Postalische Erinnerung aus der Eifel
von Postamtmann S. Bingel Aachen

Im Jahre 1886 wurde kurz nach der Inbetriebnahme der Eifelbahn Aachen - St. Vith in dem an dieser Strecke gelegenen Ort Sourbrodt eine Postagentur eingerichtet, die dem Postamte in Bütgenbach unterstellt ward. Als Leiter des neuen Verkehrsinstituts war der Ortsvorsteher und Kirchenküster L. auserlesen. Die Einführung des neuen Postagenten in die Postdienstgeschäfte hatte die Oberpostdirektion in Aachen dem Verfasser übertragen. Die Ausbildung sollte einen Zeitraum von 10 Tagen nicht überschreiten. Als erschwerendes Moment kam in Betracht, daß der neue Postagent nur unvollkommen der deutschen Sprache kundig war, indem Sourbrodt ein rein wallonischer Ort war, und die deutschen Sprachkenntnisse sich bei dem Hauptteil der Einwohner auf die wenigen Brocken beschränkten, die ihnen von den Eisenbahnarbeitern während des Bahnbaues überkommen waren. In Erwartung der kommenden Ereignisse dampfte ich an einem trüben Maimorgen wohlgmut nach Sourbrodt ab. Nach etwa 3 ½stündiger Eisenbahnfahrt kam ich auf genannter Haltestelle an. Ich war der einzige Passagier, der dem Zuge entstieg. Vor dem „Stationsgebäude“, das aus einem ausrangierten Eisenbahnpersonenwagen der 4. Klasse bestand, stand der rotbemützte Vorsteher einsam und allein und verschwand nach der Weiterfahrt des Zuges in sein „Amtsbüro“, warhscheinlich, um seinem Kollegen auf der Folgestation die prompte Abfahrt des Zuges telegraphisch zu melden. Da weit und breit kein anderes menschliches Anwesen zu sehen war, wartete ich auf das Wiederauftauchen des Beamten aus seinem Gehäuse um mich nach dem einzuschlagenden Weg zu erkundigen. Ich stellte mich vor und erhielt die Auskunft, in welcher Richtung ich den Ort Sourbrodt zu suchen hatten. Einen Fahrweg dahin gab es noch nicht, und auch ein Fußweg war kaum zu entdecken, ein Zeichen dafür, daß die Sourbrodter Einwohnerschaft aus ihrem Winterwäldlerdasein noch nicht sonderlich herausgekommen war. Obwohl es schon Mai war, sah es auf der Vennflur noch recht öde und kahl aus. Nicht lange dauerte es, und am Horizont tauchte ein Kirchturm auf, der nur der von Sourbrodt sein konnte. Bald hatte ich, im Orte angelangt, erfahren, wo der Herr Ortsvorsteher, Küster und Postagent L. wohnte. Mein Eintreffen war ihm bereits angekündigt worden. Der Herr hat eine sonore, wohllautende Stimme, und ich konnte mir daher erklären, weshalb man ihm das Amt eines Küsters übertrage hatte. Er führte mich zunächst in das „Dienstzimmer“ der Postagentur, das bis zu seiner Rangerhöhung als Hühnerstall gedient hatte. Die frisch getünchten Wände wiesen noch die Spuren der Hühnerleiter auf, die daran befestigt gewesen war. Als Kundgebung seines Deutschtums hatte der Postagent ein uneingerahmtes Bild des alten Kaisers Wilhelm I. mit Drahtstiften an die Wand genagelt. Die zur Postagentur gehörenden Ausstattungsgegenstände, wie Postschild, Spind, Stühle, Waagen, Stempel, Beutel, Briefkasten u. a. m., standen noch verpackt in dem Raum, der keine Bedeutung aufwies. Zum Hausstand des Postagenten gehörten seine Frau, ein Sohn und eine Tochter. Der Sohn wurde mir als derjenige vorgestellt, der hauptsächlich mit den postalischen Lehrern bekanntgemacht werden sollte. Als Willkomm erhielt ich einen Schnaps, der auf den Namen „Goutte“ hörte. Auf meine Frage, bei welchem Eingeborenen des Ortes ich Unterkunft haben könnte, führte mich der Postagent in die Gastwirtschaft E. Die alte Wirtin erklärte mir in wallonisch-französischer Sprache, daß ich Wohnung und Atzung bei ihr haben könne, ich jedoch