden, auch das hängende Deckgebirge zu entwässern. Die Brunnen werden unter Tage bergmännisch angefahren und angebohrt. Sie geben dann ihr Wasser nicht mehr nach oben, sondern nach unten ab. Das Wasser fließt zum tiefstgelegenen Punkt des Streckensystems, gelangt zum Pumpensumpf, wird dort geklärt und mit Kreiselpumpen an die Erdoberfläche befördert.


Ein tiefer Tagebau

Die vielverbreitete Ansicht, die Filterbrunnen und Entwässerungsstrecken seien angelegt, um dem gesamten Tagebau und dem umliegenden Raum das Wasser zu entziehen, trifft nicht zu. Brunnen und Strecken haben lediglich die Aufgabe, die Wasserflüsse aus dem Deckgebirge und der unverritzten Kohle (noch nicht vom Abbau betroffen) aufzufangen und den Tagebau davor abzuriegeln. In Zülpich handelt es sich nicht um einen Tieftagebau, sondern um einen für rheinische Verhältnisse tiefen Tagebau.

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1959

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