13 Reisende starben im Nordexpreß
Kölner Stadt-Anzeiger vom 3./4. August 1974
Aus der Sammlung Sigurd Müllenmeister, Buir




Im August 1929 passierte in Buir eines der größten Eisenbahnunglücke der zwanziger Jahre

Für die Weltpresse ist der Kreis Bergheim Niemandsland. Selbst als in den Anfängen des bundesdeutschen Wirtschaftswunders der Braunkohlentagebau Fortuna/Garsdorf, der seinerzeit größte Tagebau der Welt, aufgeschlossen wurde, nahm man jenseits der Grenzen davon kaum Notiz. Es gab nur hier und da eine Meldung im Wirtschaftsteil bekannter Zeitungen. Doch einmal ging der Kreis Bergheim durch die gesamte Weltpresse: In den letzten Tagen des August 1929. Denn damals ereignete sich hier eines der größten Zugunglücke der zwanziger Jahre. Am frühen Morgen des 25. August, einem Sonntag, entgleiste kurz vor dem Buirer Bahnhof der Schnellzug Paris-Warschau. 13 Reisende wurden getötet, 40 weitere verletzt. Die Katastrophe erschütterte in einer Zeit, als Verkehrsunfälle noch die Ausnahme waren, ganz Europa. Alte Eisenbahner und die älteren Bürger in Buir und Umgebung erinnern sich heute noch an den schwarzen Tag der Deutschen Reichsbahn.




D-Zug sprang aus den Schienen
Von Helmut Frömel und Walter Schmühl

Ein schriller Pfiff kündigte die Katastrophe an: Der Nordexpreß war nicht mehr zu bremsen. Kreischend rasten die Lok und die vorderen Wagen aus dem Gleis. Drei Waggons bohrten sich in die Böschung. 300 Meter vor dem Buirer Bahnhof hatte die Fahrt des Schnellzugs Paris-Warschau („D 23“) unprogrammgemäß geendet.

Es war am Sonntagmorgen um acht Uhr. Josef Riefert, Postbeamter in Buir, hatte gerade seinen Dienst angetreten. „Auf einmal krachte es, die Klappen an den Schränken fielen herab“, erinnert sich der 80jährige. Minuten später war das kleine Postamt mit Menschen aus aller Herren Ländern bevölkert. Die Überlebenden der Zugkatastrophe gaben Telegramme auf. Sie wollten ihren Angehörigen mitteilen, daß ihnen bei dem Unglück nichts passiert sei. Die meisten kamen aus dem Ausland, Russen, Polen, Engländer und Franzosen drängten sich vor dem Schalter.

Der Nordexpreß war ein Luxuszug, einem TEE von heute vergleichbar. Er kam täglich durch Buir. Am 25. August 1929 gab es hier Reparaturarbeiten an den Gleisen. Auf dem Bahnhof von Düren erhielt der Lokführer vom Fahrdienstleiter die Order, hier langsam zu fahren.

Aber der Eisenbahner übersah das Signal. Ein Arm der Anlage war durch die Brücke vor dem Bahnhof verdeckt. Der Lokführer steuerte den Zug mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern auf ein Nebengleis, auf dem nur eine Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde zugelassen war. Die Lok entgleiste und fuhr an der Böschung hoch. Auch die drei nachfolgenden Wagen kamen aus der Spur, bohrten sich in die Böschung und verkeilten sich ineinander.




Lokomotive, Tender und zwei Wagen des „Nordexpress“ verkeilten sich, nachdem der Lokführer vor der Einfahrt in den Bahnhof Buir ein Signal übersehen hatte. 13 Menschen wurden auf der Stelle getötet. Noch heute erinnern sich Augenzeugen an den Unglückstag
Repros: Dieter Klein




Der Küster der Buirer Kirche, Franz Grothe, der auch noch heute oft die Orgel spielt, war einer der ersten, die an der Unfallstelle eintrafen. Er war gerade auf dem Weg von der Sonntagmesse. Grothe benachrichtigte sofort den Pfarrer, der seinen Talar überzog und mit ihm zur Unglücksstelle eilte. „Es war grauenvoll“, erinnert sich der Küster. Die Toten wurden schon geborgen, Schwerverletzte waren noch in den Trümmern der holzgetäfelten Karossen eingeklemmt. Zwei Wagen waren ineinandergepreßt. Dazwischen hingen drei Menschen. Ein Traktor versuchte, die Waggons auseinanderzuziehen, aber die Verbindungskette riß. Die Wagen prallten wieder aufeinander. Dabei wurden den Schwerverletzten die Beine vom Körper getrennt.

