Der Wagenbauer und Stellmacher

Abschnitt aus „Das Handwerk in früherer Zeit“

Von Dietmar Kinder, Elsdorf - Heppendorf

Zur Bewältigung des Lebensalltags gab es bestimmte Berufe, die es heute in der ursprünglichen Form nicht mehr gibt. Hier wären zunächst einmal die Berufe des Radmachers, des Wagners (Wagenbauers) und des Stellmachers (abgeleitet von „stellen“ oder „Gestell“) zu nennen. Denn das Rad gilt als eine der epochemachendsten Erfindungen der Menschheit. Das Stellmacher- und das Wagenhandwerk zählte lt. Brockhaus in der alten Bundesrepublik noch 4670 Betriebe mit 7089 Beschäftigten. Mit dem Fortfall der Aufträge aus der Landwirtschaft hat sich ein Teil der Betriebe dem Karosseriebau zugewandt, wo sie u.a. auch Fahrzeugaufbauten aus Holz und Metall besonders für Spezialfahrzeuge anfertigen.

Es gibt noch wenige Radmacher, die die komplizierte Technik der Herstellung eines Holzrades von der Auswahl des noch wachsenden Holzes bis zur Montage des fertigen Rades beherrschen. Der Radmacher war oft auch der dörfliche Wagner, der alle hölzernen Fuhrwerke, von der Schubkarre über die Karre bis zum großen Pferdewagen, baute. In unserer Gegend waren neben den großen hölzernen Leiterwagen auch die berühmte rheinische Schlagkarre noch nach dem 2. Weltkrieg in jedem Dorf an den verschiedensten Plätzen und auf den Feldern zu sehen.

Heute sieht man immer öfter auch wieder Kutschen und Pferdewagen in den verschiedensten Formen auf den Reit- und Fahrturnieren mit schicken Pferden davor. So finden seit einigen Jahren beim Reit- und Fahrturnier auf Burg Stammeln im August Hindernisfahrprüfungen für Ein- und Zweispänner statt. Hier hat man Gelegenheit, auch die handwerkliche Arbeit der Wagen-, Kutschenbauer und Radmacher zu bewundern.

In der Glanzzeit des Transports der Güter mit Pferden und Wagen, bzw. Karren, waren viele Handwerker mit der Herstellung der Fuhrwerke beschäftigt. Der Stellmacher baute das Gestell und der Schmied lieferte die Beschläge. Aber das Kernstück des Wagens waren immer die Teile, die der Radmacher beisteuerte, die Räder nämlich. Aber ein Wagner machte oft auch beides, Gestelle und Räder. Als solche waren sie, wie die Schreiner natürlich auch, untrügliche Holzkenner. Hierzu bedurfte es aber neben einer gewissen Eingebung und ahnendes Erfassen auch viel Erfahrung. Hängt doch die Widerstandsfähigkeit eines Rades nicht zuletzt von den Eigenschaften der verschiedenen verwendeten Holzarten ab. Das Nabenholz darf bei Belastung nicht reißen, selbst wenn zwölf Zapflöcher für die Speichen hineingestemmt wurden. Speichen werden aus haltbarer Eiche und Felgen, die biegsam und doch beständig sein müssen, werden aus Esche gefertigt. Früher kannten die Wagner ihre Gegend und wußten wo die reißfesteste Bergulme und das beste Eschenholz wuchsen, und wie lange sie nach dem Fällen trocknen mußten.

Beim Herstellen einer Nabe auf der Drechselbank konnte schon der kleinste Fehler den wertvollen Rohling verderben. Die Herstellung eines Rades ist ein sehr komplizierter Vorgang, der neben Geschick, Erfahrung, viel Gefühl besonders den exakten Umgang mit dem Handwerkszeug erforderte. Und so kennt der Wagner nicht nur Säge, Beil, Hobel und die verschiedenen Messer, sondern auch Speichenlehre, Tastzirkel, Schmiege und Meßlehre, um nur einige zu nennen. Dennoch, perfekte Mathematiker mußten die Radmacher nicht sein. Denn die Kunst guter Räder herzustellen, ist schon uralt, stammt also noch aus Zeiten, wo die meisten Stellmacher und Wagner weder lesen noch schreiben konnten. Aber sie hatten von Grund auf gelernt und genau beobachtet. Ein Holzrad sieht so einfach aus und ist doch kompliziert, besteht aber nur aus Holz und dem eisenreifen. Es wird auch nicht durch Nägel, Bolzen oder gar Leim zusammengehalten, und doch kann man mühelos tonnenschwere Lasten damit transportieren. Beim Rad kommt es auf bestimmte Winkelstellungen und Neigungen an. So läuft beispielsweise der Eisenreifen nicht im rechten Winkel zu den Speichen, damit er nicht auf der Innenkante läuft, da die Stahlachsen, die die Räder tragen, leicht nach unten gebogen sind. Dadurch neigen sich die Räder oben etwas nach außen. Diese Neigung oder Sturz kann man bei hochräderigen Kutschen besonders gut beobachten.