das Nachtlager mit einem Dachdecker teilen müsse, der, von Melmedy gekommen, das Dach der Kirche reparieren mußte. Da mir dies gegen die Standesehre ging und auch meiner hygienischen Einstellung nicht entsprach, wurde mir auf Fürsprache des Postagenten doch ein besonderer Schlafraum angewiesen, allerdings mit der Aussicht auf einen großen Düngerhaufen. Zum Morgenkaffee stellte mir die Wirtin die Wahl zwischen Kartoffeln und Eiern. Ich entschied mich für letztere und habe dies nicht zu bereuen gehabt, denn die im Schiffelland der Sourbrodter Gemarkung gezüchteten Kartoffeln waren damals nicht berühmt. Am ersten Tage nach meiner Ankunft saß ich allein im Gastzimmer und verzehrte meine Abendplatte, die mir eine der drei Töchter der Frau E. servierte. Etwas unheimlich kam es mir vor, daß ich in dem Zimmer ständig ein leises Gemurmel hörte, dessen Ursprung ich mir nicht erklären konnte. Später entdeckte ich dann, daß in der Wand des Wirtszimmers ein Alkoven eingebaut war, der dem Wirtsehepaar als Schlafgemach diente. Am folgenden Tage ging meine Schulmeisterei los, und ich freute mich über den Fleiß und die leichte Auffassung meines Schülers, des jungen L. Am darauffolgenden Sonntag feierten zwei Töchter meiner Wirtin Hochzeit. Da die künftigen Ehemänner aus Verviers stammten, hörte man fast nur wallonische Laute. Das Tafelgetränk war der bereits genannte Heimatschnaps „Goutte“ = Tropfen. Bier oder Wein war nur für die wenigen prominenten Gäste, wie Pfarrer, Schullehrer usw., da. Zur damaligen Zeit wurde für die Aufforstung der Eifel vom preußischen Staat viel getan. So erschien denn auch in Sourbrodt eines Tages der preußische Landwirtschaftsminister - ich glaube es war von Lucius - mit einem großen Stab hoher Verwaltungsbeamten zu Besichtigung des bisher durch verschiedene Wiesenbautechniker Geleisteten. Die Herren kehrten später zu einem kleinen Umtrunk in das Kavalierrestaurant meiner Wirtin ein. Sie tranken aber nicht den landesüblichen „Goutte“, sondern Rotwein. Als auf die Frage der Wirtin an den Minister „Söd Ühr dat Miniß“, dieser bejahte, meinte die Wirtin, „Hä sönd at völl huch Häere geweß“. Sie dachte dabei wahrscheinlich an die fremden Jäger, die im Winter regelmäßig nach Sourbrodt kamen, um in den angrenzenden Wäldern den Keiler zu jagen. An schönen Tagen wurde abends im Freien gekegelt, aber ich konnte mich eim Spiel nicht mit den dreimal gelochten Kugeln befreunden, so daß ich nur höchst selten die Bauern umwarf. Noch zu bemerken ist, daß neben der Postagentur der dem Postagenten gehörende Dorfstier sein Amtslokal hatte, so daß die Postagentur manchen Besuch auch von auswärts erhielt.


Kirche in Sourbrodt - Lichtbild von Julius Schmitz Aachen

Wie sich die Verhältnisse in dem damals so weltfremden Eifeldorfe durch die Anlegung der Torfwerke des Obersten a. D. von Gieße und des Truppenübungsplatzes Elsenborn gewaltig geändert haben, ist allen Eifelbesuchern zur Genüge bekannt.

Wie lange aber wird es noch dauern, bis über dem neben dem Fleiß seiner Bewohner durch deutsche Reichsfürsorge und preußische Staatshilfe zur Blüte gekommenen wallonischen Landstrich wieder die deutsche Flagge weht?

EVB Nr. 11, November 1931, S. 149 (Selbstverlag des Eifelvereins, Verlagsort Bonn, Erscheinungsort Köln. 32. Jahrg., Aufl. 16500, Erscheint gleich nach Mitte des Monats, Schriftleitung: Rektor Zender in Bonn, Kölnstraße 135, Druck: J. P. Bachem Köln, Hauptgeschäftsstelle des Eifelvereins: Bonn, Stadthaus, Bottlerpaltz 1, Zimmer 329/30, Telefonnummer 1701.)

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