Eine damals sehr berühmte Tänzerin fuhr auch mit dem Zug. Sie kam direkt aus Paris. Am Vorabend hatte sie im Lido gastiert. Das linke Bein wurde abgequetscht und mußte amputiert werden.

Inmitten der chaotischen Unfallstätte gab der Pfarrer den Verunglückten die letzte Ölung.

Die meisten Passagiere des Luxuszuges waren Ausländer. Sie kamen aus Warschau, London, New York, Paris, Marseille und Poitiers. Das wird durch die Eintragungen im Buirer Amt belegt.

Die 13 Toten wurden zunächst auf dem Friedhof in Buir beigesetzt. Heute liegt keiner der Verunglückten mehr dort. Nach einem halben Jahr wurden sie von den Angehörigen in ihre Heimatorte geholt, berichtet der Küster Franz Grothe. Das Eisenbahnunglück in Buir war damals eine weltweite Sensation. Franz Grothe erinnert sich, daß Reporter, die im Zug mitfuhren, ihre Berichte am Bahndamm in die Schreibmaschinen hämmerten.

Einen Rettungsdienst wie heute gab es 1929 noch nicht. Alle Sanitätsfahrzeuge aus dem Kreis Bergheim wurden nach Buir beordert. Der Bergheimer Gastwirt Franz-Karl Lippert erinnert sich, daß er seinen Vater, der damals als Sanitäter am Unglücksort half, zwei Tage lang nicht gesehen hat. Die Ärzte aus dem Kreis waren tagelang in Aktion. Die meisten Verletzten kamen in das kleine Buirer Krankenhaus, aber auch in Elsdorf, Bedburg und Bergheim lagen Überlebende der Katastrophe.

Für die Reichsbahn war der Unfall in Buir, das an einer der meistbefahrensten Strecken in Deutschland liegt, das auslösende Moment, die Langsamfahrverordnung einzuführen. Sie gilt für kritische Stellen auf den Schienen. Auch die Anordnung der Vorsignale wurde nach dem schwarzen Tag in Buir verändert.

Trotzdem ist das Buirer Unglück in den Annalen der Bahn nicht enthalten. Nur das Verkehrsmuseum in Nürnberg kannte die Fakten. Die Unterlagen aber sind verschollen.

Durch einen absonderlichen Zufall kam Peter Schnödewind, ehemaliger Rektor der Buirer Hauptschule, zu einem authentischen Zeitungsbericht aus dem Jahre 1929. Vor vier Jahren war er mit seiner Familie im Vorarlberg. Vor einer kräftigen Regenschauer suchte der Rektor Zuflucht in einer Almhütte. Die alte Sennerin reichte dem durchnäßten Gast Lesestoff. Gleich das erste Zeitungsblatt, das Schnödewind in die Hand nahm, stammte aus dem Jahre 1929 und behandelte ausführlich das Eisenbahnunglück in Buir.

Den „Nordexpress“ gibt es auch heute noch. Er läuft jetzt unter der Nummer 232. Nur die Route hat sich geändert: Der Zug führt heute von Kopenhagen nach Paris.

Die letzten Jahre der „goldenen Zwanziger“ waren durch eine Kette schwerer Eisenbahnunglücke gekennzeichnet. Es gab regelrechte Serien, die sich zu Beginn des dritten Jahrzehnts im Kreis Bergheim fortsetzen.




Auf der Alm fand der Buirer Rektor Peter Schnödewind vor vier Jahren dieses vergilbte Zeitungsblatt aus den zwanziger Jahren. Küster Franz Grothe (2. v. li auf dem mittleren Bild) ist einer der Augenzeugen des spektakulären Unglücks.


Zeitungsausschnitt - Die Woche im Bild.

Die schwere Eisenbahnkatastrophe bei Düren.

Am Sonntag, den 25. August, wurde der Paris - Warschauer D-Zug auf dem Bahnhof Buir - zwischen Düren und Köln - von einem furchtbaren Unglück betroffen. Vermutlich infolge zu großer Geschwindigkeit entgleiste der vollbesetzte Expreß auf einer in Reparatur befindlichen Stelle. Die Lokomotive und 7 Wagen sprangen aus den Schienen und wurden zum Teil zertrümmert. Es sind 13 Todesopfer zu beklagen; die Zahl der Verletzten beträgt etwa 40.

Bild links: Beisetzung der Todesopfer in Buir unter großer Anteilnahme der Bevölkerung.
Bild unten: Ein Geistlicher spendet einem Schwerverletzten die heiligen Sakramente.




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