Das Rad wird durch den Eisenreifen zusammengehalten. Um den Eisenreifen über die zusammengeführten Felgen zeihen zu können, nutz man die Eigenschaft der Metalle aus, sich bei Wärme auszudehnen und sich bei Kälte zusammenzuziehen. Also wird der Eisenreifen so geschmiedet, daß sein Innenmaß etwas kleiner ist, als das Außenmaß der Radfelge, auf die er aufgezogen wird. Drei Männer halten an langen Haken, rund um eine Feuerstelle stehend, den Eisenreifen in drei verschiedene Richtungen auf Zug, so daß der Reifen nicht in die Glut fallen kann. Das Feuer erwärmt allmählich den Reifen, der sich dadurch im Umfang ständig ausdehnt, bis er rotglühend ist. Der Reifen wird dann mittels Zangen gefaßt und auf das Rad, was in der Regel auf einer Montageplatte festgeklammert ist, aufgebracht, anschließend gleich mit Schmiedehämmern festgeschlagen und sofort mit Wasser abgeschreckt, bevor das Holz des Rades zu brennen beginnt.

Diese Arbeit muß blitzschnell gehen und kann nur von mehreren Männern, deren Arbeitsweise völlig aufeinander abgestimmt ist, bewerkstelligt werden. Durch das Erkalten des Eisenringes wird sein Umfang kleiner. Durch diesen Schrumpfungsprozeß preßt das Eisen die Holzteile fest zusammen. Die Schnelligkeit des Vorgangs, die Geschicklichkeit der Männer, ihr Zurufen und Anspornen, das Zischen und Verdampfen des Wassers machte das Ganze besonders für Kinder spannend, die das alles im gebührenden Abstand beobachteten. Neben dem Hufbeschlag eines Pferdes war das Aufziehen eines Radreifens immer ein besonderes Ereignis für sie. Der Radmacher hing immer vom Können und von der Erfahrung des Schmiedes ab. Denn hat er den Reifen zu weit gemacht, paßt er nicht, hat er ihn zu eng gemacht, drückt er unter Umständen das ganze Rad aus der vorgeplanten Form.

Ein gut gebautes Holzrad hatte stets eine lange Lebensdauer, da man es immer reparieren konnte. Die Verschleißteile Eisenring (bewegende Berührung mit der Straße) und Radbuchse (bewegende Berührung mit der Radachse) waren aus Metall und konnten ausgewechselt werden. Bei Unfällen, oft durch scheuende und durchgehende Pferde, wurden eher Deichsel und Aufbauten eines Wagens oder einer Karre zerstört als die Räder. Der einzige Nachteil bei den Holzrädern war das sogenannte „leich“-gehen. Bei langanhaltender trockener Witterung zog sich das Holz zusammen, es schrumpfte gewissermaßen. Da der es umgebende Eisenring diese Bewegung nicht mitmachte, bildete sich oft ein kleiner Spalt zwischen hölzerner Radfelge und Eisenring; letzterer umfaßte das Rad nicht mehr voll, er drohte sich vom Rad zu lösen.

Besonders durch seitlichen Druck in den tiefeingegrabenen Karrenspuren der Feldwege, die bei langer Trockenheit beinharte Wände aufwiesen, konnte es geschehen, daß ein Eisenring vom Rad ablief, das Rad unter der schweren Last zusammenkrachte und die Karre auf die eine Seite fiel. Bei allem Schreck und Ärger hatte der Baue Mühe das oder die Pferde zu beherrschen. Bei einer vollbeladenen Schlagkarre mit einem Tier zwischen den beiden langen Holmen, wurde die Schieflage der Karre bei Radbruch das Pferd oft auch verletzt. Denn wenn die hohe zweirädrige Karre auf der einen Seite auf der Achse lag, schlug die Kipp-Drehbewegung der gegenüberliegende Holm das Tier mit wuchtigem Schlag gegen den Körper.

Aber auch der Bauer konnte, wenn der Vorgang schnell ablief, von der Karre heruntergeschleudert werden. Aber oft vollzog er sich gewissermaßen im zeitlupentempo und es blieb Zeit zum Reagieren. Doch das Pferd, was schon beim normalen Fuhrwerksbetrieb durch Schlaglöcher stets unangenehmen Kontakt mit den Holmen hatte, wurde stets in Mitleidenschaft gezogen. Es kam dabei auch meist zu Fall. Nach so einem Vorfall ließ es sich später nur mit Mühe wieder in eine Karre einspannen; aber selbst das gutmütigste Kaltblutpferd neigte danach in der Karre dazu schreckhafter zu sein. Auf alle Fälle hatten nach einem derartigen Unfall außer dem Stellmacher auch der Sattler zu tun, denn alles was aus Leder war, mußte anschließend geflickt werden. Aber solche Ereignisse waren dennoch selten, denn jeder vorausschauende Bauer oder Fuhrmann hatte in längeren Trockenperioden ein Auge für die Holzräder und wässerte sie von Zeit zu zeit, indem er nasse Säcke über die Räder legte.




Auf diesem Bild aus den 50er Jahren sind ein Geselle und ein Lehrjunge des Heppendorfer Schmieds Peter Consten (Schmedds Pitter) gerade dabei, mit schweren Vorschlaghämmern eine neue Radbuchse aus Metall in die Radnabe eines großen Karrenrades einzutreiben. Rechts ist ein Amboß und ein Schleifstein zu sehen; im Hintergrund, wo die Tür offen steht, befindet sich der Eingang zum sog. „Nuhtstall“, in dem die Pferde beschlagen wurden.




Kaltblutpferd mit rheinischer Schlagkarre aus dem Jahre 1941. Der Landwirt Heinrich Wimmer aus Grouven fährt mit einer einspännigen Karre durch die toreinfahrt in seinen Hof. So in lockerer Manier mit der Pfeife im Mund saßen oft die Bauern auf dem einen Karrenholm. Aber schon der flüchtige Betrachter dieses Photos wird bemerken, daß angesichts verschiedener unvorhersehbarer Ereignisse diese Sitzposition nicht ungefährlich war.


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